Thomas Piketty wollte sein Buch eigentlich heute Freitag vorstellen.

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Mit Das Kapital im 21. Jahrhundert ist Thomas Piketty in Sphären vorgestoßen, in denen sich Wissenschafter eher selten bewegen. Denn der 2013 veröffentlichte Wälzer, in dem der französische Ökonom nachzeichnet, wie die Einkommensverteilung immer ungleicher wird, hat sich über 2,5 Millionen Mal verkauft. Bei so einer Reichweite, die man eher von Bestsellern aus anderen Genres kennt, stellt sich nicht die Frage, ob es eine Fortsetzung gibt – sondern bloß, wann es sie gibt. Am Mittwoch ist Pikettys Nachfolgewerk nun auch auf Deutsch erschienen.

Kapital und Ideologie heißt sein neues Werk in deutscher Übersetzung, das mit über 1300 Seiten nochmals deutlich umfangreicher ist als sein Vorgänger. Am Freitag hätte der Professor der Pariser École d’Économie sein Buch in der Wiener Arbeiterkammer und damit erstmals in Österreich präsentieren sollen. Die Arbeiterkammer hat den Termin allerdings kurzfristig abgesagt, nachdem die Bundesregierung am Dienstag wegen des Coronavirus zahlreiche Veranstaltungen untersagt hatte. Seinen Vortrag hält Piketty nun per Livestream.

Streifzug durch die Geschichte

Piketty widmet sich auch in Kapital und Ideologie der Ungleichheit. Er unternimmt dabei einen Streifzug durch die Geschichte des Kapitalismus und kommt zu dem Schluss: Soziale Ungleichheit ist in erster Linie ein politisches und ideologisches Problem – und keineswegs alternativlos. Die Eliten würden Begründungen dafür schaffen, dass Ungleichheit gerechtfertigt sei.

Pikettys Forderung: radikale Umverteilung. Nur so könne man der wachsenden Ungleichheit entgegenwirken. Dem Ökonomen schwebt etwa eine Einmahlzahlung von rund 120.000 Euro an junge Erwachsene vor. So würden diese Firmen gründen und Immobilien erwerben können. Reiche würde Piketty viel stärker besteuern – mit bis zu 90 Prozent bei Superreichen.

Ob und wann ungleiche Verteilung von Vermögen oder Einkommen unfair ist, ist unter Ökonomen allerdings umstritten. Während Pikettys Lager darauf pocht, dass Wohlstand möglichst gleich verteilt sein soll, geben Kritiker des Franzosen der Chancengleichheit mehr Gewicht. Demnach ist es nicht unfair, wenn der deutlich mehr hat, der sich deutlich mehr anstrengt. Es müssen nur faire Startbedingungen herrschen.

Ungleichheit messen

Es gibt auch Positionen dazwischen: Andreas Peichl, Ökonom am Münchner Ifo-Institut, hat mit Kollegen eine Studie vorgelegt, die beide Aspekte berücksichtigt – und unfaire Ungleichheit misst. Die Idee: Es gibt ein Existenzminimum, unter das Menschen nicht fallen sollten – sie sollten frei von Armut sein. Es gehe auch darum, seine Chancen zu nutzen, erklärt Peichl. Gemessen an der Ungleichheit in einem Land ist demnach der Teil unfair, der auf Armut oder schlechtere Startbedingungen zurückzuführen ist – zum Beispiel auf Geschlecht oder Migrationshintergrund.

Besonders unfair ist die Ungleichheit demnach in Griechenland, wo viele Menschen am unteren Ende der Einkommensverteilung unter Armut leiden. Dahinter liegen Rumänien, Spanien und Italien. In Österreich sind laut den Studienautoren mindestens zehn Prozent der Ungleichheit auf unfaire Faktoren zurückzuführen.

Migrationshintergrund als Bürde

Zwar sind die Einkommensunterschiede in Österreich laut der Ifo-Studie fairer als in vielen anderen Staaten. Das Land sticht im Staatenvergleich dennoch heraus. Denn unfaire Ungleichheit beruht hierzulande mehr als in allen anderen Ländern, die sich die Autoren angeschaut haben, auf einem Faktor: Migrationshintergrund. Einwanderer haben in Österreich besonders schwierige Startbedingungen, erklärt Peichl: "Migrationshintergrund erklärt etwa die Hälfte der unfairen Ungleichheit in Österreich." Der Rest sei vor allem auf Bildung und Beruf der Eltern zurückzuführen – also ebenso auf fehlende Chancengleichheit.

Wie Piketty beobachtet auch Peichl, dass die unfaire Ungleichheit zunimmt. "In den USA beobachten wir beispielsweise, dass die soziale Mobilität abnimmt", sagt der Ifo-Ökonom. "Bildung und der Beruf der Eltern spielen eine zunehmend größere Rolle." Diese Entwicklung könne man aber nicht nur abfedern, indem man massenhaft umverteilt. Auch sinnvolle Investitionen in das Bildungssystem würden die Chancengleichheit erhöhen, erklärt Peichl. Piketty sieht das freilich etwas radikaler. (Aloysius Widmann, 13.3.2020)