Eigentlich sollte die Leipziger Buchmesse am Donnerstag starten, wegen der Angst vor Corona tut sie das aber nicht. Wirtschaftlich gesehen ist Frankfurt im Herbst der wichtigere Branchentreff, dort werden die Lizenzen gehandelt. Leipzig ist mit fast 300.000 Gästen aber die größte Publikumsmesse und im Kalender der soziale Termin. Für viele Verleger und Autoren stehen hier Wiedersehen, Kennenlernen und Networken im Vordergrund.

Welche Auslagen ihnen von der Buchmesse erstattet werden, ist noch unklar, sagen heimische Verleger. Sie rechnen damit, dass sie die Standkosten retourniert bekommen, für Anreise und Werbung bleiben Schäden im vier- bis fünfstelligen Bereich.

Um von der Leipzig-Absage härter getroffenen Kleinverlagen zu helfen, will #bücherhamstern auf Twitter Aufmerksamkeit und Verkäufe generieren. Das fügt sich wiederum in Tendenzen zu Diversität und Grassrootsbewegungen.

Braucht es Buchmessen noch?

Stellt sich die Frage: Brauchen Bücher Buchmessen noch? Das Motto "Mach’s dir selbst" gilt nicht nur für Selbstbedienungskassen im Supermarkt. Hörte die Buchpromotion für Autoren früher bei Interviews und Lesereisen auf, sollen mittlerweile Leser per Twitter live dabei sein, wenn Autoren Einbandfarben begutachten oder im Verlag ein Lesebändchen aussuchen.

Jüngstes Erfolgsbeispiel für PR im Followerkreis ist Jasmin Schreiber (31). Ihr Roman Marianengraben war eine Woche vor Erscheinen Ende Februar restlos vorbestellt, alle 10.000 Stück. Die zweite Auflage wurde vor der Erstveröffentlichung nachgedruckt und stieg hoch in die Bestsellerlisten ein. Ungewöhnlich für ein Debüt. Doch Schreiber hat 31.000 Follower auf Twitter. Sie postet Videos aus Buchhandlungen oder klagt: "Mein erstes Buch und die Promo-Phase säuft in einer Pandemie ab. Kauft bitte trotzdem mein Buch." Pianist Igor Levit und Comedian Nico Semsrott folgen ihr und haben das Buch empfohlen.

Schreiber hatte sich zuvor mit ihrem thematisch verwandten Blog Sterben üben bereits Leserschaft online erwirtschaftet. Verlage buhlen um interneterprobte Autoren, in Buchvorschauen findet man Hinweise wie: "XY schreibt auf Twitter, wo seine Anekdoten eine große Leserschaft haben." Man kennt das von schreibenden TV-Stars. Da Werbebudgets für Bücher klein sind, ist gratis Reichweite wichtig.

Likes wollen gelernt sein

Wie viel Strategie steckt also hinter der Onlinevermarktung? Oder ist es die natürliche Beigabe einer Autorengeneration, die mit Facebook und Co groß geworden ist und privat gelernt hat, sich dort für Likes zu präsentieren?

Sicher war es "die gute Onlinevernetzung auch mit prominenten Leuten, die die Sichtbarkeit des Buches befördert haben", sagt Schreibers Verleger Dominique Pleimling von Eichborn. Doch würde er "nie zu einer Autorin sagen, melde dich mal bei Facebook an und mach was für dein Buch".

Wie auch immer: Die Branche bietet Onlinemarketing-Workshops für Verlage an. Gelernt ist gelernt, eine gewisse Wärme im Umgang ist wichtig, damit soziale Netze verfangen. Dank Infoberieselung können Autoren zu Marken werden. Kundenbindung heißt das und wirkt über die kurzen Aufmerksamkeitsspannen der Feuilletons hinaus. Deren Bedeutung ist verkaufstechnisch sowieso gesunken, sagen Verlage. Rezensionen dienen oft der Ehre.

Werbung muss nicht alle erreichen, aber jene, die empfänglich sind. Mit Follower-PR verhält es sich wie mit alternativen Fakten im Wahlkampf. Für Genreliteratur, die in Feuilletons kaum je vorkommt, sind gut organisierte digitale Kreise schon lange wichtig, die Belletristik holt derzeit auf.

Ein Autor, wie er sein muss

Auf die Frage nach ihrem Lieblingsautor antwortete Jasmin Schreiber einmal Saša Stanišic. Der ist nebenbei einer der aktivsten Autoren auf Twitter – nicht nur, wenn er gegen den Literaturnobelpreis für Peter Handke wettert. Bis Jänner hatte er von seinem Roman Herkunft 270.000 Exemplare verkauft, in Stellungnahmen verwies sein Verlag unter anderem darauf, dass Stanišic auf Twitter aktiv sei.Stanišic hat nicht nur eine Community, er ist wirklich Teil davon. Er spielt mit leichten Fingern auf einer Klaviatur aus ulkigen Zitaten, Fanpost und netten Erlebnissen, antwortet, retweetet. Zu Weihnachten schien sein Roman Herkunft auf Twitter fast das beliebteste Geschenk der Saison zu sein. Anzunehmen, dass der Flow weitere Käufer motiviert hat. Follower sind nicht nur Käufer, sondern auch Multiplikatoren.

Es gebe ein großes Bedürfnis des Publikums, den Autoren zu begegnen, und dieses werde noch stärker, sagen die Verlage. Man sammelt sich am digitalen Lagerfeuer. Bücher wie 1000 Serpentinen Angst haben eigene, von Verlagsleuten befüllte Twitteraccounts und Playlists auf Spotify, wo Autoren Musik, die sie beim Schreiben gehört haben, mit Lesern teilen.

Sympathie ist eine harte Währung. Wenn Autoren ihr soziales Kapital nutzen, um finanzielles für den Verlag daraus zu machen, führt das zu einer Umkehrung von Macht. Stellt sich die Frage: Werden Verlage Verträge mit Autoren irgendwann davon abhängig machen, wie viel Community ein Autor mitbringt? (Michael Wurmitzer, 12.3.2020)