Löst die Corona-Krise im Finanzsystem einen Dominoeffekt wie in der Krise 2008 aus?
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Just am Freitag, dem 13. haben die Finanzmärkte zumindest wieder halbwegs Tritt gefasst. Nach dem Ausverkauf der vergangenen Tage erholten sich die Notierungen in Europa vor dem Wochenende wieder etwas. Für eine Entwarnung ist es aber viel zu früh – zumal die rasant gefallenen Aktienkurse ihrerseits wie eine Schockwelle durch das Finanzsystem laufen. Wird dieses standhalten können? Oder wird aus dem Corona-Crash eine neue Finanzkrise?

Schuldenstand auf Rekordniveau

Ein Bericht des Oxford-Economics-Instituts warnt vor den Auswirkungen des Virus: Bereits vor dessen Ausbruch seien die Schwächen des Finanzsystems evident gewesen. Der gleichzeitige Angebots- und Nachfrageschock würde die Politik vor große Herausforderungen stellen. Betroffen seien Unternehmen, Haushalte und Staaten.

Dazu eines vorweg: Die Wirtschaft läuft nach wie vor auf Pump, Schulden sind Teil des Systems. Allerdings ist der weltweite Schuldenstand mit 253 Billionen Dollar doppelt so hoch wie vor der Finanzkrise. Im Zentrum steht wieder die Angst vor ausfallenden Kreditrückzahlungen, die einen Dominoeffekt wie damals auslösen könnten.

Unternehmen in Bredouille

Die Debatte dreht sich dabei vor allem um Unternehmen. Die ausfallende Produktion in Kombination mit der ausbleibenden Nachfrage in Branchen wie dem Tourismus, der Luftfahrt und Teilen des Handels führt fast zwangsläufig zu Liquiditätsengpässen. Den Unternehmen könnte es schwerer fallen, Schulden zurückzuzahlen.

Zuerst greifen Konzerne in solchen Fällen auf Cash-Reserven zurück. Dahingehend stehen sie aber nicht besser da als vor der Finanzkrise. Abseits des reichsten Prozents der Unternehmen – vor allem Technologieriesen wie Apple und Google – haben börsennotierte Konzerne ein besorgniserregendes Cash-Schulden-Verhältnis.

Schlechte Kreditqualität

Sichtbar wird das auch bei den Einschätzungen von Ratingagenturen: Derzeit kratzt der Anteil der mit BBB bewerteten Kredite, das ist gerade noch über Ramschniveau, weltweit an der 50-Prozent-Marke, rechnet Oxford Economics vor. Ein Jahr vor der Finanzkrise lag dieser Wert bei nur etwa 35 Prozent. Anders gesagt: Die Umsatzausfälle durch das Virus könnten zu einem Anstieg an faulen Krediten führen.

Auch die fallenden Aktienkurse haben indirekt Auswirkungen auf die Kreditwürdigkeit der Unternehmen. Sinken Börsenwerte so dramatisch wie zuletzt, müssen Großaktionäre oft in ihren Büchern schmerzhafte Wertberichtigungen durchführen, was zulasten des Eigenkapitals geht – einer der zentralen Faktoren im Bewertungssystem der großen Ratingagenturen S&P, Moody's und Fitch. Die Folge: Die Prämien für Kreditausfallversicherungen sind in manchen Erdteilen um ein Drittel gestiegen – ein Indikator für die Unsicherheit der Investoren.

Auch Haushalte betroffen

Auch Haushalte können in die Bredouille geraten. Menschen werden in Kurzarbeit geschickt oder können gar nicht mehr arbeiten, was zu Verdienstausfällen führt und die Rückzahlung von Konsumkrediten gefährdet.

Hier spielen die unterschiedlichen sozialen Netze der verschiedenen Staaten auch eine Rolle. Staatliche Geldleistungen wie Kranken- und Arbeitslosengeld könnten den Effekt abfedern. Doch nicht alle Bürger dieser Welt können sich auf ein so starkes Sozialsystem wie auf der Insel der Seligen, Österreich, verlassen.

Griechische, US-amerikanische und australische Staatsbürger sind bei Einkommensausfällen laut Oxford Economics besonders verwundbar. Der Anteil an Haushalten mit niedrigen Rücklagen ist dort besonders hoch, die sozialen Netze besonders löchrig. In Italien, Indien und Südafrika gibt es zudem besonders viele faule Haushaltskredite.

Notenbanken mit Notfallpaketen

Den Bankern flattern dementsprechend die Nerven. "Die Angst ist da, und sie ist sehr real", sagte ein deutscher Banker dem "Handelsblatt". Zur Beruhigung schnürten Notenbanken weltweit Notfallpakete, um die Finanzierung von Banken und Firmen sicherzustellen. Die Europäische Zentralbank (EZB) will mit Deregulierung und Anleihenkäufen den Druck auf das Finanzsystem lindern.

Wirkte am Donnerstag nicht gerade souverän: Christine Lagarde, Präsidentin der Europäischen Notenbank, bei der Vorstellung des Maßnahmenpakets.
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So unsouverän der Auftritt von EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag war: Dies kam im Bankensektor gut an. Institute dürfen nun im Ernstfall auf den Großteil der zuvor aufgebauten Liquiditätsreserven zurückgreifen. Die Finanzmärkte hätten sich in der kritischen Lage jedoch mehr von der EZB erwartet und reagierten verschnupft. Einen Schritt weiter ging die US-Notenbank Fed: Sie pumpt 1,5 Billionen Dollar in den Bankenapparat und fährt ihre Wertpapierkäufe hoch.

Noch keine Experimente

Doch auch den Währungshütern geht die Luft aus, wie Oxford Economics warnt. Einen Großteil des Pulvers im Kampf für die Konjunktur haben sie bereits verschossen. Der Leitzins ist – zumindest in der Eurozone – schon bei null. Und vor gewagten geldpolitischen Experimenten wie Helikoptergeld schreckt die EZB derzeit noch zurück. (Tobias Kachelmeier, Alexander Hahn, 14.3.2020)