80 Prozent der Händler in Branchen rund um Mode, Elektronik und Schmuck verzeichneten seit März Einbußen von im Schnitt rund 25 Prozent.

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Fertiggerichte haben im Lebensmittelhandel Hochsaison. Der Handel ist darauf gut vorbereitet.

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Wien – Bei vielen Händlern liegen in Österreich angesichts des Coronavirus die Nerven blank. Die Frequenz an Kunden sinkt. Einkaufszentren und Geschäftszonen in Innenstädte melden Rückgänge von mehr als 35 Prozent. Umsätze verlieren vor allem Geschäfte in Touristen-Hotspots wie Skiregionen und großen Wiener Einkaufsstraßen.

Während in Supermärkten der Verkauf an Lebensmitteln temporär um bis zu 40 Prozent stieg, verbuchten 80 Prozent der Händler in Branchen rund um Mode, Elektronik und Schmuck seit März Einbußen von im Schnitt rund 25 Prozent, erhob Rainer Will, Chef des Handelsverbands in einer Umfrage unter hunderten Betrieben.

Bei ihm rennen Telefone ebenso heiß wie bei Iris Thalbauer. Die Geschäftsführerin der Sparte Handel der Wirtschaftskammer rechnet damit, dass sich die Lage quer durch alle Branchen zuspitzt. Sie berichtet von Lieferengpässen im Fahrzeughandel, da sich die Einfuhr von Autos wegen fehlender elektronischer Bauteile verzögere. Der Handel mit Holz gerate ebenso in die Bredouille wie jener mit Werbeartikeln. "Wir befinden uns in einer Ausnahmesituation.

Mehr Hygiene im Handel

Leere Parkplatzreihen säumen das Designer Outlet Parndorf, ein bislang starker Magnet für Besucher aus China. Das jährliche Late-Night-Shopping entfällt im März im Burgenland wie in Salzburg. Bei Peter Schaider, Eigentümer des Wiener Auhof-Centers, sind es überwiegend betagte Kunden, die vom Einkaufen in großen Zentren absehen. Er hat wie viele Branchenkollegen die Putzintervalle in seinem Unternehmen verdoppelt. "Wir reinigen stündlich Türen, Handläufe und Lifte."

Viel Psychologie

Die Österreicher müssen in der Regel nicht einkaufen, sie wollen es, sagt Handelsexperte Wolfgang Richter, Chef der Regiodata. Sei es mit gewissen Risiken verbunden, ließen sie es eben bleiben. Richter bezweifelt, dass der Handel durch Maßnahmen rund um Corona in den Grundfesten erschüttert wird. Ein Gutteil der Umsätze werde sich verschieben oder kurzzeitig ins Internet, das gegen den Virus immun ist, verlagern. Betrieben, die schon bisher nicht fit waren, könnten die aktuellen Turbulenzen aber den Todesstoß versetzen.

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Lugner fehlen Einladungen

Einkaufscenter-Betreiber Richard Lugner sieht sein Kino, das künftig laut Erlass der Bundesregierung je Vorführung nicht mehr als hundert Besuchern Zutritt gewähren darf, stark leiden. Bis auf den Supermarkt und die Apotheke sei auch bei den anderen Händlern in seiner Lugner-City weniger los, erzählt er. Er selbst verfügt seit dieser Woche über mehr Freizeit. "Vergangene Woche war ich noch auf fünf Veranstaltungen eingeladen. Diese Woche sind alle abgesagt."

Sorge wegen Kinderbetreuung

Kopfzerbrechen bereitet Händlern die Personalplanung. Sie beschäftigen überwiegend Frauen in Teilzeit. Bleiben die Kindergärten und Schulen geschlossen, stellt sich für viele unter ihnen die Frage der Kinderbetreuung. Homeoffice spielt es im Handel jedenfalls nicht. Geschäfte zusperren oder kürzer offenhalten, können sich die wenigsten erlauben. In Einkaufszentren drohen dafür Pönalen.

Einsatzpläne für Mitarbeiter sind in Arbeit, heißt es bei Konzernen wie Spar. Die Lebensmittelkette zählt überdies ein dichtes Netz an Filialen in Italien. Der Zentrale in Padua zufolge laufe dort alles in ruhigen Bahnen. Nach anfänglich starken Vorratseinkäufen habe sich das Geschäft in Italien wieder normalisiert, sagt Spar-Sprecherin Nicole Berkmann. Weder gebe es Probleme mit der Lieferfähigkeit noch bei den Transporten von Frischware nach Österreich.

Mehr Online-Einkäufe

Wie Spar berichtet auch Rewe von einem Anstieg der Online-Bestellungen. Generell seien vor allem Teigwaren, Fertiggerichte, Konserven, Sugo und Reis stark gefragt. Man sei darauf gut vorbereitet, habe die Anlieferung verstärkt und die Nachbestellungen der Lage angepasst, betont Rewe-Sprecher Paul Pöttschacher.

Starken Andrang auf Grundnahrungsmittel erleben auch Großhändler, wie ein Lokalaugenschein am Großmarkt Wien-Inzersdorf zeigt. Statt Einzelhändler kaufen Familien in rauen Mengen ein. Lieferengpässe gibt es keine, erzählen ansässige Unternehmer. Glücklich ob des Ansturms ist man nicht. Denn was jetzt zusätzlich an Umsatz erzielt werde, fehle spätestens dann, wenn Konsumenten ihre gehorteten Vorräte aufbrauchen.

Liquidität notwendig

Was Einzelhändler abseits von Lebensmitteln betrifft, so pochen Thalbauer wie Will auf ein Paket an Sofortmaßnahmen. Dieses solle aus Sicht des Handelsverbands unbürokratischen Zugang zur Kurzarbeit und mehr Geld für diese ebenso beinhalten wie Kreditgarantien, temporäre Zuschüsse bei Mietzahlungen und zinsfreie Steuerstundungen. Auch die Wirtschaftskammer fordert eine Stundung für Steuern und Sozialversicherungsabgaben, Überbrückungsfinanzierungen und die Übernahme von Kreditgarantien.

"Es braucht vor allem Liquidität und Hilfen für Kurzarbeit – so schnell wie möglich", sagt Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsverbands. Den Händlern laufe die Zeit davon. Ohne Hilfe müssten viele bereits zu Ostern die Schlüssel für ihre Geschäfte abgeben. Später Strukturen im Einzelhandel neu aufzubauen, die jetzt zerstört würden, komme Österreich um ein Vielfaches teurer. (Verena Kainrath, 12.3.2020)

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