Das Arbeitsmarktservice (AMS) ist nicht einfach irgendeine Institution: Allein in Wien sind gut 150.000 Menschen direkt von AMS-Zahlungen (Arbeitslosengeld, Notstandshilfe) abhängig, darüber hinaus ist das AMS oft Anlaufstelle Nummer eins für viele Fragen und Sorgen in der Berufswelt. Wie stellt das Arbeitsmarktservice sein Angebot um, und wie hält man Kontakt zu 150.000 Menschen, wenn man sie nicht mehr persönlich sehen soll?

STANDARD: Was ist derzeit die größte Herausforderung für das AMS in Wien?

Draxl: Unser größtes To-Do ist derzeit die Serviceline des AMS: Wir haben versucht, die meisten Menschen auf Telefon, E-AMS-Konto und E-Mail umzuleiten. Die Kunden waren sehr diszipliniert, waren viel weniger da in unseren Geschäftsstellen. Das war auch das Ziel, damit dann nicht alle in der Schlange bei uns stehen. Aber das Ganze hatte den Effekt, dass wir tausende Anrufe hatten, die wir dann nicht beantworten konnten. Dadurch haben wir am Montag eine komplette Überlastung gehabt. Wir hoffen, dass wir das Problem nun im Griff haben. Unsere Leitungen werden aufgestockt. Nur damit Sie es einschätzen können: Wir hatten allein bis Montag, 13.30 Uhr, rund 8.670 Anrufe. An einem normalen Montag wären es 5.000 am ganzen Tag.

STANDARD: Warum rufen all diese Menschen an?

Draxl: Die meisten rufen an, um sich arbeitslos zu melden. Aktuell haben wir bis Montagnachmittag 2.712 Arbeitslosenmeldungenerfasst. (Die normale Bandbreite liegt bei 500 bis 1.500 am Tag, Anm.). Am Freitag hatten wir 1.500 neue Anmeldungen.

STANDARD: Gibt es noch AMS-Kurse für Arbeitslose?

Draxl: Für Kurse gilt das Gleiche wie für Schulen: Wir wollen nach Möglichkeit auf E-Learning umsteigen. Dort, wo das nicht möglich ist, haben wir allerdings auch gesagt, uns ist lieber, die Leute bleiben zu Hause und kommen nicht. Das wird entschuldigt, die Menschen verlieren kein Geld. Den Kursanbietern ist es aber sehr gut gelungen, den Menschen Schulungsmaterial zu schicken. In den Beratungseinrichtungen werden keine persönlichen Beratungen mehr durchgeführt. Die Trainerinnen, die jetzt auch daheim sitzen, sollen per Telefon oder E-Mail mit ihren Kunden in Kontakt bleiben und ihnen Aufgabenstellungen geben. Wir werden später genug damit zu tun haben, dass die Menschen aktualisierte Lebensläufe haben. Die Zeit könnte man jetzt nutzen, um das zu machen oder etwas zu lernen.

STANDARD: Und die AMS-Geschäftsstellen?

Draxl: Unsere Häuser sind offen, wir sind eine versorgungskritische Einrichtung.

STANDARD: Was sollen Menschen machen, die einen Termin in den kommenden Tagen oder Wochen beim AMS haben? Das sind ja tausende Leute.

Draxl: Das wird jetzt alles abgesagt, sie bekommen dann einen Anruf. Alle Zahlungen laufen aber jedenfalls weiter. Wir haben inzwischen auch vom Ministerium die Erleichterung bekommen, dass wir Arbeitslosengeldanträge auch ohne persönlichen Antrag annehmen können. Auch wer erst am Dienstag durchkommt, wir werden die Anträge auf Montag rückdatieren, für jeden, der seit Montag arbeitslos ist. Jeder, der einen Anspruch hat, wird sein Geld bekommen.

STANDARD: Welche Sektoren sind in Wien am stärksten betroffen? Und ist Wien stärker betroffen als andere Bundesländer, weil in der Hauptstadt wenig Industrie angesiedelt ist, die ja noch weiterläuft, dafür umso mehr Dienstleistungbetriebe?

Draxl: Um das beantworten zu können, ist es noch zu früh, weil wir Fälle noch bearbeiten und weitere Umstellungen vornehmen. In den vergangenen Tagen haben wir die Abwicklung der Anträge für Arbeitslosengeld neu organisieren müssen. Jetzt wird es darum gehen, die Strukturen zu schaffen, um die Kurzarbeitsanträge innerhalb von 48 Stunden zu bearbeiten.

STANDARD: Werden Mitarbeiter noch gesucht?

