Niemand hatte es kommen sehen: Die Terroranschläge in New York und Washington am 11. September 2001 mit ihren tausenden Toten kamen in mehrfachem Sinn aus heiterem Himmel. Die Wall Street musste für mehrere Tage schließen, der Flugverkehr in den USA wurde eingestellt, und der Schock traf die Weltwirtschaft ins Mark. Aber die globale Rezession war mild und kurz, ein Jahr später wuchs die Wirtschaft wieder.

Im Sommer 2008 steckte die Finanzwelt bereits seit einem Jahr in der Krise. Doch erst mit dem Kollaps der US-Investmentbank Lehman Brothers am 15. September 2008 brach auch die Realwirtschaft ein. 2009 war das schlimmste Wirtschaftsjahr seit 80 Jahren, in der Eurozone kam die Erholung 2012 wegen der Eurokrise wieder zum Stillstand, und bis heute leiden Millionen von Menschen unter den Spätfolgen dieser Rezession.

Die Folgen der Corona-Krise haben an der Wall Street teils für verzweifelte Gesichter gesorgt.
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Das Coronavirus folgt einem eigenen Muster. Wie die Flugzeuge, die in die New Yorker Türme rasten, ist der Erreger ein "schwarzer Schwan", ein unvorhersehbares Ereignis. Aber er kommt auf leisen Schwimmhäuten daher.

Zuerst legte das Virus die Wirtschaft in großen Teilen Chinas lahm, dann sorgte es in weiten Teilen Italiens für einen ökonomischen Stillstand. Seit der vergangenen Woche brechen die Weltbörsen ein, und nun gibt es kaum noch ein Land, das die Folgen der Pandemie nicht zu spüren bekommt. Die Frage ist kaum noch, ob es zu einer Rezession kommt, sondern wie lange sie anhalten wird. Geht es um ein paar Monate, gefolgt von einem neuerlichen Aufschwung, oder erleben wir ein zweites Lehman?

Podcast: Wie schlimm wird es wirklich?

Anders als frühere Krisen

Die Antwort ist völlig unklar, auch weil frühere Wirtschaftskrisen keine verlässliche Handlungsanleitung bieten. So wie die unglücklichen Familien in Leo Tolstois Anna Karenina ist jede ein wenig anders. "Die Krisen der Vergangenheit sind mit der aktuellen kaum zu vergleichen", sagt Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS). Die Finanzkrise 2008 sei grundlegend anders gewesen: Damals hätten Banken und Finanzinstitute über Nacht festgestellt, dass die vielen auf Immobilien aufbauenden Finanzpapiere in Wahrheit nichts wert sind. Das Finanzsystem, der Blutkreislauf der Realwirtschaft, brach zusammen.

Der aktuelle Ausgangspunkt der Krise ist die Realwirtschaft selbst, der Ausfall unzähliger Produktionsschritte in der Industrie und im Dienstleistungssektor. Der US-Ökonom Kenneth Rogoff sieht eine Parallele zur Ölkrise der 1970er-Jahre, als der dramatische Anstieg des Ölpreises vor allem die Angebotsseite traf. Wenn die Fabriken stillstehen, weil aus China keine Lieferungen mehr kommen, dann gerät die gesamte Wirtschaft ins Stocken. Werden wichtige Güter knapp, dann könnte mittelfristig die Inflation steigen, warnt Rogoff.

"Die Krisen der Vergangenheit sind mit der aktuellen kaum zu vergleichen", sagt Martin Kocher, Chef des Instituts für Höhere Studien.
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Doch der Ölpreis ist dieser Tage massiv gefallen und nicht gestiegen, zuerst wegen der Coronakrise, dann wegen der Preiskämpfe, die unter den großen Ölproduzenten ausgetragen werden – Saudi-Arabien, Russland und die USA. Vor allem für die US-Wirtschaft ist ein rasch fallender Ölpreis heute die weitaus größere Gefahr als ein steigender, sagen Ökonomen.

