Schlange stehen beim Diskonter. Lebensmittelhändler kommen mit dem Nachschlichten in den Regalen kaum nach.

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Österreichs Handel ist angesichts des Coronavirus im Ausnahmezustand. Leere Lebensmittelregale in Supermärkten, die sich einem Ansturm an Kunden gegenübersehen, auf der einen Seite. Verwaiste Einkaufsstraßen und Geschäftsviertel auf der anderen Seite. Mitarbeiter in Lebensmittelketten und Drogerien kommen mit dem Nachschlichten von Nudeln, Reis, Dosen, Fertiggerichten und Toilettenpapier kaum nach. Selbst frisches Brot und Gebäck werden zeitweise knapp. Konsumenten stellen sich um Einkaufswagen an, vor Kassen bilden sich lange Schlangen. Gähnende Leere hingegen in allen anderen Branchen. Ob bei Mode, Büchern, Elektronik oder Schmuck: Quer durch den Handel geht die Angst um Arbeitsplätze um – Geschäftsinhaber fürchten um ihre Existenz.

"Was wir uns in 15 Jahren aufgebaut haben, wird in den nächsten Wochen womöglich mit einem Schlag pulverisiert", sagt Gerhard Zach, Chef der Wiener Buchhandlung Herder. Betriebe wie der seine könnten nur von den Reserven leben. Er versuche, alle Mitarbeiter zu halten. Doch ohne Solidarität der Belegschaft und Verzicht auf Gehälter werde es kaum gehen. Er befürchtet, dass Österreich die Last rund um die Corona-Krise auf die Unternehmer überwälzt.

Umsatzeinbußen von 80 Prozent

Sie warte ab, ob der Staat bereit sei, für Mitarbeiter mehr als Arbeitslosengeld zu bezahlen, sagt Johanna Fulmek, Eigentümerin des Juweliers Otto Feiler. "Österreich fährt derzeit den härtesten wirtschaftlichen Kurs, der gefahren werden kann." Das ließe sich zwei Wochen durchstehen. Ab April aber gehe es finanziell ans Eingemachte.

In Österreichs Supermärkten wurde am Freitag emsig eingekauft. Der übrige Handel ist verwaist.
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Innerhalb einer Woche brach ihr Umsatz um 80 Prozent ein, erzählt Beatrix Fürhapter, Inhaberin der Confiserie Bea’s Feinstes. "Fällt das Ostergeschäft aus, kann ich zusperren." Mieten, Sozialversicherung, alle Fixkosten liefen weiter. Sie wisse nicht, wie staatliche Hilfen dies alles kompensieren sollen. Ihr Lieferant habe die Produktion um die Hälfte reduziert und Mitarbeiter nach Hause geschickt. Wie Zach hofft sie, einen Teil des Verlustes durch mehr Onlineverkauf und Hauszustellungen abzufedern.

Ab Montag herrschen im Einzelhandel neue Regeln: Offen halten dürfen neben der Post und Banken nur noch Lebensmittelgeschäfte, Drogerien, Tierfutterhändler, Trafiken und Tankstellen. Alle restlichen Einzelhändler mit ihren gut 400.000 Mitarbeitern haben Ladenschluss, für vorerst eine Woche. Wer für die Löhne und Gehälter der heimgeschickten Beschäftigten aufkommt, ist offen. Fällt die Maßnahme unter den Fall eines Notstandes, liegt die finanzielle Verantwortung bei den Arbeitgebern.

"Viele werden sich das nicht leisten können. Die Politik spielt mit dem Einkommen hunderttausender Mitarbeiter", warnt ein Möbelhändler. Hart in der Bredouille sehen sich Textilunternehmer. Die kommenden Wochen zählen für sie traditionell zu den wichtigsten des Jahres. Ihre Saisonware ist bezahlt – kaufen will sie keiner.

Genug Ware vorhanden

Was die Versorgung mit Nahrungsmitteln betrifft, so lassen Österreichs Lebensmittelkonzerne – von Rewe bis Spar – keinen Zweifel daran, dass sie gesichert ist und bleibt. Es sei genug Ware vorhanden. Auch die Öffnungszeiten der Geschäfte werden nicht eingeschränkt, heißt es bei Spar. Rewe wies seine Filialen etwa an, an Ort und Stelle vermehrt Vorräte einzulagern. Auch wenn einzelne Marken temporär knapp werden könnten – die Grundversorgung sei in jedem Fall gewährleistet, betonen Konzernsprecher.

