Nikos Anastasiades bei einer Rede während der Uno-Generalversammlung im September in New York.

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Am Mittwoch hätte Nikos Anastasiades, Präsident der Republik Zypern, eigentlich in Wien seinen Amtskollegen Alexander Van der Bellen und Kanzler Sebastian Kurz treffen sollen. Vorab beantwortete Anastasiades exklusiv dem STANDARD schriftlich Fragen über die Beziehungen mit Österreich, neue und alte Konflikte mit der Türkei und die Folgen davon, dass immer mehr Flüchtlinge auf der kleinen Mittelmeerinsel landen. Aufgrund des Coronavirus wurde der Besuch kurzfristig abgesagt.

STANDARD: Welche Themen hätten Sie in Wien besprochen?

Anastasiades: Zypern und Österreich pflegen enge Beziehungen. Meine Regierung ist Österreich zutiefst dankbar für dessen laufende Bemühungen um die Wiedervereinigung und Beteiligung an der UN-Mission in Zypern. Ich hätte den Präsidenten und Kanzler über den aktuellen Stand unserer Bemühungen für eine umfassende Lösung der Zypern-Frage informiert. Besprochen hätten wir auch Themen, die auf der EU-Agenda stehen, und solche, die aus Sicht Zyperns eine große Wichtigkeit für unsere Region haben: Libyen, Syrien, Migration, die Rolle Russlands und die der Türkei.

STANDARD: Sie kritisieren, dass die meisten EU-Staaten mit Ausnahme Frankreichs nicht adäquat auf die türkischen Erdgas-Erkundungen in der zyprischen Wirtschaftszone reagiert haben.

Anastasiades: Die türkischen Provokationen verletzten auf eklatante Weise internationales Recht. Diese Aktionen gehen die gesamte EU etwas an, da sie in zyprischem und damit europäischem Seegebiet stattfinden. Frankreich unterstützt uns sehr, aber auch andere EU-Staaten haben ihre Solidarität bekundet. Die EU hat in der Frage auch einstimmig Sanktionen gegen die Türkei verhängt.

STANDARD: Die EU hat zwei Personen, die an den von ihr als illegal erachteten Bohrungen beteiligt gewesen sein sollen, mit Einreiseverboten und Vermögenssperren belegt. Gehen Ihnen diese Strafmaßnahmen weit genug?

Anastasiades: Sie sind ein wichtiger Schritt, der die Entschlossenheit der EU widerspiegelt, Ankaras Provokationen und Rechtsverletzungen entgegenzutreten. Aber sie sind nur ein erster Schritt. Wir brauchen ein entschlossenes Vorgehen, um die türkischen Aggressionen zu beenden. Die extrem beunruhigenden Entwicklungen, nicht nur in Zypern, auch in Griechenland, Libyen und Syrien bezeugen die türkischen Absichten in der Region. Sie bringen Frieden, Sicherheit und Stabilität einer gesamten Region in Gefahr.

STANDARD: Zypern hat Strafmaßnahmen gegen die in die Bohrungen involvierten türkischen Unternehmen gefordert. Hat sich die EU zurückgehalten, um den inzwischen aufgekündigten Flüchtlingsdeal nicht aufs Spiel zu setzen?

Anastasiades: Wir haben erwartet, dass unser Vorschlag mit einer gewissen Sorge betrachtet werden könnte. Am Ende stützt sich jede Entscheidung auf Fakten und geopolitische Entwicklungen. Sie sollte auf unseren gemeinsamen Werten und Prinzipien basieren.

STANDARD: Könnte die nun, nach der Aufkündigung des Deals durch die Türkei, schärfer ausfallen?

Anastasiades: Die Türkei hat zu keinem Zeitpunkt ihre Verpflichtungen zur Gänze eingehalten. Niemand kann behaupten, dass die Flüchtlingskrise zu irgendeinem Zeitpunkt gelöst war. Flüchtlinge und Migranten kamen zwar in kleinerer Anzahl, aber immer noch regelmäßig in Griechenland, Zypern und anderen Ländern an. Die momentane Situation in Griechenland ist alarmierend. Dass dort derzeit tausende Menschen aus der Türkei ankommen, ist auch Ergebnis der unverschämten Manipulation der Türkei: Sie nimmt menschliches Leid in Kauf, um politische Ziele im Verhältnis zur EU zu erreichen.

STANDARD: Wie gehen die Menschen in Zypern damit um, dass dort im Verhältnis zur Bevölkerung inzwischen die meisten Asylanträge in Europa gestellt werden?

Anastasiades: Die Anzahl jener, die Asyl beantragen und Schutz erhalten, macht über 3,5 Prozent der Bevölkerung Zyperns aus. Wir stehen bei ihrer Aufnahme und Integration vor enormen Herausforderungen und haben unsere Kapazitäten und Ressourcen schon weit überschritten. Bei allen Schwierigkeiten stehen wir aber weiterhin zu internationalen Verpflichtungen.

STANDARD: Verschärft der Anstieg den Konflikt mit dem türkisch besetzten Nordteil Zyperns? Die Türkei erkennt die Regierung Zyperns nicht an, weshalb der bisherige Deal Ihr Land aus Sicht Ankaras nicht umfasste.

Anastasiades: Die Türkei verschärft damit das Problem. Sie beraubt uns mit der fehlenden Umsetzung des Rücknahmeabkommens auch der Möglichkeit, Drittstaatenangehörige, die keinen Schutz benötigen, zurückzuschicken. Sie kooperiert nicht mit unseren Behörden. Währenddessen hält der Zustrom an Migranten an, die in Gebieten Zyperns ankommen, in denen die Regierung keinen Einfluss hat. Sie übertreten die Waffenstillstandslinie und beantragen dann Asyl.

STANDARD: Die Budgetverhandlungen der EU wurden oft als erster Test des Zusammenhalts nach dem Brexit bezeichnet. Ist sie demnach bei dem Test gescheitert?

Anastasiades: Wir haben die Budgetverhandlungen nie als Test verstanden. Es ist nachvollziehbar, dass jedes Mitglied seine eigenen Sorgen, Forderungen und Vorschläge hat. Es ist keine leichte Aufgabe, all diese zusammenzuführen. Ziel ist es aber, sie alle zu berücksichtigen. Wir arbeiten weiterhin für einen erfolgreichen Ausgang der Diskussion. Ich bin optimistisch, dass wir bald eine Einigung auf dem Tisch haben werden. (Anna Giulia Fink, 12.3.2020)