Fragile Lieferketten

Kocher sieht auch grundsätzlich wenige Parallelen zu den 1970er-Jahren. Das liegt auch daran, dass sich das Krisenszenario von Tag zu Tag verändert. Waren es im Februar noch vor allem die unterbrochenen Lieferketten aus China, die Befürchtungen in der europäischen Industrie ausgelöst haben, so dürfte sich die Lage in China inzwischen wieder beruhigt haben. "Diese Störungen "werden sich in Österreich in Grenzen halten", sagt Stefan Ederer, Konjunkturexperte vom Wirtschaftsforschungsinstitut Wifo. Viele Betriebe könnten Produktionsausfälle im zweiten Halbjahr wieder nachholen.

Dafür aber erlebt nun der Dienstleistungssektor einen Schock. Was bedeutet es für die Konjunktur, wenn nur noch wenige Geschäfte offen haben, Restaurants und Cafés ab 15 Uhr schließen, tausende Veranstaltungen abgesagt werden und hunderttausende Arbeitnehmer unter mühsamen Bedingungen von zu Hause aus arbeiten oder überhaupt ausfallen, aus Sorge vor einer Ansteckung oder weil sie sich um ihre Kinder kümmern müssen?

Am Freitag kam es in ganz Österreich zu Hamsterkäufen.
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Es hängt alles von der Dauer ab, betont Kocher: "Wenn wir in vier Wochen zum Normalzustand zurückkehren, dann würden wir mit einer Delle durchkommen. Doch das erscheint unrealistisch. Wenn es zwei Monate dauert, dann gibt es wenig Chance, eine Rezession zu vermeiden. Aber auch da stellt sich die Frage, wie tief sie sein wird. Ein Minus von einem Prozent ist kein Weltuntergang."

Entscheidend ist auch, wie schnell sich die Wirtschaft danach wieder erholt. Kocher erwartet ein Muster wie "links ein V und rechts ein U" – also ein rascher Absturz und eine langsamere Erholung. Deren Tempo hänge auch von der Entwicklung der Exporte und daher von der Lage in den Auslandsmärkten ab. "Viele Dinge kann man nachholen, etwa einen Autokauf", betont Kocher. "Selbst bei Dienstleistungen ist das möglich." Auch nach der tiefen Rezession von 2009 habe sich die Wirtschaft wieder erholt.

Am stärksten ist derzeit der Tourismus getroffen, und dieses Geschäft ist großteils verloren, sagt Ederer vom Wifo: "Wer einen Urlaub storniert, wird ihn in vielen Fällen nicht mehr nachholen."

Der Wintertourismus ist derzeit besonders stark von den Corona-Folgen betroffen.
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Allerdings ist die heurige Wintersaison ohnehin großteils vorbei und ganz gut gelaufen, sagt Kocher. "Die Verluste für die Wintersportorte sind verkraftbar. Es gab ja schon Winter, in denen Mitte März kein Schnee mehr lag."

Auch die Wertschöpfung der Bereiche Kultur und Sport – dazu gehören Fußballspiele und Opernaufführungen – lasse sich laut Kocher mit zwei Milliarden Euro im Jahr gut berechnen. Aber die tausenden privaten Veranstaltungen, die nun abgesagt werden, seien da nicht enthalten. Das wirke sich dann aus, wenn Jobs verlorengehen, sagt Kocher "Wer arbeitslos ist, hat weniger Geld und kauft weniger ein, was wieder die Unternehmen trifft." In der Folge könnten Betriebe und Haushalte ihre Schulden bei Banken nicht zurückzahlen, was dort dramatische Folgen hat. Kocher: "So entsteht eine Rezession."

