Wenn Boris Podrecca zu erzählen beginnt, wird es sofort bildhaft und literarisch. Das Gespräch füllt sich mit typischen Podreccismen: Die Poetik der Differenzen, die Polychromie, das heilige zenitale Licht, die Bekleidungstheorie seines Denkvorbilds Gottfried Semper. Architektur, das ist immer Körper. Die Formbarkeit von Fassaden wird durch Zupfen an der Kleidung illustriert, Rundungen sind "Schwangerschaften", die Wiener Karlskirche eine "Primadonna," und auch Monica Bellucci gerne in einem Nebensatz lobend erwähnt.

Polylingual ist auch das Werk des in Belgrad geborenen und in Triest aufgewachsenen Architekten. Podreccas Bauten sind nicht sofort identifizierbar wie Frank Gehrys Verdrehungen, Jean Nouvels schillernde Oberflächen oder Hans Holleins barocke Opulenz. Minimalistisch sind sie erst recht nicht. Sie wollen erzählen, und am besten versteht man sie, wenn der Architekt sie verbalisiert.

Jetzt wird Podrecca zum 80.Geburtstag mit einer Ausstellung gewürdigt, die sich bewusst auf Bauten der letzten 20 Jahre konzentriert. Auch im Gespräch macht Podrecca keineswegs den Eindruck, er bereite sich aufs Altenteil vor. Keine Selbstmusealisierung. Polyglott auch die geographische Streuung der gezeigten Projekte: Belgrad, Venedig, Maribor, Neapel, Dubrovnik.

Fassaden für Franziskaner in einem Quartier für Bankiers: Der Austria Campus in Wien.
Foto: Hertha Hurnaus

Kulturelle Geografie

Auch Wien war für den vielsprachigen Adriatiker ein Koordinatenpunkt von vielen in einer kulturellen Geografie. Mit dem Vorteil, dass er sich hier nie in einer Szene anbiedern musste. Dennoch – oder vielleicht deshalb – sind es zwei seiner Wiener Projekte, die zeigen, was passiert, wenn das Narrative mit einer Realität konfrontiert wird, in der andere das Drehbuch schreiben: Der Praterstern und der benachbarte Austria Campus.

Der Prolog: 1994 gewann er gemeinsam mit Heinz Tesar den städtebaulichen Wettbewerb für das Nordbahnhofareal. "Es ging damals darum, städtebaulich zuerst die Wohnung zu reinigen, bevor man hinaus geht nach Transdanubien," erzählt er. Dreh- und Angelpunkt dieses Übergangs war und ist der Praterstern. Auch hier gewann Podrecca später den Architekturwettbewerb für die Neugestaltung mit der Idee, ein dünnes Membrandach über den ganzen Platz zu spannen. Ein Platz als Gebäude? Auf den ersten Blick überraschend für einen mediterranen Architekten. "Eine italienische Piazza wie in Siena wäre hier völlig falsch," betont Podrecca. Den nach allen Seiten ausfransenden Praterstern bekäme man so nicht in den Griff. Unter dem Schutz des dünnen Daches könne der Platz seine Konflikte aushandeln, werde zum "Apparat, der die Kraft der Stadt subsumiert".

Die Bühne für städtisches Leben ist bereitet, die Stadt muss sie nur noch finden.
Foto: Milan Krambic

Was aus diesem Drehbuch wurde, ist bekannt. Das Dach wurde eingespart, bis auf einen Torso an Stützen, die nichts trugen, im Querschnitt aufgedickt wie weichgekochte Spaghetti – hier, so der Architekt vielsagend, sei wohl jemand pro Gewicht bezahlt worden. Filigrane Eleganz im öffentlichen Raum scheint in dieser Stadt einfach nicht zu funktionieren. Der Rest wurde zur Wiener Melange. Bahnhof, Vordach, Platz und Einbauten haben nichts miteinander zu tun. Die Polyphonie wird zur Dissonanz, wenn an jedem Eck jemand anderes architektonisch vor sich hinredet.

