Die Hoffnung stirbt zuletzt, heißt es, und das aus gutem Grund: Mensch kann sich immer dafür entscheiden, unabhängig von allen Umständen, und trifft damit die logische Wahl. Wer aufgibt, hat verloren. Wer auf ein gutes Ende hofft und daran glaubt, bewahrt sich Motivation und Antrieb und damit alle Chancen. Im Fall von Hope: Es gibt kein Zurück. Du kommst an. Oder du stirbst. Für Hope, das somalische Flüchtlingskind, ist das genau der Grund dafür, die Hoffnung niemals aufzugeben.

Ein junger syrischer Flüchtling sitzt im März 2020 auf der Ladefläche eines Vans in der Türkei und hofft darauf, die griechische Grenze zu erreichen.
Foto: Imago / Hans Lucas

Hoffnung ist es auch, die das Kind dazu bringt, sich auf Mathis einzulassen. Der 19-jährige, weiße Kanadier träumt von einer Karriere als Weltenbummler, Fotograf und Reporter. Macht sich viele Gedanken wegen des Fluchtgrundes Nummer eins weltweit: der Klimakrise. Will einen Menschen auf dem Trail der Verzweiflung von Afrika über Brasilien, halb Latein- und ganz Mittelamerika bis ins gelobte Land USA begleiten. Um selbst zu sehen, zu spüren, zu begreifen – und der Welt aus erster Hand berichten zu können. Und hat absolut keine Ahnung, worauf er sich da einlässt.

Erschreckend

Was folgt, sind 500 erschütternde Seiten, die einen nicht aus ihren Fängen lassen, so gut, packend und inhaltsreich sind sie geschrieben. Die Flucht liefert den Handlungsrahmen für eine Kette aus Reportagen, ergänzt um Fact-Sheets, die das fiktive Geschehen in einen schonungslos realen Kontext stellen. Dürren, Hunger, Ozeanversauerung, Wetterextreme, Regenwaldvernichtung, Drogenkartelle, Völkermord, Diktaturen, Monokulturen, Extremismus, Pestizideinsatz, Artensterben – die Büchse der Pandora ist schon lange geöffnet, und der Autor Peer Martin scheint es sich zur Aufgabe gemacht zu haben, uns jedes einzelne Unglück unübersehbar vor Augen zu führen. Zusammen ergibt sich das Bild einer kaputtgeschlagenen Welt – angefüllt mit Leben, Liebe und vollkommen irrsinniger Hoffnung.

Hope wird mit einer Altersempfehlung ab 16 gerade noch als Jugendliteratur eingeordnet, ist aber ebenso wie Martins anderes großartiges Buch, das den Themenkreis Flucht/Migration und Integration berührt, Sommer unter schwarzen Flügeln, definitiv All-Age-(Pflicht-)Lektüre. Solange die Menschheit sich nicht ernsthaft aus dem Untergangsstrudel befreit, in den sie sich geritten hat, solange gilt nicht nur für den Holocaust und andere historische Kapitalverbrechen: niemals vergessen. Und das kann nur auf eine Weise geschehen: indem wir hinschauen.

Peer Martin, "Hope: Es gibt kein Zurück. Du kommst an. Oder du stirbst". Ab 16. € 20,60 / 544 Seiten. Dressler-Verlag, 2019
Foto: Dressler-Verlag

Beglückend

Nach einer solchen Dosis bitterer Medizin brauchen wir jetzt "ein Glücksbuch für alle Kinder der Welt", wie auf dem Buchdeckel von Ein Indianer wie du und ich zu lesen ist. Da sprießen die Erwartungen, wenngleich Klappentexte naturgemäß (hoch)lobend sind, wie der Skeptiker sogleich anmerkt. Doch der hat alsbald Pause: Die kindlich reine Freude, mit der Boaz seine neue Mitschülerin Aisha, die "Indianerin", in sein Herz schließt, obwohl er kaum ein Wort mit ihr wechseln kann, ist von einer grenzenlosen Wärme und Offenheit, dass den kalten Zynikern der Balkanrouten-Wach-und-Schließgesellschaft einfach die Luft wegbleibt. Die aufgeweckte, wunderbar kindgerechte Sprache scheint direkt aus den Gedanken des Achtjährigen zu fließen, wir fühlen wie er alles ungefiltert, von herzstolpernder Begeisterung bis gliederstarrender Angst. Die Botschaft ist einfach: Wir sind füreinander da, dann wird alles gut. Dass Aisha gar keine Indianerin ist, sondern aus einem Land namens Syrien flüchten musste? Ganz egal. Boaz braucht Aisha, und Aisha braucht ihn. Doch dieses Glück ist in Gefahr ...

