Zurzeit ist auch hier noch völlig unklar, ob und wann die zahlreichen abgesagten Performances nachgereicht werden können. Aber "Nyxxx" ist so trendy und visuell ansprechend gemacht, dass mit einer Wiederaufnahme bald nach Ende der aktuellen Krise gerechnet werden kann.

Foto: Franzi Kreis

Die griechische Göttin Nyx ist weniger prominent als jüngere Kolleginnen wie Aphrodite, Artemis oder Pallas Athene. Kein Wunder, denn Nyx, die Nacht, kam der griechischen Mythologie zufolge direkt aus dem Chaos, als von einem Olymp noch keine Rede war. In ihrem neuen Solowerk Nyxxx erinnert die aus Finnland stammende Performerin Lau Lukkarila wieder an diese dunkle Figur. Diese Uraufführung war das letzte Stück des vom Brut-Theater veranstalteten Imagetanz-Festivals vor dem epidemiebedingten generellen Aufführungsstopp.

Zurzeit ist auch hier noch völlig unklar, ob und wann die zahlreichen abgesagten Performances nachgereicht werden können. Aber Nyxxx ist so trendy und visuell ansprechend gemacht, dass mit einer Wiederaufnahme bald nach Ende der aktuellen Krise gerechnet werden kann.

Lukkarila lebt derzeit in Wien und ist offensichtlich Teil jener Szene im zeitgenössischen Tanz, die den Narzissmus der Gegenwart bis ins Absurde steigert. So auch in Nyxxx. Hier verwandelt die junge Künstlerin die hellenische Herrin der Finsternis in eine von Erotik umwölkte Avengers-Figur mit langem Umhang, Sonnenbrille, Kapuzenpulli und Liebestöter-Unterhose. Alles in Schwarz. Der Witz zu Beginn: Nyx fährt mit einem Tretroller auf die Bühne, einem Gerät, das häufig als Symbol für die Verkindlichung unserer Gesellschaft gesehen wird.

Sexfilmchen aus der Kategorie Hausfrau

Aus dem Off beginnt eine weibliche Stimme zu erzählen: "You discover porn when you are seven…" Beschrieben wird ein Sexfilmchen aus der Kategorie Hausfrau und Handwerker. Daran anschließend schnurrt die Stimme weiter: "You put your tiny little hands into your pants…" So spielt sich's, jedenfalls Lukkarilas Fiktion zufolge, in medial hochgerüsteten postmodernen Kinderzimmern ab.

Der Scooter und die Sexgeschichte dünsten in Nyxxx eine dämmrige Darstellung der Verbindung von Infantilisierung und Pornografie aus. Auch die mögliche Konsequenz dieser fatalen Verquickung wird präsentiert: Sucht nach selbstbezogener Reizsteigerung. Lukkarila schwingt sich auf ein hohes Podest und stopft sich Dildos in Anus und Vagina. Solcherart zugestoppelt tanzt sie, ganz auf sich konzentriert, einsam auf der Bühne. Der Blick nach außen kommt nur über ein Video mit kurzen Clips, die sanfte Wellen zeigen, wogende Seeanemonen, schmutzige Teller und einen bleichen Mond.

Verstopfung infolge exzessiver Sorge

Im Englischen bedeutet "lunatic" (von lat. "luna", Mond) verrückt oder geistesgestört. Lukkarilas Tretrollergöttin – mit im Sinn von "expliziter" Darstellung gemeinter "xxx"-Zuschreibung – ist die Allegorie einer Verstopfung infolge exzessiver Sorge um sich selbst. Das ändert sich auch nicht, wenn Nyx gegen Ende ein grünes Rüschenkleid anzieht, im Mondlicht nach einer schwarzglänzenden Elektrogitarre greift und deren Penisverlängerungs-Symbolik hervorzupft.

Auf ihrer Website stellt Lau Lukkarila die alles entscheidende Frage: "In a world of post-xxx, what does it mean to become an engineer of one's own desires?" Im Zenith des Egozentrismus ist der Exzess zur Norm geworden: Hinter dem Own-Desire-Engeneering wartet die Nacht, mit nichts als Lärm in ihren Händen. (Helmut Ploebst, 15.3.2020)