Italien-Korrespondent Dominik Straub vor der Fontana di Trevi: Das übliche Touristengetümmel vor dem berühmten Römer Brunnen gehört erst einmal der Vergangenheit an.

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Zumindest vor Mailand werden Autofahrer angehalten und überprüft.

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Im Museum in der Maschio-Angioino-Burg in Neapel wird die Ausstellung desinfiziert.

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Auch im Vatikan ist wenig los.

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Mich hat der Ausnahmezustand im südlichen Latium erreicht, ziemlich genau auf halbem Weg zwischen Neapel und Rom. Das bedeutete für mich am Dienstagmorgen: "auto-certificazione" von der Homepage des Innenministeriums herunterladen, ausfüllen – und dann ins Auto, um in die Ewige Stadt zu gelangen.

Die auto-certificazione gehört zu den neuen Notmaßnahmen, welche die Regierung am Montagabend erlassen hat, um die Coronavirus-Epidemie einzudämmen: Jeder Bürger, der seine Wohngemeinde verlässt, muss diesen Passierschein dabei haben, in welchem er den Grund für seine Bewegung von Punkt A nach Punkt B angeben muss. Ich kreuze "lavoro" an, Arbeit. Weitere Gründe sind gemäß dem Formular: "Notlage", "gesundheitliche Gründe" und "Rückkehr an den eigenen Wohnort".

Landesweites Überlebensmotto

"Wir müssen alle auf etwas verzichten. Wir werden die Epidemie besiegen, wenn wir noch drastischere Maßnahmen zum Schutz unserer Bürger ergreifen", hatte Ministerpräsident Giuseppe Conte am Montagabend der Nation erklärt. Über allen Maßnahmen steht das neue, landesweite Überlebensmotto: "Ich bleibe zu Hause."

Im Grunde handelt es sich beim neuen Notdekret um eine Fotokopie des Erlasses, den die Regierung zwei Tage zuvor in der Lombardei und 14 weiteren Provinzen in Norditalien in Kraft gesetzt hat. Statt für 16 Millionen Bürgerinnen und Bürger gelten die Restriktionen nun für alle 60 Millionen Italiener. Sämtliche öffentlichen Veranstaltungen sind untersagt, Museen, Kinos, Diskotheken und Pubs bleiben zu; Restaurants und Bars müssen um 18 Uhr schließen. Schulen und Universitäten haben den Unterricht schon vergangene Woche eingestellt.

Podcast: Wie das Virus unser Leben einschränkt.

Keine Kontrollposten

Meine Reise im Notstandsgebiet Italien, wo offiziell kaum noch Bewegungsfreiheit herrscht, führt zunächst auf der Landstraße über 40 Kilometer durch drei Städtchen; dann folgen 70 Kilometer auf der Autobahn Neapel–Rom, der Autostrada del Sole. Theoretisch hätte bei jedem Ortseingang ein Kontrollposten stehen müssen, um meinen selbst ausgefüllten Passierschein zu verlangen. Es sind aber weit und breit keine Streifenwagen und Polizisten auszumachen. Auch bei der Auffahrt auf die Autobahn und bei der Mautstation an der Ausfahrt nicht.

Auf der Autobahn wälzen sich wie immer lange und dichte Lkw-Kolonnen in Richtung Norden und Süden: Der Warenverkehr bleibt uneingeschränkt erlaubt. Die Zahl der Autos scheint ein wenig kleiner zu sein als üblich – aber wenn man nichts von den neuen Maßnahmen wüsste, würde das kaum auffallen. Am Ende bin ich 110 Kilometer durch Italien gefahren, ohne einen einzigen Kontrollbeamten zu erblicken. Den Ausnahmezustand hatte ich mir irgendwie anders vorgestellt.

Zahl der Infektionen steigen rasant

Die Regierung entschloss sich zur Ausweitung der zum Teil einschneidenden Maßnahmen, weil alle zuvor getroffenen Restriktionen nicht gefruchtet hatten: Die Zahl der Coronavirus-Infektionen nimmt in Italien weiterhin rasant zu. Innerhalb von nur 24 Stunden waren am Dienstag in Italien 168 Menschen an der neuartigen Lungenkrankheit gestorben – die bisher höchste Zahl an Todesfällen an einem Tag. Damit stieg die Zahl der Todesopfer auf 631. Die Zahl der Infizierten kletterte auf knapp 10.149, genesen sind davon bisher 1.004.

Die explosionsartige Verbreitung des Virus in Kombination mit den neuen Maßnahmen hat am Montagabend im ganzen Land zu panikartigen Hamsterkäufen in den Supermärkten geführt. Conte musste eilends beschwichtigen: "Einkaufen wird nach wie vor erlaubt sein – und die Versorgung der Geschäfte mit Nachschub ist sichergestellt."

Alle Geschäfte geöffnet

Sichergestellt bleibt auch der öffentliche Verkehr: Züge, Busse und Metros verkehren fahrplanmäßig, auch in der drei Millionen Einwohner zählenden Hauptstadt. Im Römer Quartier Piazza Bologna-Nomentano, wo eine Viertelmillion Menschen lebt, sind alle Geschäfte geöffnet; die Leute gehen einkaufen, mit dem Hund spazieren, in der Bar einen Kaffee trinken. Im Stadtpark Villa Borghese sind Jogger am Trainieren; junge Römerinnen und Römer liegen auf den Wiesen und genießen die warme Märzsonne.

Der Verkehr auf den sonst heillos verstopften Verkehrsadern Via Nomentana und Corso d'Italia ist aber flüssiger als sonst: Statt des üblichen Stillstands herrscht stockender Kolonnenverkehr. "Die Epidemie hat auch ihre guten Seiten", sagt ein Busfahrer an der Haltestelle bei der Porta Pia, dem antiken Stadttor im Nordosten Roms: "Man kommt besser voran, und mein Bus ist nur zur Hälfte besetzt und nicht überfüllt wie sonst."

