An der US-Flagge klebt Blut: HBO-Serie "The Plot Against America" auf Sky.

Foto: HBO / Sky

David Simon, Autor und Regisseur von "The Plot Against America".

Foto: HBO / Sky

Winona Ryder und Zoe Kazan (re.) beobachten die Ereignisse gespalten

Foto: HBO / Sky

John Turturro jubelt dem neuen US-Präsidenten zu.

Foto: HBO / Sky

Wien – In Zeiten der Apokalypse leisten literarische und serielle Dystopien wertvolle Dienste. Die Information, wir könnten noch wesentlicher schlechter dran sein, spendet möglicherweise Trost und beruhigt Gemüter. Im Serienfach spült das seit geraumer Weile zahlreiche Apokalypsen hoch, die gleichzeitig unterhalten und aufrütteln sollen, etwa The Handmaid’s Tale, 8 Tage oder The Rain.

Serienchefreporter David Simon (The Wire, Treme, The Deuce) war sich dieses Umstands natürlich gewiss bewusst, als er die bedrohliche Parallelwelt von The Plot Against America für seine nächste Arbeit entwarf. Die von HBO produzierte Serie läuft seit kurzem auf Sky. Dass ein Virus die Serienfiktion einholen würde, konnte er freilich nicht ahnen. Wobei, Simon geht die Sache ohnehin anders an.

Bedrohliches Gedankenexperiment

Was, wenn die USA nicht in den Zweiten Weltkrieg eingetreten wären? Dieses bedrohliche Gedankenexperiment spielte der Schriftsteller Philip Roth 2004 in Romanform mit sich selbst und seiner Familie in Newark durch. Es ist Simons erste Romanverfilmung, die dem Trump-Kritiker als Steilvorlage für "America first"-Schreier dient.

HBO

Als Charles Lindbergh mit seiner Spirit of St. Louis Newark besucht, jubeln auch sie ihm zu. Evelyn Finkel (Winona Ryder), ihr Neffe Sandy (Caleb Malis) und Rabbi Lionel Bengelstorf (John Turturro) sind begeistert. Es sei sein fester Plan, einen Krieg gegen die Deutschen zu verhindern, sagt Lindbergh vor den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt: "Die Wahl ist einfach: Sie ist nicht Charles Lindbergh oder Franklin D. Roosevelt. Sie ist Lindbergh oder Krieg."

Lindbergh gewinnt Präsidentschaftswahl

Mit solchen Reden wird der Flugpionier und Nazi-Sympathisant Lindbergh – hier setzt die Fiktion ein – gegen Franklin D. Roosevelt die Wahlen gewinnen und im Jahr 1940 33. US-Präsident. Danach verstärkt sich die antisemitische Stimmung. Unter den Leidtragenden ist auch eine jüdische Familie – im Roman sind es die Roths, in der Serie heißen sie Levins, bestehend aus Vater Herman (Morgan Spector), seiner Frau Bess (Zoe Kazan) und ihren beiden Söhnen Philip (Azhy Robertson) und Sandy. Schwester Evelyn, eine Lindbergh-Verehrerin, ist häufig zu Besuch, ebenso wie Hermans verwaister Neffe Alvin (Anthony Boyle), ein Hitzkopf, der in einer örtlichen Werkstatt arbeitet.

Was sind faschistische Bastarde?

Während der besorgte Vater die Wochenschauen im benachbarten Kino schaut, brüllen die Nazi-Sympathisanten Sauflieder. Die antisemitischen Anfeindungen sind für den kleinen Philip nur schwer zu verstehen. "Was sind faschistische Bastarde?", fragt der kleine Philip seinen Bruder Sandy am Abend beim Einschlafen. "Faschisten sind Faschisten, weil sie keine Juden mögen", antwortet der Bruder. "Warum mögen sie keine Juden?" – "Wegen Hitler, schlaf jetzt." Auf manche Fragen gibt es keine schlüssigen Antworten.

Simon erzählt die dunkle Geschichte in auffallend strahlenden Farben. Wie bereits in Serien zuvor lässt der Showrunner und Regisseur große Leidenschaft für den perfekten Soundtrack erkennen. Im typischen reportagigen Stil legt Simon eindringlich nahe, dass dieser Entwurf einer sich radikalisierenden Gesellschaft im beunruhigenden Bereich des Möglichen scheint, und huldigt gleichzeitig der Welt von gestern, als es noch unerhört war, vom Sitznachbarn in der Schule eine gezeichnete nackte Frau unter dem Tisch zugereicht zu bekommen. (Doris Priesching, 20.3.2020)

Sie haben Lust auf Serien? Dann hören Sie den STANDARD-Podcast Serienreif über die wunderbare Welt der Serien und alles, was dazugehört. In der neuen Folge spricht Doris Priesching mit FM-4-Chefredakteur Martin Pieper über die verstörende Medienwelt von "Succession":