"Während dieser Zeit gab es eine Seuche, durch die die ganze Menschheit beinahe vernichtet wurde. (…) Es ist unmöglich, eine Erklärung in Worten auszudrücken, außer es auf Gott zu beziehen. Denn (die Seuche) kam nicht nur in einem Teil der Welt auf noch über bestimmte Menschen, noch beschränkte sie sich auf irgendeine Jahreszeit (…). Sie umfasste die gesamte Welt und vernichtete das Leben aller Menschen, obwohl sie sich voneinander unterschieden, und berücksichtigte weder Geschlecht noch Alter."

So beschreibt als Augenzeuge der Historiker Prokop den Ausbruch einer Epidemie im Jahr 542 nach Christus in der oströmischen Hauptstadt Konstantinopel (dem heutigen Istanbul), der nach seinen Angaben die Hälfte der wohl 500.000 Einwohner zum Opfer fielen. Sogar der damalige Kaiser Justinian I., nach dem die Forschung die Seuche heute benennt, erkrankte, erholte sich aber wieder. Eingeschleppt wurde die Krankheit, das weiß man heute, am Bosporus über die aus Ägypten eintreffende Getreideflotte. Auf den Handelsrouten zu Wasser und zu Lande verbreitete sie sich dann vom Mittelmeerraum bis hin nach Irland. Bis zur Mitte des 8. Jahrhunderts kehrte die Seuche in Wellen wieder und tötete unzählige Erkrankte.

Wunder des Hl. Sebastian in Rom während einer späteren Wiederkehr der justinianischen Pest im Jahr 680. Gemälde von Josse Lieferinxe.
Foto: Josse Lieferinxe, Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org

Dem Erreger auf der Spur im Donauraum

Die Seuche traf offenbar auch den Donauraum. 2013 gelang an Skeletten im Gräberfeld von Aschheim, nördlich von München, die paläogenetische Identifizierung des Erregers. Somit wurde bestätigt, was man bislang vermutet hatte: Bei dem Erreger der sogenannten "Justinianischen Pest" handelte es sich um einen Stamm des Bakteriums Yersinia pestis. Dieses Bakterium war auch für die großen Epidemien des Spätmittelalters in Europa – den sogenannten "Schwarzen Tod" – und die Pandemie in Ostasien um 1900 verantwortlich. Unbehandelt betrug die Sterblichkeit bei erkrankten Personen 50 bis 60 Prozent; die Übertragung erfolgte durch den Stich infizierter Flöhe bei Kontakt mit von Flöhen befallenen Tieren wie beispielsweise Ratten, und Menschen.

Forscherinnen und Forscher konnten ebenso nachweisen, dass der Erreger aus dem 6. Jahrhundert genetisch mit Pestbakterien verwandt ist, die heute noch in Nagetierpopulationen im östlichen Zentralasien heimisch sind.

Das Bakterium Yersinia pestis unter dem Mikroskop.
Foto: A.Myasnikov, CC0, https://commons.wikimedia.org

Eine klimatische Kaltzeit ab 536/540 bescherte dieser Region mehr Niederschläge, die die Vermehrung von Nagetieren, Flöhen und Bakterien begünstigten, was wiederum das Risiko für ein Überspringen auf den Menschen erhöhte. Von Zentralasien verbreitete sich die Krankheit Richtung Indien. Das römische Ägypten importierte von dort exotische Gewürze wie Pfeffer und Halbedelsteine wie Granat – und offenbar auch die Pest.

Karte der möglichen Ursprungsregion und Verbreitungswege der Pestepidemie des 6. Jahrhunderts n. Chr.
Foto: J. Preiser-Kapeller, ÖAW, 2020

Globalisierung und die Wirkung einer Epidemie damals und heute

Die frühe "Globalisierung" erleichterte also die weltweite Verbreitung der Seuche. Aber wie verheerend war ihre Wirkung tatsächlich? Können wir den bei Prokop und anderen Historikern der damaligen Zeit genannten Zahlen glauben, oder verbreiteten sie "Fake-News"? Darüber ist aufgrund eines kurz vor Weihnachten 2019 veröffentlichten Artikels von Lee Mordechai und seinem Team, die die Justinianische Pest als "inconsequential pandemic" bezeichnen, eine Debatte entbrannt. Auf der Grundlage einer statistischen Analyse der Frequenz von Papyri, Inschriften und Münzen, aber auch von Pollendaten bezweifeln die Historikerinnen und Historiker, dass die Seuche des 6. Jahrhunderts so wie der "Schwarze Tod" des Spätmittelalters 30 oder gar 50 Prozent der Bevölkerung das Leben kostete.

Andere Forscherinnen und Forscher erheben gegen dieses Szenario heftigen Widerspruch. Selbst wenn die Letalität der Seuche geringer war als angenommen, dann seien auch die sozialen, ökonomischen und psychologischen Folgen der Verunsicherung der Menschen und der Störung des normalen Alltags zu berücksichtigen. Letzteres Argument scheint angesichts der aktuellen Situation um das Coronavirus durchaus nachvollziehbar, wenn man noch dazu bedenkt, dass die Menschen des 6. Jahrhunderts über Ursache und Verbreitungswege der Krankheit völlig im Unklaren waren. (Johannes Preiser-Kapeller, 20.3.2020)