Problem Kinderbetreuung

Die scheinbare Normalität vermag aber nicht darüber hinwegzutäuschen, dass viele Römerinnen und Römer verunsichert sind: "Ja, ich habe Angst – um mich, meine Familie, meine Großeltern", gesteht die Versicherungsangestellte Alessia und zweifache Mutter, die in einer Bar an der Via Nomentana einen Kaffee trinkt. Ein Problem sei auch die Kinderbetreuung, seit die Schulen geschlossen sind. Sie selbst hat Glück, weil die "nonna", die Oma, einspringt. Andere müssten Babysitter engagieren oder sonst irgendwie improvisieren. Viele Arbeitgeber, vor allem im öffentlichen Dienst, haben ihren Mitarbeitern schon in der vergangenen Woche die Möglichkeit gegeben, von zu Hause aus zu arbeiten oder gleich ganz frei zu nehmen.

Im Vergleich zu Mailand wurden in Rom zwar bisher nur sehr wenige Coronavirus-Fälle registriert. Doch die Angst vor einer Ansteckung hat auch hier dazu geführt, dass kaum noch jemand die Maßnahmen der Regierung für übertrieben hält. Im Gegenteil: "Wenn schon, dann kommen sie zu spät – aber im Nachhinein ist man ja immer klüger", betont Alessia.

Kaum Touristen im Vatikan

Relativ wenig Betrieb herrscht am Vormittag auch im Vatikan: Auf der Via della Conciliazione, die vom Tiber zum Petersplatz führt, sind nur wenige Reisegruppen zu sehen; in den Souvenirläden mit den Papstkalendern und den Rosenkränzen halten sich kaum Touristen und Pilger auf. "Zum Glück haben die Touristenmassen abgenommen – heute ist man um jeden froh, der das Virus nicht weiter transportiert", betont ein Römer Stadtpolizist, der den verbliebenen Touristen am Eingang zum Petersplatz erklärt, was in Italien und in der Stadt nun noch erlaubt sei.

Wichtig sei jetzt einfach, dass man zu den Mitmenschen wie von der Regierung verordnet einen Meter Abstand halte und die Regeln befolge. "Aber eigentlich ist es heute auf der Piazza wie immer, alles ist ganz normal – nur dass es weniger Leute hat", sagt der Beamte.

Hohe Umsatzeinbußen

Am meisten leiden in Rom, wie auch im übrigen Italien, die Geschäfte. "Wir hatten schon an den vergangenen Tagen, als die Krise noch vorwiegend Norditalien betraf, eine Umsatzeinbuße von 50 Prozent zu verkraften. Heute werden es bis am Abend wohl 80 Prozent sein", betont die Geschäftsinhaberin der Mode- und Handtaschenboutique Tebe auf der Römer Einkaufsmeile Via del Corso. Sie ist gerade dabei, ein handgeschriebenes Schild anzufertigen, wonach das Geschäft für die nächsten zwei Tage geschlossen werde. "Mit so wenig Kundschaft hat es keinen Sinn, geöffnet zu bleiben. Und außerdem habe ich Angst, dass ich mich ebenfalls mit dem Virus anstecken könnte, wenn ich nicht zu Hause bleibe", sagt die Inhaberin. Wie ihr geht es den meisten Läden im historischen Zentrum Roms: leere Geschäfte, wohin man blickt.

Um die Unternehmen und die Familien zu unterstützen, will die Regierung ihr bereits letzte Woche beschlossenes Hilfspaket von bisher 7,5 auf zehn Milliarden Euro aufstocken, sagte Italiens Industrieminister am Montag. Dafür werde die Regierung in Brüssel zusätzliche Flexibilität beim Staatshaushalt beantragen. Angesichts der gewaltigen Probleme, die das Virus bereits jetzt in der italienischen Wirtschaft anrichte, sei dies viel zu wenig, reklamierte am Montag die von Ex-Innenminister und Lega-Chef angeführte Rechtsopposition: Es seien mindestens 30 Milliarden erforderlich.

Die Präsidenten der am stärksten vom Virus betroffenen Regionen Lombardei und Venetien, Attilo Fontana und Luca Zaia (beide Lega), forderten derweil weitere, einschneidende Maßnahmen, um die Verbreitung des Virus zu stoppen: den Stopp des öffentlichen Verkehrs und die Schließung aller "nicht-essenziellen" Geschäfte. Geöffnet sollen nur noch Lebensmittelläden und Apotheken bleiben.

Unwichtiger Fußball

Am Dienstagnachmittag hieß es, dass die Straßenkontrollen an den Ortseingängen, aber auch innerhalb der Städte und Gemeinden selber, erst am Mittwoch voll im Einsatz sein werden. Man wird es ja sehen. Jedenfalls ist es schon erstaunlich, wie sehr sich in Italien, wenn nicht das Leben selber, aber ganz bestimmt das Lebensgefühl geändert hat – und das in wenigen Tagen. Der sonst allgegenwärtige Fußball ist unwichtig geworden – und die Meisterschaft am Montagabend abgesagt.

Die Menschen gehen sich aus dem Weg: In den Läden und in den Banken wurden am Boden eilends farbige Klebestreifen vor den Kassen und Theken angebracht, die den staatlich verordneten Sicherheitsabstand sicherstellen sollen. Und dass man sich in Italien, wo die Begrüßung normalerweise aus einer Umarmung besteht, nun stattdessen mit einer gegenseitigen Berührung der Ellbogen begnügt: Daran wird man sich erst einmal gewöhnen müssen. (Dominik Straub aus Rom, 10.3.2020)