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Das öffentliche Leben in Italien steht still. Diese Aufnahme zeigt einen Arbeiter beim Desinfizieren in Venedig.

Foto: REUTERS / MANUEL SILVESTRI

In Italien ist nun praktisch alles verboten, und selbst Spazierengehen ist nur noch erlaubt, wenn man dabei einen Sicherheitsabstand von einem Meter zu seinen Mitmenschen einhält. "Die wichtigste Regel ist und bleibt: Man geht nur noch aus dem Haus, wenn es absolut unumgänglich ist", hat Regierungschef Giuseppe Conte in der Nacht auf Mittwoch verkündet. Nur so könne die rasende Verbreitung des Coronavirus eingedämmt werden.

"Vorerst bis zum 25. März werden alle Geschäfte geschlossen bleiben – außer jene, die Produkte des Grundbedarfs anbieten", erklärte der Ministerpräsident in einer dramatischen Ansprache. "Ich danke allen Italienern für die Opfer, die sie nun erbringen müssen. Aber die Gesundheit der Italienerinnen und Italiener geht vor."

Riesiges Quarantänegebiet

Mit dem neuen Notdekret werden die bereits zwei Tage zuvor verfügten Maßnahmen, bei denen das ganze Land zur "Schutzzone" erklärt wurde, ein weiteres Mal drastisch verschärft. Italien ist nun ein einziges riesiges Quarantänegebiet mit 60 Millionen Einwohnern. Geöffnet waren am Mittwoch im Wesentlichen noch Lebensmittelläden, Supermärkte, Apotheken, Tabakwaren- und Zeitungsstände.

Trattorien, Restaurants und Bars, die zuvor noch bis 18 Uhr geöffnet bleiben durften, blieben am Mittwoch geschlossen, ebenso die Friseursalons. Besuche bei Freunden sind untersagt, Feste sowieso; die Fahrt ins Ferienhaus am Meer ist ebenfalls verboten. Ins Freie darf man in Italien nur noch mit einem triftigen Grund: um einzukaufen, um in die Arbeit zu gehen, für medizinische Behandlungen oder in nicht näher definierten "Notfällen".

Kontakte ausgesetzt

Mit den neuen Maßnahmen hat die Regierung erreicht, was bisher nur zum Teil gelungen war: Soziale Kontakte sind ausgesetzt, das öffentliche Leben ist praktisch zum Stillstand gekommen. Die Straßen Roms, in denen normalerweise das Chaos herrscht, sind seit Mittwoch gespenstisch leer. Die Busse fahren zwar noch, aber meist sitzt darin, wenn überhaupt, nur eine Handvoll Passagiere.

Praktisch die einzigen Menschen, die man in der Ewigen Stadt zu Gesicht bekommt, sind Leute, die in langen Schlangen vor Lebensmittelläden und Supermärkten stehen, im vorgeschriebenen Sicherheitsabstand von mindestens einem Meter. Vereinzelt haben Polizeibeamte oder Carabinieri an den Straßen Kontrollposten eingerichtet, bei denen die wenigen Passanten ihren selbstausgefüllten Passierschein vorweisen mussten. Darin muss man den Grund angeben, warum man sich im Freien bewegt.

Es scheint, dass die Bevölkerung den Ernst der Lage verstanden hat. "Die Maßnahmen sind gerechtfertigt und nötig", sagt der 68-jährige ehemalige Finanzbeamte Paolo, der vor dem Carrefour-Supermarkt an der Straße des 21. April mit etwa dreißig anderen Kunden geduldig wartet, bis er von einem Türsteher mit Gesichtsmaske eingelassen wird. Die Angst vor einer Ansteckung ist allgegenwärtig. "60 Prozent von dem, was man jetzt erlebt, ist meiner Meinung nach zwar der Hysterie zuzuschreiben, die von den Medien noch geschürt wird. Aber zu 40 Prozent beruhen die Maßnahmen auf einer realen Bedrohung", glaubt Paolo. Er sei jedenfalls vorsichtig und versuche sich so gut wie möglich zu schützen und sich an die Vorgaben der Regierung zu halten. Die anderen Kunden in der Schlange stimmen zu.

Breiter Konsens

Auch politisch gibt es für die neuen Maßnahmen einen breiten Konsens: Die Regierungsparteien – die Fünf-Sterne-Bewegung und die Sozialdemokraten – haben zugestimmt. Die von Lega-Chef Matteo Salvini angeführte Opposition ist ebenfalls einverstanden.

Die von der Epidemie am meisten betroffenen Regionen Lombardei und Venetien hatten die Verschärfung der Maßnahmen schon am Tag zuvor gefordert: In den beiden Regionen droht die Intensivmedizin unter der Last der Covid-19-Patienten zu kollabieren. In einzelnen Spitälern wird wegen des akuten Mangels an Intensivpflegebetten eine Triage vorgenommen: Wer ohnehin schlechte Überlebenschancen hat, wird schon gar nicht mehr aufgenommen.

Werden Maßnahmen ausreichen?

Die große Frage lautet: Werden die neuen Maßnahmen ausreichen, um die Epidemie zu stoppen oder mindestens spürbar zu verlangsamen? Gianni Rezza, Chef der Abteilung Infektionskrankheiten des nationalen Gesundheitsinstituts, zeigt sich zuversichtlich: "Wir tun jetzt das, was nötig ist. Aber es wird entscheidend sein, dass sich wirklich alle an die neuen Vorschriften halten." Dann werde man in einigen Wochen zweifellos die erhofften Resultate sehen.

Größere Sorgen bereiten Rezza derzeit einige EU-Partner, die noch nicht die nötigen Vorkehrungen getroffen hätten und in Kürze ähnliche Probleme bekommen könnten wie Italien. "Denjenigen, die uns jetzt kritisieren, wir hätten zu spät reagiert, rate ich, erst einmal die nächsten Wochen abzuwarten, bevor sie über uns urteilen", sagt Rezza. Mit 12.839 Infizierten und 1.016 Toten (Stand Donnerstag, 18 Uhr) ist Italien derzeit europaweit das mit Abstand am stärksten von der Epidemie betroffene Land.

Betroffen von den neuen Maßnahmen sind auch die Unternehmen und der öffentliche Dienst: Alle Betriebe und Fabriken, die nicht von strategischer Bedeutung sind und die kein Homeworking einführen können, müssen die Produktion reduzieren oder ganz einstellen. Ausgenommen von den Restriktionen sind die Landwirtschaft, Verkehr sowie Bank-, Post- und Versicherungsdienstleistungen. Letztlich sind die Folgen der Corona-Krise für die italienische Wirtschaft aber noch nicht absehbar – die Schäden werden sich aber mit Sicherheit auf zweistellige Milliardenbeträge belaufen.

Die Tourismusbranche, die in Italien für zwölf Prozent des Bruttoinlandsprodukts verantwortlich ist, leidet jetzt schon unter Umsatzeinbußen von bis zu 90 Prozent, vor allem in Norditalien (wo unter anderem auch die Skigebiete geschlossen wurden). Die drittgrößte Volkswirtschaft der EU wird in diesem Jahr laut einhelliger Meinung der Experten in eine Rezession geraten. (Dominik Straub aus Rom, 12.3.2020)