Israels Präsident Reuven Rivlin beauftragt den Blau-Weiß-Vorsitzenden Benny Gantz mit der Regierungsbildung.

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Auch in Jerusalem steht das Leben quasi still.

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Nach über einem Jahr politischer Lähmung bahnt sich in Israel womöglich ein Machtwechsel an: Am Montag beauftragte Israels Präsident Reuven Rivlin den Blau-Weiß-Vorsitzenden Benny Gantz mit der Regierungsbildung. Zuvor hatten 61 Parlamentsabgeordnete Gantz ihre Unterstützung ausgesprochen. Der amtierende Premierminister Benjamin Netanjahu kam auf lediglich 58 Fürsprecher. Zum ersten Mal in seiner kurzen Politkarriere, die Ende 2018 begonnen hat, erhält der frühere Armeechef Gantz nun das erste Mandat zur Regierungsbildung.

Doch der Weg zur Macht bleibt steinig. Die 61 Abgeordneten, die seine Kandidatur empfahlen, werden keine gemeinsame Koalition bilden. Denn zu ihnen zählen sowohl die sieben Vertreter der rechten Partei Israel Beitenu, deren Vorsitzender Avigdor Lieberman eine harte sicherheitspolitische Linie gegenüber den Palästinensern vertritt, als auch die 15 Abgeordneten der Gemeinsamen Liste, einem Bündnis vier arabischer Parteien mit propalästinensischen Positionen. Maximal vorstellbar wäre eine Minderheitsregierung aus Blau-Weiß, Israel Beitenu und den linken Parteien Avoda und Meretz, die sich von den arabischen Parteien ins Amt wählen ließe.

Widerstände aus eigener Partei

Doch zwei Abgeordnete aus Gantz' eigener Partei stemmen sich dagegen. Zudem sehnen sich viele Menschen nach einer Koalition aus Likud und Blau-Weiß, einer sogenannten Einheitsregierung, die Stabilität verspricht. "Das Coronavirus erhöht den Druck auf beide Seiten, Kompromisse zu machen", meint der Politikwissenschafter Gideon Rahat von der Hebräischen Universität in Jerusalem. "Eine Einheitsregierung ist wahrscheinlicher." Bis Montag waren in Israel über 250 Menschen positiv auf das Coronavirus getestet worden. Um das Virus einzudämmen, hat die Regierung das öffentliche Leben auch in Israel weitgehend eingeschränkt.

Angesichts der Krise hat Gantz ebenso wie Netanjahu für eine gemeinsame Notfallregierung plädiert. Allerdings scheiterten entsprechende Verhandlungen bereits nach den Wahlen im April und im September 2019, unter anderem an der Frage, wer in einer Rotationsregelung als Erster das Amt des Premierministers übernehmen dürfte.

Prozess im Auge

Netanjahu hat bisher auf der ersten Runde bestanden, wohl auch mit Blick auf den Gerichtsprozess wegen Verdachts auf Betrug, Untreue und Bestechlichkeit, dem er sich demnächst stellen muss: Als Premier darf er bis zu einem möglichen Urteil im Amt bleiben, als einfacher Minister müsste er sofort zurücktreten. Am Montag trafen beide Seiten zu erneuten Verhandlungen zusammen, doch das gegenseitige Misstrauen sitzt tief.

Noch am Sonntag hatte Netanjahu die Blau-Weiß-Partei auf Twitter des Lügens bezichtigt, weil deren Vertreter eine Zusammenarbeit mit arabischen Parteien einst ausgeschlossen hatten. Gantz wiederum hatte Netanjahus Forderung nach einer Einheitsregierung vor wenigen Tagen als "nicht ernsthaft" abgetan. "Zum Wohl aller Bürger Israels wünsche ich Ihnen viel Glück", sagte Präsident Reuven Rivlin bei der Mandatsübergabe zu Gantz. Er dürfte es brauchen. (Mareike Enghusen, 17.3.2020)