Liebevoll und stimmig illustriert und als Text-Bild-Gesamtkunstwerk konzipiert, erzählt dieses Büchlein eine berührende Geschichte, die das Kunststück zuwege bringt, immer wieder augenzwinkernd, aber niemals kitschig zu sein. "Ein Glücksbuch für alle Kinder der Welt"? Und ob! Ein Glücksfall, ein Hoffnungsbuch, ein Haltungsbuch, und ja, für alle Kinder der Welt.

Erna Sassen, "Ein Indianer wie du und ich". Ab 9. € 16,40 / 125 Seiten. Freies Geistesleben, 2019

Ermutigend

Ein paar Lebensjahre später und in der unbarmherzigen Realität angesiedelt sind die Stories for Future. Die zentrale Botschaft ist freilich dieselbe: Junge Menschen nehmen ihr Schicksal in die Hand und verändern die Welt. Die Autorin, die italienische Journalistin Viviana Mazza, berichtete als eine der Ersten im Westen über Malala Yousafzai, ihres Zeichens seit 2014 jüngste Trägerin des Friedensnobelpreises für ihren Einsatz für das Recht auf (Mädchen-)Bildung.

Mazzas 13 Storys über außergewöhnliche Jugendliche, die sich gegen die Waffenlobby engagieren (Emma González, USA), gegen Zwangsheirat im Kindesalter rebellieren (Nojoud Ali, Jemen), ihr Schicksal als Opfer eines Säureattentats meistern (Reshma Qureshi, Indien) oder zu Märtyrern und Symbolfiguren für den Wahnsinn des Krieges werden (Hamza Ali al-Khatib, Syrien), sind Glanzstücke engagierten literarischen Journalismus, ergänzt um Kästen mit Mini-Landeskunde. Mazza agiert als Anwältin ihrer Subjekte, verfällt aber nie in Verherrlichung. Wohlgesetzt sind ihre Anteil nehmenden Sätze, die sie zu Reportagen von großer Gegenwärtigkeit aneinanderreiht. Ihre Anteilnahme überträgt sich beim Lesen, die Storys sind aufrüttelnd – und alle machen sie Mut, sich zur Wehr zu setzen und für die eigene Zukunft, Rechte und Träume zu kämpfen.

Viviana Mazza, "Stories for Future. 13 Jugendliche, die etwas bewegen". Ab 13. € 11,30 / 224 S. dtv, 2020
Foto: dtv

Radikal

Die Hoffnung, dass die Jugend seinen lebenslangen Kampf weiterführt, treibt auch den streitbaren Schweizer Soziologen Jean Ziegler in dem schmalen Buch Was ist so schlimm am Kapitalismus? Antworten auf die Fragen meiner Enkelin an. Einmal mehr prangert er darin die Gier nach Geld und Macht, das rücksichtslose Profitdenken als Grundübel der Menschheit an – und damit als eigentliche Ursache für Umweltzerstörung, Hunger, Gewalt und Kriege und den aus alldem notwendig erwachsenden Zwang zu Massenflucht und -migration.

Er tut dies mit radikaler Eloquenz: "Das kapitalistische System lässt sich nicht schrittweise und friedlich reformieren. Wir müssen den Oligarchen die Arme brechen, ihre Macht zerschlagen." Geht es doch gegen eine "kannibalische Weltordnung", gegen ein System, das Tag für Tag tausende Kinder an Hunger, Dreck und mangelnder medizinischer Versorgung krepieren lässt. Das den Reichen gibt und von den Armen nimmt: "Die Menschen in den armen Ländern schuften sich zu Tode, um die Entwicklung der reichen Länder zu finanzieren." Wichtigstes Herrschaftsinstrument sind schon lange nicht mehr Maschinengewehre, sondern der Schuldendienst.

Ziegler bekämpft den Kapitalismus seit mehr als 65 Jahren, weshalb ihm gelegentliches Abdriften in Resignation nachzusehen ist; nun, mit 86, muss er das Feuer weitergeben. Und hofft dafür auf die Jugend, sind doch alle bisherigen Bemühungen im Ansatz gescheitert: "Tatsächlich glaube ich, dass niemand im Westen die Welt wirklich so zu sehen wagt, wie sie ist."

Sein fiktiver Dialog mit einer fiktiven Enkelin gelingt mehrheitlich in anspruchsvoller jugendgerechter Sprache, mitunter zitiert Ziegler jedoch auch Quellen, die für ein gegenwärtiges junges Publikum wohl unverständlich sind. Die Botschaft selbst bleibt davon unberührt: So knüppelhart serviert kann sie nicht missverstanden werden. (Helmut Santler, ALBUM, 15.3.2020)