Kündigungen angemeldet

Auf dem Arbeitsmarkt sind die Folgen bereits deutlich zu spüren. Geschäfte und Restaurants, die keinen Umsatz mehr machen, können auch ihre Mitarbeiter nicht mehr bezahlen. Aus dem AMS heißt es, dass die Zahl von Unternehmen sprunghaft angestiegen ist, die per Frühwarnung Kündigungen anmelden. Solche Frühwarnungen sind für Betriebe ab 20 Mitarbeitern, die mehrere Personen kündigen wollen, verpflichtend. Sie müssen dann 30 Tage warten. Aber auch die Zahl der Ausnahmeanträge, um sofort kündigen zu können, gehe deutlich nach oben, sagt das AMS.

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Geschäfte, die nicht offenhalten dürfen, können auch ihre Mitarbeiter nicht bezahlen. Die Folge sind weitreichende Kündigungen im Handel.
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Das größte Krisenzeichen ist derzeit der Kursrutsch an den Börsen, der mit den Tagen nach dem Lehman-Kollaps vergleichbar ist. Vor allem am Donnerstag beschleunigte sich der Kursverlust dramatisch, nachdem die Weltgesundheitsorganisation WHO eine Pandemie ausgerufen und US-Präsident Donald Trump Einreisen aus Europa verboten hatte. Die breite Erholung am Freitag ist noch kein Grund zur Entwarnung, sagen Börsianer. Was sie derzeit am meisten irritiert, ist der Mangel an internationaler Kooperation, der durch Trumps einseitige Ankündigung sichtbar wurde.

Erinnerung an 1987

Das erinnerte manche an den schlimmsten Börsentag der US-Geschichte: den 19. Oktober 1987, als der Dow-Jones-Index 22,6 Prozent verlor, nachdem ein offener Streit zwischen der US-Regierung und der Deutschen Bundesbank über die Zinsentwicklung ausgebrochen war. Doch damals erholten sich die Märkte rasch, auch dank einer Zinssenkung der US-Notenbank Fed, und die befürchtete Rezession trat gar nicht ein.

"Auf den heimischen Konsum werden sich diese Börsenverluste nicht auswirken, weil Haushalte von Verlusten nicht so stark betroffen sind, sagt Ökonom Ederer. Auch für Banken sind die Kursverluste ein begrenztes Problem, weil Kreditinstitute nur beschränkt selbst in Aktien investiert sind. Eine Bankkrise würde wie erwähnt erst entstehen, wenn Bankdarlehen nicht zurückbezahlt werden können.

Anders ist die Lage in den USA, wo die Altersvorsorge von Millionen von Menschen in Aktien investiert ist. Dort haben massive Kursverluste direkte Auswirkungen auf den privaten Konsum und können eine Rezession auslösen. Dazu kommen massive Störungen im US-Anleihenmarkt und die Sorge vor einer Schuldenkrise in vom Virus betroffenen Sektoren.

Aber auch im Finanzsektor sei die Lage weniger gefährlich als 2008, sagt Kocher. "Das Bankensystem scheint stabil zu sein, im Gegensatz zur Finanzkrise gibt es genügend Liquidität."

Gesundheitsminister Rudolf Anschober, Bundeskanzler Sebastian Kurz und Innenminister Karl Nehammer bei der Präsentation der Maßnahmen am Freitag.
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Nun müssten die Regierungen dafür sorgen, dass Kredite vergeben, Unternehmen in Notlage unterstützt und Kündigungen so weit wie möglich vermeiden werden. Kocher: "Die Kosten sollte man da nicht so kritisch sehen. Was jetzt investiert wird, erleichtert die spätere Erholung."

Auch in der Eurozone müsse man einen Anstieg von Staatsschulden jetzt tolerieren, sagt Kocher. Längerfristig aber könnte sich dies als Gefahr erweisen, vor allem im Krisenland Italien, das besonders unter dem Virus leidet und mit dem größten Schuldenberg zu kämpfen hat. Eine neuerliche Schuldenkrise wie vor einem Jahrzehnt ist nicht ausgeschlossen. Kocher: "Die Eurozone ist zwar stabiler geworden, aber das Grundproblem ist nicht gelöst. Und die Europäische Zentralbank hat heute weniger Möglichkeiten als damals." (Eric Frey, András Szigetvari, 14.3.2020)