Jürgen Melzer: "Jemand der auf Platz 60, 70, 80 steht, dem kann die Tour nicht früh genug wieder beginnen."

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Wien – Er ist die ehemalige Nummer 8 im Tennis-Einzel und zweifacher Grand-Slam-Sieger im Herren-Doppel. Jürgen Melzer steht im Doppel im Finish seiner Karriere. Die ATP macht nun wegen der Coronavirus-Krise sechs Wochen Pause. Doch den 38-Jährigen beschäftigt Tennis derzeit nicht. "Im Moment gibt es viel wichtigere Dinge als Sport", sagte Melzer am Sonntag.

Er selbst hat die vergangenen Tage seit dem 3:1-Heimsieg des ÖTV-Davis-Cup-Teams über Uruguay, das Österreich die erstmalige Teilnahme am Finalturnier in Madrid ermöglicht, zu Hause verbracht. "Ich war zu Hause beim Kleinen, weil in den Kindergarten – das Risiko war uns zu groß", erklärte Melzer, dessen Sohn Noel Ende März drei Jahre alt wird.

"Das ist kein lockeres Husterl"

Eine Rückkehr auf den Tennisplatz bzw. die ATP-Tour wird nun zumindest sechs Wochen dauern. "An Tennis ist im Moment eh nicht zu denken. Wenn man sich damit beschäftigt, kennt man den Ernst der Lage. Dann weiß man auch, dass eine Chance besteht, dass die sechs Wochen Pause vielleicht verlängert werden."

Melzer ist es viel wichtiger, dass die Öffentlichkeit endlich adäquat auf die Virusbedrohung reagiert. "Die Leute müssen endlich begreifen, mit was wir es hier zu tun haben. Das ist kein lockeres Husterl oder Schnupferl, sondern da stehen wirklich Menschenleben auf dem Spiel", erklärte der Deutsch Wagramer.

Ärger

"Wenn ich mitbekomme, dass sich Familien auf dem Spielplatz treffen, würde ich am liebsten hingehen und fragen, ob es noch geht?", ärgerte sich Melzer auch im Hinblick auf all jene, die im Dienst für die Allgemeinheit stehen. "Es ärgert mich extrem, vor allem den Leuten gegenüber, die im Moment echt nicht wissen, wo oben und unten ist. Ärzte, Krankenschwestern, Leute, die für die Nahversorgung sorgen."

Zur Untätigkeit gezwungene Sportler sind normalerweise unruhig, versuchen fit zu bleiben. Die außergewöhnlichen Umstände lassen dies zumindest für ihn völlig in den Hintergrund geraten. "Ich habe in den letzten paar Tagen keinen einzigen Gedanken daran verwendet, fit zu bleiben. Ich schau, dass es dem Kleinen gut geht. Man weiß, wie es ist, wenn ein Dreijähriger nicht wirklich viele Freiheiten hat. Dem fällt irgendwann auch die Decke auf den Kopf."

Maximal spazieren gehen oder mit seinem Sohn in den Wald gehen, stehen auf dem Programm. "Vielleicht werde ich ihm beibringen, wie man einen Schläger hält, dafür hat man in den nächsten Wochen viel Zeit."

Keine Hoffnung auf baldiges Spielen

Zeit, die möglicherweise auch über die French Open (ab Ende Mai) hinausreichen wird? "Ich glaube, dass relativ bald klar sein wird, dass wir in sechs Wochen nicht spielen können. Ich glaube trotzdem, wenn sich die Welt zusammentut und schaut, dass sie sich an die Maßnahmen hält, dann ist es möglich. Oder man steigt halt erst auf Rasen ein", sagte Melzer.

Doch der dieses Jahr 39 Jahre alt werdende Langzeit-Profi misst dem aktuell nicht so viel Bedeutung bei. "Im Moment gibt es viel wichtigere Dinge als Sport. Wenn wir uns an die Maßnahmen halten, wird es auch irgendwann wieder Sport geben in unserem Leben. Wenn wir es als Bevölkerung nicht schaffen, an einem Strang zu ziehen, wird es wahrscheinlich länger keinen Sport geben."

Melzer hat (noch) die Hoffnung, dass er im vielleicht letzten Jahr seiner Karriere noch einmal zu den Olympischen Spielen fahren darf. Glaubt er an eine Austragung? "Sollte bis Mai – habe ich wo gelesen – das Virus nicht unter Kontrolle sein, kann ich mir nicht vorstellen, dass es stattfindet. Bei allem Respekt, klar sind Olympische Spiele wichtig, aber in meinen Augen sind Menschenleben um einiges wichtiger."

Während er selbst als Familienvater ohnehin auch schon ganz andere Prioritäten hat, steht etwa der mittlerweile heimgekehrte Dominic Thiem in der Blüte seiner Zeit als Sportler. Während sich der Weltranglisten-Dritte bisher noch nicht zur Krise geäußert hat, kennt Melzer den 26-jährigen, dreifachen Grand-Slam-Einzelfinalisten gut. "Der macht sich im Moment, glaube ich, auch keine Sorgen um seine sportliche Karriere. Er ist so weit gefestigt, dass er weiß, um was es geht. Ob der in einem halben oder dreiviertel Jahr wieder anfängt, wird ihm auch wurscht sein. So sehe ich das", meinte Melzer.

Sportler, die ganz vorne stehen, könnten dies aus seiner Sicht lockerer sehen. "Sie sind finanziell unabhängig. Jemand der auf Platz 60, 70, 80 steht, dem kann die Tour nicht früh genug wieder beginnen." (APA; 15.3.2020)