Mitarbeiter gesucht, Großmärkte für alle

Man arbeite in den Lägern rund um die Uhr und bekomme ausreichend Ware nachgeliefert. Die Einkäufe könnten problemlos auf andere Wochentage verlegt werden. Allerdings werde jede helfende Hand benötigt: Rewe sucht Mitarbeiter in den Filialen. Geöffnet für alle Kunden wurden auch die AGM-Großmärkte von Adeg. Auch ohne Kundenkarte oder Gewerbeschein kann hier nun österreichweit eingekauft werden. AGM hat die Anlieferungen verstärkt.

Der treibende Motor für Hamsterkäufe sei die Unsicherheit, sagt Erich Kirchler, Vorstand des Instituts für Angewandte Psychologie, im Gespräch mit dem STANDARD. Informationen über drastische Restriktionen werden mehr. In sozialen Medien schürten Fake-News zusätzlich Angst, und ein Licht am Ende des Tunnels sei derzeit nicht sichtbar. Könnten Menschen nicht einschätzen, wann sich die Lage beruhige, sorgten sie vor und wappneten sich gegen schwierigere Zeiten – auch wenn vieles davon irrational erscheine.

Der treibende Motor für Hamsterkäufe sei die Unsicherheit, sagt Psychologe Erich Kirchler.
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"Es ist eine hoch emotionalisierte Situation", sagt Kirchler. Die Angst vor den Konsequenzen einer Krise überwiege die Überlegungen dazu, wie wahrscheinlich diese tatsächlich sind. "Und diese Emotionen mit sachlichen Informationen zu kalmieren ist nicht einfach." Kirchler sieht Verständlichkeit, Professionalität und Sachlichkeit gefragt. Entscheidend sei es, Lösungen für alle Szenarien anzubieten und den Menschen schlüssig zu erklären, wie die Versorgung weiterhin aufrechterhalten bleibe. Bisher hat Österreich aus seiner Sicht gut reagiert.

Andere Psychologen wie Cornel Binder-Krieglstein orten in der Bevölkerung vor allem ein Gefühl der Ohnmacht. Dieses kanalisiere sich in unkontrollierten Hamsterkäufen. Vorräte anzulegen verbessere mitunter die psychische Stabilität und vermittle dem Einzelnen den Eindruck, einer Krise aktiv entgegenwirken zu können. So diene der Kauf von kiloweise Toilettenpapier weniger körperlichen Grundbedürfnissen als dem seelischen Wohl.

Tropfen auf den heißen Stein

Das Einzige, was sie vor ihrem Geschäftslokal sehe, seien Leute mit Säcken voller Lebensmittel und Klopapier, seufzt die Verkäuferin einer Modefiliale. "Ansonsten ist alles wie ausgestorben." Sie sitze hier mit der neuen Frühjahrskollektion und wisse nicht, ob sie diese überhaupt noch in der Auslage aufhängen solle. Was ihr Angst mache, sei nicht der Coronavirus an sich, ergänzt eine Kollegin. "Es ist die Reaktion der Menschen darauf."

Designerin Susanna Petkov, die in Wiens Innenstadt eine Boutique betreibt, hält das Vorgehen der Regierung für wenig durchdacht. Es sei löblich, dass versucht werde, das Virus im Vorfeld einzudämmen. Doch für die Wirtschaft bedeute das rasche Stakkato an Maßnahmen einen Totalschaden, der Panik auslöse. "Wie sollen wir unsere Leute zahlen, wenn keine Umsätze mehr reinkommen?" Was politisch bisher an Hilfe für Unternehmer versprochen wurde, sei ein Tropfen auf den heißen Stein.

Volle Einkaufswägen und leere Regale im Lebensmittelhandel.
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Verunsicherung herrscht auch in der Palmers-Belegschaft. Sie habe seitens des Wäschekonzerns bisher weder Informationen zu Corona noch Worte des Zuspruchs erhalten, sagt die Mitarbeiterin einer Filiale in einem Randbezirk Wiens. "Ich arbeite seit mehr als 30 Jahren für das Unternehmen, in meinen Adern fließt grünes Blut. Ich bin enttäuscht, und ich habe Angst um meinen Job." Für sie sei die Schließung des Shops wie ein endgültiger Abschied.

Dem Virus trotzen werden die Trafikanten. "Die Leute kaufen wie verrückt Zigarettenstangen ein, du lieber Gott", wundert sich ein Tabakfachhändler. Gezahlt werde nur noch bargeldlos mit Karte. Er selbst nimmt die Krise gelassen. Ob er nun ein Packerl mehr oder weniger verkaufe – der Ablauf seines Lebens sei ohnehin von Geburt an vorbestimmt, so wolle es seine Religion, sinniert er, schiebt einem Obdachlosen ein paar Zigaretten zu und verzichtet aufs Abkassieren. (Verena Kainrath, 14.3.2020)

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