Johann Beran: "Einander an den Beruhigungstropf hängen."

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STANDARD: Gibt es ein schnell wirksames Mittel gegen Angst, ein Geheimrezept, um einander in der Arbeit die Angst zu nehmen?

Beran: Nein, Angst ist individuell. Wichtig ist immer, sich möglichst viel zu bewegen. Angst lähmt im wahrsten Sinne des Wortes, führt zu körperlicher An- und Verspannung. Bewegung nimmt in dieser Situation die Hilflosigkeit, ist ein Ausweg aus dem Gefühl "Ich kann nichts tun und bin starr und stumm".

STANDARD: Hüpfen im Homeoffice?

Beran: Ja, genau. Und Hüpfen miteinander. Gemeinsam Herumhüpfen nimmt die Angst, entspannt. Die Verkrampfung kann sich lösen. Ich nenne das gerne "die Affentechnik". Aus der Verhaltensbiologie ist ja bekannt, dass Affen in der Gruppe herumhüpfen, um Stress abzubauen.

STANDARD: Manche Kollegen wirken derzeit irgendwie anders – sie haben jahrelange Joberfahrung, und es wirkt, als könnten sie aktuell gerade ihre Arbeit nicht erledigen. Ein Symptom der Angst?

Beran: Definitiv. In Krisensituationen das erworbene Wissen abzurufen geht nicht so einfach, unser Gehirn funktioniert nicht so. In Ausnahmesituationen ist der Zugang zum Gedächtnisspeicher blockiert, diese Nervenverbindungen sind quasi verstopft. Wir können uns in einer Krise nicht darauf verlassen, dass wir cool sind und als alte Profis selbstverständlich gut funktionieren.

STANDARD: Was hilft?

Beran: Wir alle hängen am Aufregungstropf. Wir müssen uns dringend auch an den Beruhigungstropf hängen. Nicht nur Führungskräfte in Fürsorge für Mitarbeitende, sondern Kolleginnen und Kollegen untereinander. Aufeinander in Kommunikation zugehen, anrufen, fragen, wie es geht. Plaudern. Versichern, dass alles gut ist und dass wir das gemeinsam schaffen.

STANDARD: Gewöhnen wir uns nicht irgendwann irgendwie an die Krise?

Beran: Nein, ganz im Gegenteil. Wir haben andauernd Nachrichten von noch mehr Infizierten, noch mehr Toten. Noch härteren Maßnahmen. Es geht quasi die Welt unter im Empfinden vieler Menschen. Wir werden davon angesteckt, ob wir es wollen oder nicht.

STANDARD: Angst als Virusepidemie?

Beran: Könnte man so sagen. Angst ist noch ansteckender als Viren. Wir machen uns Bilder. Unser Gehirn vermischt Tatsächliches mit Bildern, die wir in uns tragen, bis zu Filmen über die Zombie-Apokalypse und anderem Horrorquatsch, den wir uns reingezogen haben. Auch beim Coolsten, auch beim Resilientesten löst das irgendwann Angst aus. Niemand ist wirklich resistent.

STANDARD: Was ist jetzt das Wichtigste?

Beran: Dass wir uns umeinander kümmern. In Unternehmen sind Manager und Führungskräfte zwar hauptsächlich im Aktionsmodus. Das ist allerdings jetzt bei Menschen nicht hauptsächlich gefragt. Das Gefühl, nicht verlassen, alleingelassen oder abgestellt zu sein ist jetzt durch fürsorgliches Kümmern zu vertreiben. Wir müssen schauen, dass niemand allein in seinem Gehirn herumwuselt. Dass geredet wird. Aussprechen ist ein gutes Wort: Es muss heraus, raus damit, reden! Manche halten die Situation derzeit besser aus – sie haben die Aufgabe, die anderen zu beruhigen.

STANDARD: Sich Zeit nehmen, die man glaubt, nicht zu haben?

Beran: Genau. Es geht um eine andere Zeitqualität. es geht um physisch erlebbare Stützstrukturen, in Unternehmen wie auch privat. Gemeint ist nicht derzeit unangebrachtes Kuscheln, sondern Hinwendung, Zuhören, präsent sein.

STANDARD: Mit der Präsenz ist es schwierig ...

Beran: Aktiv anzurufen ist Präsenz. Erreichbar zu sein ist Präsenz. Zwischendurch eine private fürsorgliche Frage zu stellen ist Präsenz. Es ist gut, wenn Hotlines eingerichtet werden – aber es wird nicht reichen. Für Führungskräfte geht es jetzt um Beziehungsfunktion, nicht um Kontrollfunktion. Wer das begriffen hat und umsetzt, wird sehr loyale Teams haben. Stützlinien zu errichten ist auch wichtig, um diejenigen, die zu Hause arbeiten, mit denen, die am Dienstort arbeiten, gut zu verbinden. Nicht nur technologisch. (Karin Bauer, 17.3.2020)