Trotz verschiedener Naturelle sind sie beste Freunde: der intellektuelle Gottesmann Narziss (Sabin Tambrea) und der Frauenliebling Goldmund (Jannis Niewöhner).

Foto: Sony Pictures

"Sag ihnen, dass deine Mutter eine Hure ist", schreit der Vorzeigevater Goldmunds (cholerisch: Johannes Krisch), als er den Kleinen im Kloster absetzt. Dort soll er Mönch werden und für die Sünden der Frau Mama büßen. Der einfühlsame Chef vom Dienst, Abt Daniel (altersmilde: Branko Samarovski), erkennt gleich, dass es sich hier wohl um eine dysfunktionale Familie handelt. Er stellt dem hübschen Knäblein den etwas älteren, vergeistigten Narziss als Freund zur Traumaverarbeitung zur Seite. Trifft sich gut, da den Klugscheißer eh keiner mag. Kinder können grausam sein.

Ungleiche Freunde

So ungefähr liest man es auch bei Hermann Hesse, der als Vorlage für Stefan Ruzowitzkys (PR-Maschine, Oscarpreisträger, Regisseur – in dieser Reihenfolge) neuen Film herhalten muss: Narziß und Goldmund ist eine Erzählung über eine unwahrscheinliche Freundschaft. Die Dichotomie zwischen dem Geistigen und dem Weltlichen, der leidenschaftlichen Kunst und dem asketischem Glauben steht in ihrem Zentrum. Es geht ums Selbstfinden, aber vor allem ums Suchen. Ruzowitzky ist der Erste, der den beliebten Stoff verfilmt. Das Ergebnis: ein Bauchfleck zwischen Vorabendfernsehfilm für allfällige Feiertage und einem farbkorrigierten Mittelalterfest Eggenburg.

Ruzowitzkys Goldmund, ein dauergrinsender Oberstecher (standhaft: Jannis Niewöhner), macht’s nicht lange im Kloster und begibt sich auf allerhand Sex- und andere Abenteuer, die ihn irgendwann wieder zu Narziss zurückführen. Da dieses Wiedersehen bei Hesse sehr spät in der Handlung passiert, der Fokus des Buches also auf Goldmunds Erlebnissen liegt, zieht es Ruzowitzky vor und erzählt Goldmunds Geschichte in Rückblenden. Das ist zwar kein besonders origineller Regieeinfall, aber zumindest einer, der funktioniert.

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Aufwertung?

Ganz im Gegensatz zu Ruzowitzkys starken Eingriffen in die Handlung. Zwar spielt bei Hesse die homoerotische Komponente, Narziss’ (doloros: Sabin Tambrea) Begehren für Goldmund, eine Rolle, aber eine untergeordnete. Bei Ruzowitzky gibt ihre zwischenmenschliche Beziehung – missmutig von den Mitmönchen beobachtet – den Ausschlag für einen flammenden Showdown vor dem Altar, der gar nichts mit dem Original zu tun hat. Ruzowitzky fällt damit zwar nicht hinters Spätmittelalter, aber definitiv hinter Hesse zurück.

Auch was die Frauenfiguren betrifft, die der Drehbuchautor und Regisseur laut eigener Aussage "aufwerten" wollte, kann man sich nur an den Kopf greifen. Mehrere Charaktere zu einem zu machen – so wird aus der Rittertochter Julie und der Fürstengespielin Agnes eine Julia – ist eine interessante Auffassung von Aufwertung. Dass diese Julia auch noch – Vorsicht, kunsthistorischer Schenkelklopfer – der eigentliche Hieronymus Bosch ist, ist wieder einmal ein besonders zeitgemäßer Kommentar dazu, dass Frauen als Künstlerinnen nicht ernst genommen wurden und deshalb ihre Identität verheimlichen mussten.

Frauen als Karikaturen

Dass Frauen noch immer nicht ernst genommen werden, wollte Ruzowitzky sicher nicht zeigen, tut es aber. Während sie bei Hesse zwar Nebenrollen spielen, haben sie dort wenigstens in einen Charakter. Und zwar jeweils einen. Ruzowitzkys Frauen sind dagegen völlig lächerliche Karikaturen. Das ist wohl witzig gemeint, genauso wie die Anachronismen – vom 70er-Jahre-Käseigel bis zum Tänzer im Latexanzug beim berauschten Burgfest –, wirkt aber ausschließlich peinlich. So wie Hesse das Mittelalter durch die Augen seiner Zeit schildert, tut es ihm Ruzowitzky gewissermaßen gleich und fettet wiederum Hesse mit allem Möglichen und Unmöglichen auf. Soll sein; ein Buch vollkommen gegen seine Aussage zu lesen, rechtfertigt es aber nicht.

Hesses Erzählung ist an der Psychologisierung der Charaktere interessiert; nicht zuletzt daran, wie sie damit umgehen, auch am Ende nicht alle Antworten zu bekommen. Ruzowitzky begründet dagegen alles, löst alles auf. Action gibt es obendrauf. Für Slapstick, Kitsch und seichte Unterhaltung hätte Ruzowitzky Hesse nicht gebraucht. Das schafft er sicher auch allein. (Amira Ben Saoud, 11.3.2020)