Regisseur Tobias Wellemeyer setzt das Stück pur und schnörkellos um.

Foto: anja koehler/andereart.de

Die weiße Hauswand fährt nach vorn, treibt einen Mann im Arbeitskittel vor sich her. Der Professor will zu Steffi, es sei dringend. Seine Kunst gilt als entartet. Doch Stephanie Hollenstein, mittlerweile aufgestiegen zur strammen Präsidentin der Vereinigung bildender Künstlerinnen der Reichsgaue der Ostmark, verlangt von ihm, in der vom Führer verfügten Richtung zu arbeiten. Die beiden, einst einander kollegial zugetan, entzweien sich. "Das ist nicht die Steffi, die ich kenn’", konstatiert der entgeisterte Professor Bechtold. "Ich habe gekämpft für dich, Albert", zischt ihm die Hollenstein zu.

In dieser Szene zeigt sich exemplarisch der große Wandel, auf den Autor Thomas Arzt hingearbeitet hat. In seinem Stück Hollenstein, ein Heimatbild, das als Auftragsarbeit für das Vorarlberger Landestheater Bregenz entstanden ist, zeichnet Arzt das faszinierende Leben der umstrittenen Vorarlberger Künstlerin Stephanie Hollenstein (1866–1944) nach.

Das Lustenauer Bauernmädchen, das beim Viehhüten zeichnete, wird an der Kunstgewerbeschule München aufgenommen. Sie schmuggelt sich als "Soldat Stephan Hollenstein" an die Front. In den Zwischenkriegsjahren wird sie zur gefeierten Künstlerin. Ihre Faszination für den Nationalsozialismus wächst. Ebenso beanspruchen ihr lesbisches Leben und Lieben sowie ihre Karriere als Nazifunktionärin Platz. Über allem aber steht ihr fortwährender Kampf um Anerkennung. Arzt rollt Hollensteins Leben chronologisch und ausführlich auf, ein wenig Straffung hätte dem dreistündigen Abend gutgetan. Mit seiner verknappten Sprache schafft Arzt einen getriebenen und zugleich stockenden Duktus. Manche Sätze knallen wie Steine auf den Boden. Dann wieder lässt er Sprachlosigkeit greifbar werden.

Wucht und Zartheit

Regisseur Tobias Wellemeyer setzt die Vorlage pur und schnörkellos um. Er vertraut den Figuren und gibt vor allem Stephanie Hollenstein viel Raum, um sich ihr in all ihrer Widersprüchlichkeit zu nähern. Katrin Hauptmann spielt das mit Wucht und Zartheit, Klarheit und Besessenheit, sie ist das Zentrum des Abends. Drei Schauspielerinnen und drei Schauspieler um sie herum wechseln fliegend die Rollen, sind Künstlerkolleginnen, Soldaten an der Front, eifersüchtige Schwestern oder auch einmal Wellen am italienischen Strand, die ungläubig blinzeln, wenn Stephanie Hollenstein und deren Freundin Franziska einander küssen.

Leider verdeckt das Bühnenbild einen Großteil des Abends. Ein wuchtiger Holzrahmen in Hausform, bespannt mit Gaze, fährt auf dem Podest nach vorn. Die Szenen, die dahinter gespielt werden, erscheinen wie die titelgebenden Heimatbilder auf einer Leinwand. Doch bleiben sie auch unscharf, als würden Regie und Ausstattung den Schleier der Geschichte, den Thomas Arzt von der Figur wegzieht, wieder darüberlegen. (Julia Nehmiz, 12.3.2020)