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Die Enthüllungen werfen kein gutes Licht auf Tiktok.

Foto: Reuters

Tiktok, die Video-App der chinesischen Firma Bytedance, ist der nächste Hype am Messenger-Himmel. Rund 500 Millionen aktive User soll die Plattform bereits weltweit versammeln. Und gerade in Zeiten, in denen in immer mehr Ländern aufgrund des Coronavirus Ausgangsbeschränkungen erlassen werden, dürfte die Nutzung weiter zunehmen.

Doch im Hintegrund operiert man offenbar mit extrem strikter Zensur, wie nun "The Intercept" aufdeckt. Dort ist man an interne Dokumente gestoßen, die ursprünglich in chinesischer Sprache verfasst worden und später für internationale Standorte übersetzt worden sein dürften. Moderatoren werden darin unter anderem aufgefordert, gegen "hässliche", arme und behinderte Nutzer vorzugehen. Das Unternehmen beschwichtigt und erklärt, dass die Informationen veraltet seien.

Gegen Dünne, Dicke und Kleinwüchsige

Die Vorgaben stehen freilich in starkem Kontrast zur Funktion von Tiktok – speziell außerhalb Chinas – als Plattform für individuellen Ausdruck und Kreativität. Wenig verwunderlich ist, dass man in der Volksrepublik gegen politische Kritik an der Regierung vorgeht, wie es dort praktisch bei allen Plattformen geschieht.

So heißt es etwa in einem Dokument, dass man Beiträge, die Menschen, die sehr dünn, sehr dick sind oder körperliche Deformationen aufweisen, unterdrücken solle. Diese Regel umfasst demnach auch "offensichtliche Bierbäuche", macht aber auch nicht vor fehlenden Zähnen, Kleinwüchsigkeit, älteren Menschen mit "zu vielen Falten" oder Augenkrankheiten halt.

Unsichtbarkeit für "nicht attraktive Inhalte"

Als Begründung wird angegeben, dass ein "nicht gutes" Aussehen des Verfassers in Videos, in denen dieser im Fokus steht, zu weniger "attraktiven" Inhalten führe, die man anderen Nutzern nicht zumuten wolle.

Weiters findet sich auch eine Regelung gegen "heruntergekommene" und "verfallene" Aufnahmeumgebungen. Explizit erwähnt werden hier "Slums" und "rurale Umgebungen", wobei Ausnahmen für "schöne Landschaften" möglich seien.

Videos, die von diesen Regeln erfasst werden, sollen nicht zwangsweise gelöscht, ihnen soll aber der Vorschlagsalgorithmus für den "Für dich"-Bereich entzogen werden. Wer nicht bereits eine große Anhängerschaft hat, bleibt damit quasi unsichtbar. Ziel ist, auf diese Weise Tiktok möglichst attraktiv für neue Nutzer zu halten.

Regeln sollen nicht mehr aktuell sein

Gegenüber "The Information" heißt es seitens von Tiktok, dass viele dieser Regeln entweder nicht mehr in Kraft seien oder gar nie angewandt worden seien – ohne aber weiter ins Detail zu gehen. Sie seien unter anderem als Maßnahme gegen Cyberbullying gedacht gewesen. Laut den Recherchen des Mediums war zumindest ein Teil der Vorgaben noch bis circa Ende 2019 in Umsetzung.

Damals berichtete bereits netzpolitik.org von Zensurpraktiken auf der Plattform, basierend auf einer Quelle aus dem Unternehmen. Inwiefern die Vorgaben an die Moderatoren dazu beitragen, Belästigung zu unterbinden, wenn sie offenbar die Opfer ausblenden, statt Täter zu bestrafen, blieb unbeantwortet.

Wenig Mitsprache für internationale Büros

Auch weitere Praktiken, die zumindest für China gelten, legt "The Intercept" offen. Wer etwa politisch brisante Themen wie die Niederschlagung von Protesten auf dem Tian'anmen-Platz und Tibet aufbringt oder konkurrierende Portale zu häufig nennt, riskiert eine permanente Sperre.

Laut internen Quellen haben internationale Büros des Konzerns kaum Einfluss auf die Entwicklung des Reglements. Dieses wird in China erarbeitet und anschließend an die zwölf weltweiten Standorte ausgespielt und – soweit der Führung genehm – angepasst. Das passiert mitunter sehr kurzfristig und führt auch zu vielen vagen Formulierungen in den Nutzungsbedingungen, die breiten Interpretationsspielraum für den Eingriff der Moderatoren lassen. (gpi, 16.3.2020)