Putztage bringen oft nur kosmetische Erfolge – die aber im Wohnalltag auch nötig sind.

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Der Boden, das Bett, die Arbeitsflächen in der Küche, sogar die Dusche: alles voll. Es sind Stapel von Zeitungen und Zeitschriften, die sich mit den Jahren in der Wohnung angesammelt haben. Ein ausgeklügeltes Gang-System führt an ihnen vorbei durch die Wohnung.

So oder so ähnlich könnte die Wohnung eines Menschen mit Messie-Syndrom aussehen. "Mess" bedeutet auf Englisch Chaos, "Messies" sind Menschen, die zwanghaft Dinge in ihrem Zuhause ansammeln. Das kann langfristig zu Geruchsbelastung für die Nachbarn, erhöhter Brandgefahr und Schädlingsbefall in einem Wohnhaus führen. Kurzfristig bleibt das Problem aber oft unentdeckt.

Auch weil ein wenig Chaos zum Wohnalltag für viele dazugehört. Pathologisch wird das Verhalten aber dann, wenn Betroffene einen Leidensdruck verspüren, wenn vom Chaos eine Gefahr für die Gesundheit ausgeht – und wenn die Wohnung, wie im eingangs erwähnten Fall, an Benützbarkeit verliert. Sich einfach schnell etwas kochen oder ein kurzer Powernap im Bett? Ist nicht mehr so einfach möglich.

Keine Zahlen

Die Psychotherapeutin Kerstin Karlhuber vom Linzer Verein Exit Sozial hat vor einigen Jahren eine Messie-Selbsthilfegruppe ins Leben gerufen, außerdem werden in Linz Einzelberatungen und psychotherapeutische Treffen angeboten. Die meisten, die kommen, sind alleinstehend und wohnen in Mietwohnungen, wie Karlhuber beobachtet. Zahlen dazu, wie viele Menschen in Österreich betroffen sind, gibt es nicht. In Deutschland wird von 300.000 Menschen ausgegangen.

Wie bei vielen psychischen Problemen ist das Problembewusstsein aber oft nicht vorhanden. Viele Menschen werden durch die Angebote daher nicht erreicht. Hilfsangebote gibt es aber auch für betroffene Nachbarn und Angehörige.

Noch ist das Messie-Syndrom keine anerkannte psychische Erkrankung. Es tritt oft in Kombination mit Depressionen, Zwängen, Psychosen oder Demenz auf. "Und das Sammeln hat eine tiefere Bedeutung", sagt Psychotherapeutin Karlhuber. Dahinter stehe eine massive und wiederholte Kränkung in der Kindheit, häufig kombiniert mit Verlusterfahrungen, autoritären Erziehungsmethoden oder Loyalitätskonflikten. Was gesammelt wird, ist kein Zufall.

Arbeitskollegen haben keine Ahnung

Die Idee hinter dem Sammeln sei stets Perfektionismus, erklärt Karlhuber: "Diese Menschen möchten für alle Situationen perfekt gerüstet sein." Außenstehende bekommen das Problem oft nicht einmal mit: Arbeitskollegen haben oft keine Ahnung, dass beim Kollegen zu Hause Chaos herrscht.

Das Messie-Syndrom führt auf Dauer aber zum sozialen Rückzug: Freunde und Familie werden aus Angst und Scham nicht mehr eingeladen. Viele Messies hätten schon Angst, dass der Nachbar einen Blick in die Wohnung erhascht, so Karlhuber. Stressfaktoren sind der Heizungsableser oder Notfälle, bei denen ein Handwerker nötig ist. Der "ultimative Angstfaktor" sei aber der Vermieter – "sogar, wenn er noch gar nicht in Erscheinung getreten ist".

Beim größten Vermieter des Landes, Wiener Wohnen, gibt es "eine Handvoll Fälle" pro Jahr. Oft würde man darauf beispielsweise von Nachbarn aufmerksam gemacht, die sich über Geruchsbelästigung beschweren, manchmal bemerken das auch die eigenen Mitarbeiter, so ein Sprecher des Unternehmens zum STANDARD. In diesen Fällen werden Sozialarbeiter aktiv, die das Gespräch suchen – und Kontakt zu Organisationen herstellen, die die Reinigung und die langfristige Betreuung übernehmen können.

30 Fälle pro Jahr

Bei der Linzer Wohnungsgesellschaft GWG zählt man etwa 30 Messie-Wohnungen pro Jahr. Immer wieder würde man darauf im Rahmen von Beschauungen durch die Feuerpolizei aufmerksam. Oft handle es sich bei den Betroffenen um "übriggebliebene Männer, die mit dem Leben nicht zurechtkommen", sagt Geschäftsführer Nikolaus Stadler.

Hausverwaltungen setzen in solchen Fällen oft eine Räumung an und drohen mit Delogierung. Für Therapeutin Karlhuber ist das verständlich, für Mieter sei das aber traumatisierend. "Die gesammelten Gegenstände haben für Betroffene oft einen unglaublichen Wert, der für Außenstehende gar nicht nachvollziehbar ist", sagt sie. Daher seien auch Putztage, die Verwandte ansetzen, auf die Dauer nicht zielführend. Betroffene hätten Probleme, sich zu entscheiden und Prioritäten zu setzen: "In einer zugemüllten Küche wollen manche dann erst einmal die Teebeutel farblich sortieren."

Räumaktionen bleiben daher bloß Kosmetik – die manchmal allerdings auch dringend notwendig ist. Langfristig geht es aber darum, den Ursachen für das Sammeln auf der Spur zu kommen. Und neue und für den Wohnalltag tauglichere Strategien zu entwickeln, damit umzugehen.

Putztage, die Verwandte ansetzen, bringen nur kosmetische Erfolge – aber auch die sind für den Wohnalltag wichtig. Langfristig müssen Betroffene auf Spurensuche gehen. (Franziska Zoidl, 19.3.2020)