Philosoph*innen wie Hélène Cixous widmeten sich dem spezifisch Weiblichen auf einer symbolischen Ebene.

Foto: Hélène Cixous

In unserer neuen dieStandard-Reihe "Feminismus: Was ist eigentlich ..." stellen wir unterschiedliche feministische Ansätze, Begriffe und zentrale Figuren der verschiedenen Denkrichtungen und Aktivismen vor. Von Ökofeminismus bis Queerfeminismus, von Andrea Dworkin bis Gloria Steinem, von intersektional bis genderfluid – kurz und verständlich.

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Eigenschaften, die als "typisch weiblich gelten", sind in der Wirtschaft plötzlich gefragt: Unternehmen suchen händeringend nach empathischen und teamfähigen Mitarbeiter*innen, Frauen würden für Harmonie in der Führungsetage sorgen, zeigen sich Personaler*innen überzeugt. Ein solch differenztheoretisches Denken, das vormals abgewertete Weiblichkeit positiv besetzt, war auch für eine Gruppe von Feminist*innen in den 1970er- und 1980er-Jahren ganz zentral – allerdings fernab kapitalistischer Verwertungslogik.

Differenz denken

Gleichheitsfeminismus versus Differenzfeminismus, von diesem Gegensatz ist in Einführungstexten zum feministischen Denken häufig zu lesen. Sowohl Gleichheits- als auch Differenzfeminist*innen kämpfen gegen die Unterdrückung von Frauen, ihre Ideen von Geschlecht und Gesellschaft unterscheiden sich aber oft deutlich. Während Gleichheitsfeminist*innen fixe Rollenzuschreibungen an die Geschlechter von sich weisen und für eine gleichberechtigte Gesellschaft eintreten, kritisieren differenzorientierte Denker*innen die Orientierung an männlichen Maßstäben. Gleichstellungspolitik etwa, die sich an der männlichen Normalbiografie orientiere, zwänge Frauen in ein männlich codiertes System. Statt Frauen in einer konkurrenzorientierten Arbeitswelt gleichzustellen, in der Kinder und pflegebedürftige Angehörige den Karriereknick bedeuten, sollen "weibliche Lebenswelten" berücksichtigt werden.

Fürsorgliche Mutter

Auf welche Wurzeln das Frausein zurückzuführen sei, darin sind sich Differenzfeministinnen keineswegs einig. Während manche Denkerinnen vorrangig auf kulturelles und gesellschaftliches Werden rekurrieren, verweisen andere auf die Biologie, insbesondere die Gebärfähigkeit von Frauen. Diese würde ebenso wie das Muttersein einen anderen Zugang zur Welt bedingen. So entwarf die US-amerikanische Sozialpsychologin Carol Gilligan in den 1980er-Jahren eine "Fürsorge-Ethik", die typisch weiblich sei, und stellte sie einer männlichen Ethik entgegen, die auf abstrakten Gerechtigkeitsüberlegungen basiere. Auf solche Überlegungen stützten sich auch Ökofeministinnen und Friedensaktivistinnen, die Frauen zu friedlicheren und respektvolleren Wesen erklärten: Frauen könnten die Welt vor Krieg und Umweltzerstörung bewahren.

Französische Denker*innen wie Hélène Cixous und Luce Irigaray widmeten sich dem Weiblichen hingegen auf einer symbolischen Ebene. Mit ihrer "Écriture féminine" machte sich die Psychoanalytikerin Irigaray auf die Suche nach einer spezifisch weiblichen Schrift in einer patriarchalen Gesellschaft, in der das Männliche unentrinnbar als universaler Bezugspunkt diene. Dem (Wieder-)Entdecken weiblicher Identität verschrieben sich auch Aktivistinnen der Zweiten Frauenbewegung, die exklusive Frauenräume ebenso wie Buchläden und Selbsterfahrungsgruppen gründeten.

Frau, dekonstruiert

Während in Italien und Frankreich differenzfeministische Theorie bis heute sehr einflussreich ist, löste im deutschsprachigen Raum das dekonstruktivistische Denken in den 1990er-Jahren einen regelrechten Hype aus. Theoretikerinnen wie die US-amerikanische Philosophin Judith Butler stellten die Zweigeschlechtlichkeit radikal infrage: Männer und Frauen seien keine bloße biologische Tatsache, die "Natur" selbst sei immer schon kulturell geformt. Differenzfeminismus entwickelte sich in den 1990er-Jahren somit zu einem Schlagwort, von dem sich vor allem jüngere Feminist*innen abgrenzten. "Differenz rief gleich die Vorstellung von Zweigeschlechtlichkeit, Heterosexualität, Konservativität und so weiter hervor", formuliert es die Philosophin Silvia Stoller.

Tatsächlich erweist sich Differenzfeminismus als anschlussfähig für konservative und rechte Denker*innen, die für Gleichberechtigung plädieren, Frauen jedoch auf die Rolle der Mutter und Fürsorgenden reduzieren. Aber auch schwarze Feminist*innen kritisierten zunehmend ein feministisches "Wir Frauen", das Unterschiede zwischen Frauen unsichtbar mache – Klasse, Race und andere Achsen der Differenz müssten ebenso in den Blick genommen werden wie das Geschlecht.

Differenzfeministische Ideen erweisen sich dennoch bis heute als einflussreich, etwa in der Diskussion über die unbezahlte Care-Arbeit, die überwiegend von Frauen geleistet wird. So prangerten Differenzfeministinnen die fehlende Wertschätzung von Haus- und Fürsorgearbeit an, die selbst von Marxist*innen unsichtbar gemacht wurde. Eine Debatte, in der g anz unterschiedliche feministische Denker*innen zusammenfinden – um Lösungen wird produktiv gestritten. (Brigitte Theißl, 11.3.2020)