"Ein coitus interruptus" sei der Praterstern geworden, sagt Podrecca heute. Wie Ende 2019 bekannt wurde, wird der Platz nun, nach gerade 10 Jahren und 30 Millionen Euro Kosten für die Freiflächen, abermals umgebaut, die Pergola wird verschwinden, und ein bisschen grüner soll es werden. Wohl nirgends lassen sich die bestimmenden Kräfte in der Politik Wiens so ablesen wie im öffentlichen Raum.

Eine andere Art der Konfrontation mit der Realität widerfuhr dem Architekten am Austria Campus. Podreccas dritter Wettbewerbsgewinn am Nordbahnhof basierte auf dem Entwurf von 1994, allerdings hatten sich die Rahmenbedingungen inzwischen geändert. Das Straßenraster war in etwas dasselbe, doch die ursprünglich vorgesehene Nutzungsmischung war verlorengegangen. Investoren und Bauträger scheuen die Mischung, weil sich nutzungsreine Bauten besser verwalten und verkaufen lassen. Ein elementarer Verlust, der einen Fehler wiederholt: Die Reihe an leblosen Riesenblöcken an der Lassallestraße, die das Nordbahnhofareal abriegelt wie eine Phalanx aufgepumpter Rugbyspieler, hatte schon Reinhard Seiß 2007 in seinem Buch "Wer baut Wien" zu Recht verdammt. Jetzt entsteht dahinter ein weiteres Quartier, das fast nur aus Büros besteht.

Franziskaner und Jesuiten

Auch hier ist die weitere Geschichte bekannt: Ursprünglich als UniCredit Bank Austria Campus geplant, wurde das 200.000 Quadratmeter Bürofläche umfassende Areal in Folge der Finanzkrise 2014 an die Signa Holding verkauft, die es 2017 für 500 Millionen Euro an die Investorengruppe PGIM Real Estate weiterverkaufte.

Die Idee, die ein Traum blieb: Boris Podreccas Membrandach über dem Praterstern.
Foto: Boris Podrecca Architekten, Rendering Wolfgang Beyer

Durch dieses Verscherbelungs-Domino wurde Podreccas Entwurf zwar nicht zum Torso, jedoch kam es zum einigermaßen absurden Effekt, dass die grenzwertig billig kalkulierte Ausführung, die die finanzkrisenbedingt darbende UniCredit verhandelt hatte, von der SIGNA Holding dankend übernommen wurde. "Wir haben für unglaubliche 1090 Euro pro Quadratmeter gebaut, im Edelrohbau", so Podrecca. Eine arte povera für einen Milliardär.

Kurz habe er überlegt, ob er weitermachen solle, doch dann fand sich eine Lösung. "Man kann bauen wie ein Franziskaner oder wie ein Jesuit," und so sei es eben ein Franziskaner-Entwurf geworden. Wienerische Putzfassade statt Spiegelglas, die Fenster mal vertikal "hineingekratzt", mal in springenden Fensterbändern. Die Geschichtenerzählung als Rettung.

Mehr noch als die Fassade versucht der öffentliche Raum, die globale Investoren-Immobilie in der Stadt zu verankern. Die Blöcke öffnen sich – anders als die hermetischen Nachbarn an der Lassallestraße – terrassenartig nach außen, eine einladende Geste. Zumindest die Beschäftigten nehmen das Angebot in ihren Mittags- und Rauchpausen an, und der Freiraum birgt zumindest das Potenzial an Mischung, das das Innere der Häuser nicht einlösen kann. Dennoch: Nach Büroschluss ist die Piazza leer, weil hier niemand wohnt. "Straße der Wiener Wirtschaft" steht auf dem Straßenschild zum Auftakt des Campus. Ein alternativer Titel für diese Geschichte.

"Die Ausstellung im Ringturm zeigt meine Erfolge", sagt Boris Podrecca. "Aber eigentlich bräuchte es daneben eine zweite Ausstellung mit meinen Niederlagen." Polychrom die eine und monochrom die andere. (Maik Novotny, 14.03.2020)