Es gibt in dem Wes-Anderson-Film Grand Budapest Hotel eine Szene, die unwirklich schön ist: der erste Blick auf die Hotelanlage, in unfassbarer Höhe auf einem Berggipfel thronend. Einsam, erhaben und irgendwie auch unheimlich. Es schneit, und die Zahnradbahn quält sich langsam hoch bis ans Ende der Welt. Dorthin, wo die Zeit stehengeblieben ist.

Unwirklich schön: Das Hotel Bellevue des Alpes
Foto: Scheidegg Hotels

Ähnlich fühlt man sich, wenn man das Schweizer Grandhotel Bellevue des Alpes erreichen möchte. Die Grindelwald-Bahn ist ein Holzklasse-Zahnradzug, Skifahrer und Touristen, die auf das berühmte Jungfraujoch auf 3.466 Metern wollen, sitzen eng beieinander und kommen aus dem Staunen nicht heraus. Es geht steil hinauf, durch Schächte und Tunnel, und auf einmal sieht man es, direkt vor der massiven Eiger-Nordwand, in der viele berühmte Bergsteiger tödlich verunglückt sind: das Grandhotel Bellevue des Alpes. Es leuchtet wie eine Fata Morgana im Schnee. Ein Retrojuwel, als wäre es von Wes Anderson erfunden worden.

Teure Kurzstrecke

Im Bahnhof Kleine Scheidegg auf 2.064 Metern müssen alle aussteigen, aber die wenigsten haben einen Koffer dabei. Für die meisten ist dieser Ort nur eine Umsteigemöglichkeit in die wahrscheinlich teuerste Bahnkurzstrecke des Planeten: Rund 125 Euro zahlt man im Winter für eine 45-minütige Fahrt hin und retour zur Station "Top of Europe", wie man mit dem Jungfraujoch wirbt, das jährlich von rund einer Million Touristen angepeilt wird. Wer hingegen bleibt, stapft über die verschneiten Gleise auf die Sonnenterrasse des Hotels zu.

Der 1920er-Jahre-Retrocharme zieht vor allem im Winter Stammgäste an, die teilweise auch schon mehrere Generationen lang kommen.
Foto: Scheidegg Hotels

Durch die massive Drehtür, die zu einem Grandhotel nun einmal gehört, betritt man eine längst versunken geglaubte Epoche. Der Touristenrummel verstummt sofort, es ist ruhig und heimelig. Ein Kamin steht beim Eingang, umringt von Sofas und Fauteuils, in denen man augenblicklich versinken kann. Eine knarrende Holztreppe führt zu den Zimmern, in denen ein altmodisches Telefon auf dem Nachtkästchen wartet. Die Wandtapeten passen zu den Vorhängen und Lampenschirmen, im Bad findet man freistehende Wannen auf kleinen Metallfüßen, sie haben altmodische Armaturen. Es gibt weder Fernseher noch Lift noch Saunabereich. Aber wer braucht das schon, wenn man von der Wanne aus einen Blick auf Bergmassive wie Jungfrau, Mönch und Eiger hat? Das Trinkwasser ist eiskalt und kommt direkt vom Lauberhorn aus eigener Quelle.

Per Wählscheibe mit der Vergangenheit verbunden: In den Zimmern herrscht Retrochic.
Foto: Scheidegg Hotels

Früher, liest man, gab es nur wenige Minuten am Tag Internetzugang, mittlerweile ist zumindest in der Lobby für schnelles Gratis-WLAN gesorgt. Im Zimmer findet sich ein Zettel, auf dem aber gebeten wird, zum Essen die Handys und Tablets nicht mitzunehmen. Außerdem möge man nicht in Sportkleidung beim Dinner auftauchen. So viel Stil muss sein.

Liebevoll renoviert

Ansonsten hat das Bellevue des Alpes die richtige Mischung aus Laisser-faire und Service, die wahren Luxus ausmacht. Man wird in Ruhe gelassen, fühlt sich aber trotzdem, als wäre man ein Familienmitglied in dem Hotel, das in der fünften Generation von der Familie von Almen geführt wird. Andreas war Architekt, seine Frau Silvia Konzertflötistin, 1998 haben sie sich entschlossen, das Erbe anzutreten. Das Hotel wurde liebevoll renoviert, aber so, dass man es kaum merkt.

