"Widerstand ist zwecklos", diesen Ausdruck verwendete die Spezies der Borg in der Science-Fiction-Serie "Star Trek", wenn sie andere Lebewesen und Kulturen ihrem Regelsystem unterwarf. Aber ist Widerstand wirklich zwecklos – und wie muss er gestaltet sein, damit er gut funktioniert? In diesem Beitrag wollen wir uns einer besonderen und angesichts der aktuellen Klimakrise wieder äußerst präsenten Form des Widerstands widmen – nämlich dem zivilen Ungehorsam. Wenn Schülerinnen und Schüler weltweit am Freitagvormittag die Schule schwänzen und für eine mutigere Klimapolitik auf die Straße gehen, wenn Aktivistinnen und Aktivisten mit ihren Körpern jahrelang das Voranschreiten des Kohletagebaus in einem kleinen Wald bei Hambach oder riesige Bagger der Braunkohleindustrie im Rheinland besetzen, wenn in Wien unangemeldet wichtige Straßenzüge blockiert werden, um für ein Handeln in der ökologischen Krise und eine Mobilitätswende einzutreten, dann können wir von zivilem Ungehorsam sprechen.

Schule schwänzen fürs Klima: Fridays for Future.
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Am 15. März 2020 – mittlerweile wegen des Coronavirus von der Straße ins Netz verlegt – jährt sich der erste durch die Proteste der Schülerin Greta Thunberg vor dem schwedischen Reichstagsgebäude inspirierte weltweite Klimastreik. Die inhaltliche Klammer von Fridays for Future, Extinction Rebellion bis hin zu den vor allem in Deutschland und Österreich sehr aktiven Bündnissen wie Ende Gelände oder System Change not Climate Change ist der Kampf um die Klimagerechtigkeit. Dieser Kampf wird nicht nur mit Demonstrationen oder Klimaklagen geführt, sondern insbesondere auch mithilfe von illegalen Protest- und Aktionsformen. Den Protestierenden zufolge rechtfertigt der Klimanotstand diese Mittel. Ziviler Ungehorsam ist angemessen und unabdingbar, um eine untätige Politik und die Mehrheitsgesellschaft zu bewegen und zum Handeln zu bringen.

Von Gandhi bis Gorleben

Historische Vorbilder, um Widerstand gegenüber ungerechten Systemen und Regeln zu leisten, gibt es zur Genüge: der nationale indische Freiheitskampf unter Gandhi, die amerikanische Bürgerrechtsbewegung unter Rosa Parks und Martin Luther King bis hin zum Widerstand gegen das Donaukraftwerk Hainburg oder den Transport von Atommüll zur Wiederaufbereitung im französischen La Hague oder in das Zwischenlager Gorleben in Deutschland. Die politische Philosophie und Soziologie sind sich einig darüber, dass diese unterschiedlichen Formen von zivilem Ungehorsam Folgendes gemeinsam haben: Sie müssen öffentlich sichtbar, geplant und willentlich sein und gegen das Gesetz verstoßen. Die öffentliche Aufmerksamkeit, die ziviler Ungehorsam generiert, wird als Mittel zum Zweck eingesetzt.

Im Gegensatz zu Aufständen oder den meisten Revolutionen ist ziviler Ungehorsam im neuen Klimaaktivismus in der Regel gewaltfrei. Gewalt gegenüber Menschen wird grundsätzlich abgelehnt, und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von Aktionen werden darauf mehrfach hingewiesen – zum Beispiel im sogenannten Aktionskonsens von Ende Gelände, den sieben Grundsätzen von Fridays for Future Austria oder dem Rebellionskonsens von Extinction Rebellion. Wer die darin beschriebenen Handlungen und Verhaltensweisen goutiert, ist herzlichst eingeladen zu partizipieren.

