Will die kränkelnde Wirtschaft verarzten: die Europäische Zentralbank.

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Gedrückte Stimmung an der Wall Street.

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Schon wieder. Innerhalb von einer Woche rasselten sowohl der deutsche Leitindex Dax als auch der heimische ATX zum zweiten Mal in den Keller. Im Verlauf ging es für beide um mehr als zehn Prozent nach unten. Der ATX steuerte den größten prozentuellen Verlust seiner Geschichte an, der Dax den zweitgrößten Tagesverlust. All das ausgelöst durch das Coronavirus.

Zwei Belastungsfaktoren dürften zu diesem neuerlichen Crash geführt haben. Einerseits erließ US-Präsident Donald Trump ein 30-tägiges Verbot der Einreise von Europäern in die USA, was hierzulande beispielsweise dazu führte, dass der Flughafen Wien Kurzarbeit für alle Mitarbeiter ab Anfang April vorbereitet. Andererseits stufte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Ausbreitung des Coronavirus als Pandemie ein. Die Folge: An den Börsen kommt es zu panikartigen Reaktionen. Die Ausbreitung des Virus führt zum Ausverkauf.

Ein ähnliches Kursdebakel spielte sich auf der anderen Seite des Atlantiks ab. Die New Yorker Aktienbörsen erlitten den schwächsten Handelstag seit dem "Schwarzen Montag" im Jahr 1987. Der Dow Jones brach um 9,99 Prozent ein, kurz nach Eröffnung setzte die Wall Street den Handel vorübergehend sogar aus.

Die asiatischen Märkte blieben ebenfalls nicht verschont. Bereits vor Beginn des europäischen Handels ließen sich dort Kurseinbrüche beobachten. Die großen japanischen Indizes Nikkei und Topix sowie der führende Hongkonger Aktienindex Hang Seng gaben allesamt um rund vier Prozent nach.

Beruhigungspillen wirken nicht

Dass die Europäische Zentralbank (EZB) am Donnerstag Maßnahmen ankündigte, konnte die Börsen nicht beruhigen. Die Anleger dürften mehr erwartet haben. Um die wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus abzufedern, hat die EZB ein Hilfspaket geschnürt. Konkret soll das Anleihenkaufprogramm bis Jahresende um 120 Milliarden Euro ausgeweitet werden, wie Notenbank-Chefin Christine Lagarde bekanntgab. Im Fokus stehe dabei vor allem die Unterstützung von kleinen und mittleren Unternehmen. Schützenhilfe gibt es auch für die Banken: Die Kapitalvorschriften werden gelockert und der diesjährige Banken-Stresstest auf 2021 verschoben. "Das unterstützt die Finanzierungskonditionen für die Realwirtschaft", sagte Lagarde. Die EZB senkte die Wachstumsprognose für die Eurozone wegen der Corona-Pandemie auf 0,8 Prozent, geht mittelfristig jedoch von einer Erholung aus.

Leitzins bleibt bei null

Für Lagarde, die seit November an der Spitze der Euro-Notenbank steht, ist die Virus-Pandemie die erste große Bewährungsprobe. Selbst wenn die Krise am Ende nur vorübergehend sei, seien die Auswirkungen auf die Wirtschaftsaktivitäten erheblich, sagte die frühere französische Finanzministerin. Der Euro-Leitzins verbleibt unterdessen bei null Prozent, der Strafzins für Banken bei minus 0,5 Prozent. Daran werde sich auch nichts ändern, bis die Inflation den Zielwert knapp unter zwei Prozent erreicht habe, so Lagarde. Besagtem Zielwert hinkt die Eurozone seit dem Frühjahr 2013 hinterher, daher werde man bei Bedarf auch die Zinsen senken, wie die Notenbank-Chefin versprach. Eine Abkehr von der ultralockeren Geldpolitik im Euroraum steht demnach völlig in den Sternen. Die EZB hatte letztmalig im Jahr 2011 ihre Zinsen hochgesetzt. Die Schlüsselzinsen würden noch so lange auf dem aktuellen oder einem tieferen Niveau liegen, bis sich die Inflationsaussichten wieder klar dem Inflationsziel annäherten, erklärten die Währungshüter.

Anders als diese Maschine vollführte die Aktie der Lufthansa am Donnerstag eine Bruchlandung und stürzte um rund zehn Prozent ab (Stand 13 Uhr).
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Von der Bank Austria kam Lob: "Diese Maßnahmen waren zu erwarten. Wichtig ist, dass es zu keiner weiteren Senkung der Depositrate (Strafzinsen, Anm.) kam und dass die EZB angedeutet hat, immer noch genügend Mittel zu haben", sagt Stefan Bruckbauer, Chefvolkswirt bei der Bank Austria. Die Lockerung der Kapitalvorschriften sei ebenfalls ein guter Schritt.

Grundsätzlich fielen die Reaktionen aus den Finanzhäusern gemischt, aber tendenziell positiv aus. "Das Paket war kleiner als gedacht", verlautbarte etwa Uwe Burkert, Chefökonom der Landesbank Baden-Württembergs. Insgesamt herrscht bei den Banken jedoch Erleichterung: Die Liquiditätshilfen, Wertpapierkäufe und gelockerten Bankenregulierungen sollten Wirkung zeigen, man setzte mit den KMUs an der richtigen Stelle an, so der Tenor.

Die durch das Virus hervorgerufenen Rezessionsängste haben weltweit Reaktionen der Notenbanken und Regierungen hervorgerufen. Die Notenbanken der USA, Chinas und Großbritanniens haben ihren jeweiligen Leitzins gesenkt. Deutschland und Frankreich haben die Regelungen für Kurzarbeit gelockert. Australien pumpt 11,4 Milliarden Dollar in die Wirtschaft, Japan vier Milliarden. Mit ihren Maßnahmen ist die Europäische Zentralbank also nicht allein.

Sorge wegen Bankenkrise

Über all diesen Entwicklungen schwebt die Sorge wegen einer möglichen Bankenkrise. Anleger fürchten um die Profitabilität der Finanzhäuser, da durch die strauchelnde Realwirtschaft Kreditrückzahlungen auszufallen drohen. Im Zentrum der Debatte stand am Donnerstagvormittag auch das hochverschuldete Italien. "Da muss gesamteuropäisch geholfen werden", forderte der deutsche Ökonom Jens Südekum. Der italienische Bankensektor ist mit dem deutschen im Umfang von 76 Milliarden Euro verwoben.

Wie hilfreich das Paket der Zentralbank ist, muss zumindest hinterfragt werden: Ist klassische Geldpolitik überhaupt das geeignete Impfmittel gegen die wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus? Die Ursache der Turbulenzen kann das Paket der EZB nicht beheben: Zersprengte Lieferketten bleiben zersprengt, abgesagte Messen bleiben abgesagt. Und auch potenzielle Touristen werden von Anleihenkäufen eher unbeeindruckt bleiben. (Andreas Danzer, Tobias Kachelmeier, 12.3.2020)