Die Wandtapeten passen zu den Vorhängen und Lampenschirmen, im Bad findet man freistehende Wannen auf kleinen Metallfüßen, sie haben altmodische Armaturen.
Foto: Scheidegg Hotels

Der 1920er-Jahre-Retrocharme zieht vor allem im Winter Stammgäste an, die teilweise auch schon mehrere Generationen lang kommen. Das Skigebiet ringsum ist weitläufig, es gibt Pisten jeden Schwierigkeitsgrads. Ein paar Hipster haben sich verirrt, die in einem Designmagazin über das legendäre Hotel gelesen haben, das in keinem Bergsteigerfilm über die Eiger-"Mordwand", wie sie respektvoll genannt wird, fehlen darf. Auch nicht im deutschen Film Nordwand (2008) mit Benno Fürmann und Ulrich Tukur, der vom Scheitern von vier Bergsteigern erzählt, die im Juli 1936 von einem Wetterumschwung überrascht werden und alle umkommen. An den Wänden des Hotels hängen historische Aufnahmen von Bergsteigerpionieren und von Hollywoodstar Clint Eastwood, der 1975 den Actionstreifen "The Eiger Sanction" drehte.

Absolute Ruhe

Auf der Sonnenterrasse kann man den ganzen Tag lang sitzen, die frische Luft genießen und lesen. Die Kellner bringen diskret eine Decke, damit es nicht kalt an den Beinen wird. Und sie wissen, aus welcher Perspektive man das beste Foto mit dem Eiger im Hintergrund schießt. Man fühlt sich wie auf Thomas Manns Zauberberg, der ja auch in der Schweiz liegt, aber Davos ist längst nicht so malerisch.

Abends kehrt Ruhe ein. Nur der Wind pfeift ums Haus und man hört die Pistenraupen.
Foto: Scheidegg Hotels

Am schönsten ist es, wenn der Abend anbricht. Die Tagesgäste verschwinden langsam, absolute Ruhe kehrt ein. Vor dem Essen wird der Kamin eingeheizt und der Billardtisch aufgebaut, der nachmittags als Kuchenpräsentationstisch zum Einsatz kommt. Alles hat hier seinen festgelegten Ablauf. Dazu gehört auch ein Aperitif in der kleinen Bar, die im Stil eines britischen Herrenclubs gehalten ist. Erst dann geht man in den holzvertäfelten Speisesaal, der mit roten Lampen heimelig beleuchtet ist. Im Winter pfeift der Wind ums Haus. Man hört das Geräusch der Pistenraupen, die abends aufbrechen. Die tagsüber so geschäftige Eisenbahn wirkt vom Zimmerfenster aus wie liegen gelassenes Spielzeug.

Curling und Champagner

Bereits 1840 gab es ein Gasthaus an dieser Stelle, das von Bergwanderern genutzt wurde. Daraus wurde das Hotel Bellevue, aber es entstand auch eine zweite Unterkunft, die sich Hotel des Alpes nannte. 1929 wurden beide Hotels baulich verbunden, seitdem fanden keine zentralen baulichen Veränderungen mehr statt. In den Roaring Twenties gab sich der Jetset die Drehtür in die Hand. Vor allem Engländer liebten den Charme des Hauses, ein Salon sieht aus, als ob Agatha Christie hier ihre Krimis geschrieben hätte.

Damals befand sich direkt vor der Sonnenterrasse eine Curling-Bahn, Champagner floss in Strömen, und natürlich herrschte abends Black-Tie-Pflicht. Die Engländer kamen, um famose Partys zu feiern und nicht ganz nüchtern Ski zu fahren. Mittlerweile ist das Legende, die Gäste gehen früh ins Bett, schließlich ist man zur Erholung hier. Falls man wegen der Höhe in der ersten Nacht unruhig schläft, sollte man die kleinen Fenster öffnen und die klare, kalte Luft einatmen. Und einen Blick nach draußen riskieren: Das Sternenzelt wölbt sich fast bis zum Boden. (Karin Cerny, RONDO Exklusiv, 20.3.2020)

Info: Doppelzimmerpreis mit Frühstück und Abendessen ab € 365, www.scheidegg-hotels.ch