Das Schweigen über die Nazizeit ist wieder einmal das Sujet eines Buchs einer jungen österreichischen Autorin. Statt wie bei Raphaela Edelbauer voriges Jahr über einer ganzen Gemeinde liegt es nun bei Valerie Fritsch dunkel und weniger originell über der Familie von Alma. Als wir sie kennenlernen, ist sie noch ein Mädchen. Mit den goldgerahmten Gemälden und Sonntagsessen im Garten ist es aber nicht weit her. Der ihren Großeltern in die Erinnerung eingeschriebene Krieg lastet als Sprachlosigkeit auf der Familie. Der Großvater kann etwa so stumm in der Ecke sitzen, dass er dem Kind oft erst "sichtbar" wird, "wenn die Großmutter ihn ansprach und er sich mit einem Wort von Tisch und Stuhl abgrenzte".

Valerie Fritsch hat sich mit dem neuen Roman viel Zeit gelassen.
Foto: der Plankenauer

Almas Aufwachsen ist einsam, das Zuhause, in dem die Eltern nachts heimlich streiten, scheint ihr eine Kulisse. Sie lauscht und ballt im Bett die Fäuste.

Erst als junge Frau kann Alma sich von den aus der Kindheit davongetragenen Gefühlen befreien. Einerseits baut sie eine tiefere Beziehung zur Großmutter auf, um mit ihr über die Vergangenheit zu sprechen. Der Großvater hat als Soldat getötet und ist erst spät aus dem Gefangenenlager in Kasachstan heimgekehrt. Sie wisse nicht, ob sie dem Gatten seine Taten hätte verzeihen können, hätte er dort nicht jahrelang gebüßt, vertraut die Großmutter der Enkelin an.

Plastisches Beschreiben

Alma hilft aber auch der um einiges ältere Fotoreporter Friedrich. Was als wilde Liebe zweier scheuer Menschen beginnt, mündet in eine Familie. Alma wird Mutter eines kleinen Sohnes ohne Schmerzempfinden. Was ihre Familie seit Generationen plagt, davon ist er im übertragenen Sinn frei. Dass der Bub Emil dem Großvater ähnlich sehen soll, beunruhigt Alma allerdings. Jeden Anflug von normaler kindlicher Gewalt an Emil beobachtet sie also mit Sorge und fragt sich: Ist er ein "Schuldkind"? Wie macht man einem körperlich fühllosen Wesen Schmerz begreifbar? Wie wird es nicht zu einem Monster?

Fünf Jahre hat es gedauert, bis Fritsch ihrem zweiten Roman Winters Garten nun Herzklappen von Johnson & Johnson nachschickte. Fritsch ist ausgebildete Fotografin. Die zweite Profession zieht man oft als Erklärung für ihre plastischen Beschreibungen heran.

Valerie Fritsch, "Herzklappen von Johnson & Johnson". € 22,70 / 174 Seiten. Suhrkamp, Berlin 2020
Foto: Suhrkamp

Fritschs Texte sind sprachlich ungeheuer stimmig. Wird der Geburtstag des Großvaters gefeiert, sitzt er mit seinen Freunden, mit denen er als junger Mann in zu großen Stiefeln in den Krieg gezogen ist, "so weit entfernt von den anderen Gästen beisammen, als fehlten ihnen noch immer die letzten Meter zur Heimkehr". Kein Bild zittert, keine Metapher ist schief. Ungewohnte Präzision in einer Zeit, da Literatur gerne flapsig daherkommt. Fritsch klingt nicht wie Anfang 30.

Leidenschaftlich Reisende

Wenn Emil im Hof spielt und sich jede volle Stunde bei Alma melden und Rede und Antwort stehen muss, ob er sich gestoßen und verletzt hat, oder die Eltern sein Zimmer zur Mahnung mit Röntgenbildern früherer Brüche tapezieren, ist das hübsch und ausladend erzählt. Emils Krankheit ist eine "Körpersprachlosigkeit, die zu schlimmen Dingen schwieg". Aber das Gefühl wächst, als lenke die Ästhetik ab.

Der Roman verschiebt sich von der schweren Last des Nationalsozialismus zur intensiven Liebesgeschichte, zu Muttersorgen und weiter zum Reisebericht. Denn er endet mit der ausladenden Schilderung einer Fahrt Almas mit Kind und Kegel nach Kasachstan, wo ihr Großvater inhaftiert war. Alma will dort Antworten und endlich Ruhe finden. Fritsch ist eine leidenschaftliche Reisende und ist die 16.000 Kilometer ab Graz tatsächlich mit dem Auto gefahren. Ein Aufwand, der im Roman vor allem hübsche Bilder von auf Märkten gestapeltem Gemüse und sandigem Lokalkolorit zeitigt.

Die esoterische Verschränkung von Vergangenheit und Gegenwart, dem Buben und dem Krieg des Großvaters, Schmerz und Schuld fördert zwischen ihren schönen Worten weder Wesentliches noch allzu Erhellendes zutage. Als Leser fühlt man sich von dieser ausnehmend kunstfertigen Erzählstimmen zunehmend eingelullt und um etwas betrogen. (Michael Wurmitzer, ALBUM, 14.3.2020)