Blockieren und Besetzen

Diese Vereinbarungen können aber durchaus – und damit anders als bei den friedlichen Massendemonstrationen von Fridays for Future – Sachbeschädigungen, Hausfriedensbruch oder das "kreative Irreführen" der Polizei beinhalten. Im Aktionskonsens von Ende Gelände aus dem Sommer 2019 liest sich das dann zum Beispiel so: "Wir werden uns ruhig und besonnen verhalten; wir gefährden keine Menschen. Wir werden mit unseren Körpern blockieren und besetzen; es ist nicht das Ziel, Infrastruktur zu zerstören oder zu beschädigen. Wir werden uns nicht von baulichen Hindernissen aufhalten lassen. Absperrungen von Polizei oder Werkschutz werden wir durch- oder umfließen. Unsere Aktion wird ein Bild der Vielfalt, Kreativität und Offenheit vermitteln." Wie man Widerstand leistet, sich wegtragen lässt, ob Identität preisgegeben wird oder nicht und wie auf etwaige Polizeigewalt reagiert wird, darauf werden Beteiligte in den sogenannten Aktionstrainings von Ende Gelände und Extinction Rebellion intensiv geschult und vorbereitet.

Bei den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der neuen Klimabewegungen ist eine gewisse Unzufriedenheit mit den Ergebnissen parlamentarischer Demokratie feststellbar. Sie meinen, dass die Radikalität der Veränderung im Sinne der "großen Transformation" radikalere Mittel der demokratischen Beteiligung braucht. Sie wollen Veränderung, und diese muss viel rascher vonstattengehen, als es die Politik bei den internationalen Klima- und nationalen Koalitionsverhandlungen verspricht.

Die Klimagerechtigkeitsbewegung argumentiert, dass das Nichthandeln der Politik zum Widerstand zwingt. Ziviler Ungehorsam wird dadurch zu einem legitimen Mittel, um gegen eine ungerechte Politik aufzutreten. Aus rechtsstaatlicher Sicht würde dem jedoch entgegnet werden, dass diese Protestformen illegitim sind. Wie weit sich eventuell auch der Rechtsstaat in Sachen Klimagerechtigkeit weiterentwickeln muss, zeigt sich anhand eines aktuellen Gerichtsurteils in der Schweiz. Dort wurden die Besetzer einer Filiale der Credit Suisse, eines Bankunternehmens, das die fossile Industrie maßgeblich finanziert, vor Gericht in erster Instanz mit der Begründung freigesprochen, ihr Handeln sei aufgrund der Klimakatastrophe "notwendig und angemessen" gewesen.

Mehr als nur Schlagwörter

Im Vergleich zu anderen illegalen Protesten – ob von links oder rechts – ist der zivile Ungehorsam der neuen Klimabewegung meist äußerst gut organisiert und orchestriert. Unsere Forschung deutet darauf hin, dass Achtsamkeit untereinander, gegenüber einem selbst und der Natur, Geschlechtergerechtigkeit, Transparenz und Diversität in den Bewegungen nicht zu Schlagwörtern verkommen, sondern immanente und viel reflektierte Themen sind. Oft wird der Versuch unternommen, unter Einhaltung gesellschaftlicher Spielregeln auf wichtige Gefahren und notwendige Schritte für eine klimagerechte Zukunft hinzuweisen. Aus sozialwissenschaftlicher Perspektive scheinen daher Versuche, diese Aktionsformen zu desavouieren oder als linksextrem einzustufen, eher kontraproduktiv.

Demokratiepolitisch gesehen erfüllt der neue Klimaaktivismus nämlich zwei zentrale Anforderungen gesellschaftlicher Teilhabe: Selbstermächtigung und soziale Kohäsion. Selbstermächtigung heißt, dass sich Menschen für die eigenen Bedürfnisse oder die von anderen fair und gerecht einsetzen. Soziale Kohäsion bedeutet, das Wohlergehen aller Mitglieder einer Gesellschaft zu sichern. Beides betont den emanzipatorischen Charakter von Partizipation sowie soziale und politische Gerechtigkeit.

Hinzu kommt eine wahrscheinlich noch viel wichtigere Funktion, nämlich die der Diskursverschiebung. Wir reden heute ganz anders über den Klimawandel, als wir das vor zehn oder nur vor einem Jahr getan haben. Auch die mit dem Klimawandel verbundenen notwendigen Maßnahmen werden anders gedacht, überlegt und verhandelt. Wenn ziviler Ungehorsam auf diese Art und Weise gelebt wird, dann stellt er durchaus eine Bereicherung demokratischer Spielregeln und Willensäußerungen dar. Das ist der wichtigste Ertrag des neuen zivilen Ungehorsams in der Klimapolitik. (Aron Buzogány, Patrick Scherhaufer, 13.3.2020)

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