Draxl: Ja. Es klingt absurd, aber wir vermitteln noch Jobsuchende. Wir zwingen aber aktuell niemanden. Gesetzlich ist nichts außer Kraft gesetzt, aber jetzt Menschen zu zwingen, wäre sinnlos. Wir bekommen laufend Inserate: Der Lebensmittelhandel sucht Mitarbeiter. Der Gesundheitsbereich, alle Unternehmen, die zur kritischen Infrastruktur gehören, suchen.

Draxl: Aktuell wird niemand gezwungen, einen Job anzunehmen.
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STANDARD: Worauf kann man sich einstellen am Arbeitsmarkt?

Draxl: Die Arbeitslosigkeit wird explodieren. Daher ist jede Strategie, damit wir das jetzt in den Griff bekommen, extrem wichtig. Wir werden uns auch in den nächsten sechs Monaten und im nächsten Jahr weiter mit dem Thema beschäftigen. Auch wenn hier die Beschränkungen aufgehoben werden, ist die Krise ja nicht sofort aus. Aber ich würde es schon mal für einen großen Erfolg für uns alle halten, wenn sich die Ausbreitung des Virus eindämmen lässt und sich unser Leben dann irgendwann nach Ostern zu normalisieren beginnt. Da ich Optimistin bin, glaube ich auch daran.

STANDARD: Für Arbeitslose ist die Situation auch eine psychische Belastung. Oft läuft ja ein Großteil der Kontakte der Menschen über AMS-Kurse oder Treffen im Rahmen von AMS-Beratungszentren. Wenn das jetzt alles wegfällt, wird man das nicht psychologisch begleiten müssen?

Draxl: Wenn die ganze Ausnahmesituation drei oder vier Wochen dauert, dann, glaube ich, muss man das hinnehmen, dann können wir uns auch alle glücklich schätzen. Um uns darüber Gedanken zu machen, was dann ist, so weit sind wir noch nicht.

STANDARD: In puncto Kurzarbeit haben die Sozialpartner sehr rasch eine Einigung erzielt: Bis zu sechs Monate sind Kurzarbeit möglich. Wie gut wird das Modell in Wien angenommen, gibt es dazu schon Rückmeldungen?

Draxl: Wir können sagen, dass wir momentan 450 Anträge von Unternehmen für Kurzarbeit haben. 250 sind zusätzlich in der Pipeline und werden bearbeitet. Der wirkliche Vorteil des Modells ist, dass die Arbeitszeit der Mitarbeiter zunächst für die Dauer von drei Monaten auf 10 bis 90 Prozent reduziert werden kann. Das heißt, es ist mit diesem Modell auf Basis der Vereinbarung der Sozialpartner auch möglich, drei Wochen gar nicht zu arbeiten. Über die drei Monate muss der Arbeitgeber mindestens zehn Prozent Beschäftigung zusammenbringen und für seine Mitarbeiter zahlen, aber in einzelnen Phasen können es eben auch null Prozent sein. Der Arbeitgeber zahlt die tatsächliche Arbeit, das AMS zahlt denn Rest. Der Arbeitnehmer bekommt ein Nettogehalt von 80 bis 90 Prozent, je nach letztem Gehalt.

Das AMS stellt seine Systeme um. Auch hier gilt: Durch weniger Kontakte soll das Virus ausgehungert werden, um Leben zu retten.
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STANDARD: Das klingt recht ausgeklügelt.

Draxl: Es ist das beste Instrument, um in einer Krise von drei bis sechs Monaten die Beschäftigung aufrechtzuerahlten. Allerdings muss man auch dazusagen, dass wir nicht alles zahlen. Die Unternehmen müssen schon auch auf ihre Rücklagen zurückgreifen – und das in einer Zeit, in der keiner ganz genau weiß, wie lange der Notbetrieb in Österreich dauern wird. Wir bekommen aktuell viele Anfragen von Betrieben, weil die Unternehmen die Sozialabgaben für die Differenz zahlen müssen: Die Menschen sollen also zum gleichen Betrag versichert bleiben. Da gibt es schon Debatten in Unternehmen darüber, ob das leistbar ist. Das wird die Politik entscheiden müssen, ob sie noch einen Schritt gehen will.

STANDARD: Die Betriebe überlegen also ernsthaft, ob sie für diesen kleinen Teil der Löhne Versicherungsbeiträge zahlen können? Das klingt dann doch sehr dramatisch.

Draxl: Solche Auftragseinbußen wie aktuell hat es ja noch nie gegeben. Bisher war das so: Es gab irgendwo eine Krise, und die Betriebe mussten um 20 oder 30 Prozent runterfahren. Die Unternehmen haben sich darauf auch einstellen können, weil das absehbar war. Das war aktuell alles nicht der Fall. Es wird also stark darauf ankommen, welche Rücklagen die Betriebe haben. (András Szigetvari, 17.3.2020)