Foto: Stax Records

Würde die Popwelt abstimmen, das Match um die demokratische Präsidentschaftskandidatur in den USA wäre schon zu seinen Gunsten entschieden. Rund 200 Musikerinnen, Musiker und Bands unterstützen Bernie Sanders. Von Ariana Grande über Billie Eilish bis zu Neil Young, von Miley Cyrus bis zu Cardi B. Sein demokratischer Konkurrent Joe Biden muss sich mit Pop-Diva Cher bescheiden, ebenso attraktiv erscheint Donald Trump der Popwelt. Er erfährt Unterstützung vonseiten des Rappers Kanye West.

"Der Teufel hat keine Musik", sagte Mavis Staples einmal in einem Interview. Es war die Antwort auf die Frage, wie denn das Publikum reagiert habe, nachdem die Staple Singers sich vom Gospel ab- und der weltlichen Musik zugewandt hatten. Das sei kein Problem gewesen, sagte Mavis Staples, die Gemeinde sei vom Flow der Musik einfach mitgerissen worden.

Nicht bloß Gottes Lohn

Den Schritt aus der Kirche taten in den 1960er-Jahren viele afroamerikanische Musiker. Schließlich versprach die Popwelt Ruhm und Geld und nicht bloß Gottes Lohn. Doch die Staple Singers haben nicht bloß das Sujet "Jesus" mit jenem des "Baby" vertauscht. Der aus Chicago stammende Familienverband war zutiefst politisch engagiert. Ihre Musik wurde zu einer wesentlichen Stütze der Bürgerrechtsbewegung.

Noch bevor sie sich dem weltlichen Rhythm ’n’ Blues zugewandt haben, gaben sie bei vielen Auftritten Martin Luther Kings die Vorgruppe. Mavis Staples erlebte, wie Teilnehmer an den Kundgebungen beschimpft und geschlagen wurden. Das prägte sie, die Staples Singers und ihre Kunst. Noch ihre Pop-Hits waren von ihrem gesellschaftlichen Engagement gefärbt.

Unterstützung und Mut

Als die Schwestern Cleotha, Mavis und Yvonne mit ihrem Vater Roebuck "Pops" Staples zum Label Stax nach Memphis wechselten, erklommen sie die Spitze ihrer Popularität – Bruder Pervis zog sich 1969 zurück. Zwischen 1968 und 1974 haben die Staple Singers sechs LPs veröffentlicht. Diese und eine Sammlung von Singles und Live-Mitschnitten des Watt-Stax-Benefiz-Konzerts wurde nun in dem Boxset Come Go With Me neu veröffentlicht.

Edward Kemp

Der Titel ist wohl dem Song If You're Ready (Come Go With Me) entnommen. Er weckt Erinnerungen an die Protestmärsche. Diese demonstrierten Präsenz, Unterstützung und Mut, zumal sie oft in Gebieten stattfanden, in denen die Segregation besonders brutal verteidigt wurde. Es war jene Bewegung, die die damals keine zehn Jahre alte Popkultur politisiert hat.

Stratege Belafonte

Zu den Strategen und Finanziers des Movements zählte Harry Belafonte. Der Sänger und Schauspieler war seit den 1950ern einer der wenigen afroamerikanischer Mainstream-Stars. Hollywood-Kollegen und Popkünstler für die Sache einzuspannen war Belafontes Idee gewesen. Das machte ihre Anliegen über Rassenschranken hinweg bekannt und sexy – vornehmlich für die junge Generation, die den staatlichen Rassismus und seine Auswirkungen nicht länger erdulden wollte.

Die Staple Singers beim Wattstax-Festival.
banach78

Seit damals ist Popkultur zumindest in Vorwahlzeiten mit der Politik verschränkt. Musiker treten bei der Amtseinführungsfeier auf und werden ins Weiße Haus geladen. Zumindest bis zur Ära Trump war das so. Intensiv betrieb das Barack Obama, doch bis dahin war es ein langer Weg.

Bürgerliches Image

Was bei Sam Cookes A Change Is Gonna Come im Jahr 1964 noch eine verhaltene Prognose war, klang bei den Staple Singers einige Jahre später ungleich bestimmter: Titel wie We’ve Got To Get Ourselves Together, Give A Damn, Respect Yourself oder Be What You Are signalisierten, dass man bereit war, Veränderung selbst herbeiführen. Die Hoffnung darauf allein reichte nicht mehr aus.

The Staple Singers - Topic

Die Staple Singers waren der Chor einer friedlichen Revolution. Nicht allein, doch wenige andere Bands vermengten politischen Optimismus in derart knackige Popsongs wie sie. Ihre Message lautete: Love Comes In All Colors. Und sie traten als Familie auf. Das zeitigte selbst im weißen Amerika Wirkung. Die Staples waren keine umstürzlerischen Schwarzen, die davon träumten, plündernd durch die Vorstädte zu ziehen. Als in der Kirche verwurzelte Familie vermittelten sie ein fast schon bürgerliches Image. Gleichzeitig waren sie so funky, dass die Jugend sich ihrer Musik nicht entziehen konnte – obwohl Pops Staples damals schon im Frührenten-Alter war.

Damals wie heute

Das zentrale Thema der Bürgerrechtsbewegung war jenes der Gleichberechtigung. Nicht nur für Bürger mit einer anderen Hautfarbe als weiß, für alle: Sie forderte, was jemand wie Bernie Sanders heute wieder beziehungsweise immer noch will. Freien Zugang zur Bildung, Krankenversicherung für alle, gleichen Lohn ...

Die Bürgerrechtsbewegung erreichte damals einiges. Doch viele theoretisch vereinbarte Dinge wurden in der Praxis nie verwirklicht. Andere wurden und werden von der Realpolitik erodiert. Die politische Bewegung des Bernie Sanders weist inhaltlich und als klassische Basisbewegung viele Ähnlichkeiten mit jener der 1960er auf. Allein – Pop besitzt heute nicht mehr diese Wirkmacht wie damals. (Karl Fluch, 13.3.2020)