Neue Dienste und Apps legen Konsumenten nahe, dass sie durch das eigenen Handeln eine nachhaltigere Gesellschaft schaffen können. Experten kritisieren, wenn Unternehmen so die Verantwortung abschieben.

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Ein nachhaltiger und umweltfreundlicher Lebensstil ist nicht einfach. Das Auto muss man öfter stehen lassen, beim Einkauf auf Fairtrade und Bio achten, Angaben zu Inhaltsstoffen genau durchlesen, den Stromverbrauch berücksichtigen. Das Motto "There's an app for that" gilt auch hier. Es gibt unzählige Programme, die Informationen dazu bieten, im Alltag helfen und Anreize für mehr Nachhaltigkeit schaffen sollen. Gleichzeitig wird damit immer mehr Verantwortung und Arbeit auf den Konsumenten übertragen.

Nachbarschaftsdienst zur CO2-Reduktion

An das Umweltbewusstsein und gute Nachbarschaft will der Paketdienst Hermes mit einem Pilotprojekt in Deutschland appellieren. Das Unternehmen versucht Privatpersonen dafür zu gewinnen, Pakete für Nachbarn anzunehmen. Dafür hat Hermes das Projekt Paketfuxx in Nürnberg, Berlin, Leipzig und Dresden gestartet.

Hermes argumentiert mit Umweltschutz. Durch die zielgerichtete Ablieferung würden unnötige Anfahrten beim Endkunden verringert. Und damit lasse sich das Verkehrsaufkommen reduzieren und CO2-Emissionen einsparen. Auch hier gibt es spezielle Anreize für Bürger, um mitzumachen. Wer Lieferungen entgegennimmt, erhält pro Packerl 30 Cent. Wer die Packerln nicht aus monetären Gründen, sondern aus reiner Nettigkeit annehmen will, kann auf die Vergütung allerdings auch verzichten und stattdessen das Geld an Umweltschutzprojekte spenden.

Das Projekt schlägt in die Kerbe, dass Privatpersonen ohnehin immer öfter Pakete für ihre Nachbarn annehmen. Ein Dienst, der das besser koordiniert, ist also durchaus praktisch. Gleichzeitig wird damit aber auch professionalisierte Arbeit auf Privatpersonen übertragen. Der Lagerplatz für Pakete in Privatwohnungen ist auch bei 30 Cent pro Paket wohl günstiger als in Abholshops. Auch in der derzeitigen Coronakrise geht das Projekt weiter – mit kontaktloser Zustellung.

Kultur für umweltschonendes Verhalten

Die Stadt Wien will Bürger mit einer App zu umweltfreundlicherer Fortbewegung bringen. Mit dem Kultur-Token hat man ein System entwickelt, mit dem Punkte (Token) gesammelt werden, wenn man zu Fuß geht, Öffis nutzt oder mit dem Rad fährt – also zur Vermeidung von CO2 beiträgt, indem man zur Fortbewegung in der Stadt nicht auf das Auto zurückgreift. Wer täglich circa eine halbe Stunde sowohl öffentlich als auch zu Fuß zur Arbeit fährt beziehungsweise geht, sollte sein erstes Token nach etwa zwei Wochen beisammenhaben. Dieses kann dann gegen Eintritte in verschiedenen Kultureinrichtungen eingelöst werden. Bis vor Kurzem befand sich die App in einer geschlossenen Betaphase und sollte im September allen Nutzern in Wien zur Verfügung gestellt werden. Doch aufgrund des Coronavirus musste die Stadt wie Pläne ändern. Die Testphase wurde daher bis auf weiteres eingestellt. Wann das Programm wieder aufgenommen wird und die App regulär startet, hängt nun vom Verlauf der Epidemie ab.

Ganz unumstritten ist so ein System nicht. So fühlen sich Kritiker entfernt an das Sozialkreditsystem in China erinnert. Für gefälliges Verhalten gibt es dabei Punkte, Fehlverhalten wird geächtet. Letzteres ist bei der App der Stadt Wien allerdings nicht der Fall. Wer doch einmal das Auto verwendet, bekommt keinen Punkteabzug. Für die Stadt steht fest: Die App soll zur CO2-Reduktion anspornen, ist also für einen guten Zweck gedacht. Klar ist aber auch: Ein derartiges System ist zur Verhaltenssteuerung von Menschen geeignet und könnte auch für weniger hehre Zwecke eingesetzt werden.

Produktdetektiv spielen

Umweltschutzorganisationen und NGOs oder Behörden bieten ebenfalls zahlreiche Apps an, die über Nachhaltigkeit, Umweltschutz und Fairtrade informieren. Weit verbreitet sind Datenbanken, in denen Nutzer Produkte nachschlagen können. Eine der populärsten Apps zur Überprüfung von Inhaltsstoffen ist Codecheck. Konsumenten können hier Produkte auf bedenkliche Inhaltsstoffe prüfen, indem sie einfach den Barcode einscannen. Die App spuckt eine Bewertung zu Inhaltsstoffen, vorhandenen Gütesiegeln und möglichen alternativen Produkten aus. In der Datenbank findet man vorrangig Lebensmittel, Haushaltsprodukte, Kosmetik sowie speziell für Babys gedachte Produkte. Die Nutzung ist gratis, sofern man Werbung akzeptiert. Eine werbefreie Version gibt es im kostenpflichtigen Abo.

Die Produktdaten können von Nutzern und Herstellern eingetragen werden. Die Bewertungen erfolgen laut dem Unternehmen durch eine eigene wissenschaftliche Abteilung sowie durch unabhängige Experten. In der Vergangenheit hat sich jedoch schon öfter Kritik an Codecheck geregt. So wurde dem Unternehmen vor einigen Jahren vorgeworfen, auf Quellen mit veralteten Informationen zurückzugreifen. Da Codecheck ein Marktforschungsunternehmen gegründet hat, das auf die Nutzerdaten zugreift, und außerdem Werbung schaltet, wurde zudem die Unabhängigkeit der Schweizer Firma infrage gestellt.

Auf Anfrage teilt das Unternehmen dem STANDARD diesbezüglich mit, dass man in den letzten Jahren intensiv daran gearbeitet habe, dass die Datenbank keine veralteten Daten mehr beinhalte. Nach eigenen Angaben betreibt man die größte Produktdatenbank Europas. Um diese aktueller und akkurater zu halten, setze man inzwischen auch auf Machine-Learning. Zum Vorwurf der Werbung heißt es, dass der Algorithmus jedes Produkt nach den gleichen Bedingungen bewerte und unabhängig funktioniere. Werbe- und Geschäftspartner hätten keinen Einfluss auf Bewertungen und redaktionelle Inhalte.

Wer nachhaltiger und bewusster leben will, dem können solche Apps durchaus weiterhelfen. Nutzer dürfen dabei aber nicht vergessen, dass auch hinter den Apps oft monetäre Interessen stehen. Wer sich darauf verlässt, musst also zuerst auch prüfen, wer hinter der App steht und aus welchen Quellen diverse Informationen stammen. (Birgit Riegler, 7.6.2020)