Der Dreh des nächsten "Tatort" ist virusbedingt auf vorerst unbestimmte Zeit verschoben. Adele Neuhauser und Harald Krassnitzer haben als Bibi Fellner und Moritz Eisner Drehpause.

Foto: ORF / Pedro Domenigg

Wien – Fast die gesamte Film- und Fernsehproduktion kommt derzeit durch das Coronavirus zum Erliegen. Wie berichtet, wurden Drehs von "Tatot", "Ich und die anderen" gestoppt, von "Landkrimi", "Soko Donau" und "Schnell ermittelt" verschoben. "Willkommen Österreich" wird erstmals in den getrennten Wohnzimmern von Stermann/Grissemann aufgezeichnet. Die beiden Entertainer kommunizieren via Skype. Der Ausfall hat massive Auswirkungen auf die Produktionsbetriebe. Um ihre Existenz fürchten aber auch die Filmschaffenden selbst.

Viele fühlen sich von ihren Auftraggebern im Stich gelassen. Der Regisseur Fabian Eder, Vorsitzender des Dachverbands der österreichischen Filmschaffenden, kritisiert besonders das Krisenmanagment des ORF: "Die zuständigen Abteilungen im ORF haben vollkommen versagt", sagt Eder. Bis heute gebe es seitens des ORF keine einheitliche Sprachregelung, keine Kommunikation mit den Filmschaffenden, "obwohl wir das heftig eingefordert haben. Eine Initiative oder zumindest eine Beteiligung an einer sinnvollen und angemessenen Lösung vermissen wir vollständig. Die zuständige Abteilung versagt diesbezüglich."

ORF ist größter Aufraggeber für Film- und TV-Wirtschaft

Der ORF ist größter Auftraggeber der österreichischen Film- und TV-Wirtschaft. Er investiert jedes Jahr rund 100 Millionen Euro in den Film- und Produktionsstandort Österreich und sichert damit zigtausende Arbeitsplätze. Von 2019 bis 2021 sind Investitionen von insgesamt 305 Millionen Euro veranschlagt.

Der ORF weist die Vorwürfe als "allesamt haltlos" zurück: "Der ORF ist mit seinen Vertragspartnern, das sind die heimischen Filmproduzenten, natürlich von Beginn an in ständigem Austausch und Kontakt. Gerade in dieser schwierigen Zeit müssen ruhige und sachliche Entscheidungen auf einer rechtlich korrekten Basis getroffen werden. Und zur seriösen Abwicklung gehört dazu, dass sich die beiden Vertragspartner, Filmproduzent und ORF, über den jeweils konkreten Vertrag austauschen. Jede Produktion ist individuell abzuwickeln, es gibt keine Pauschalerledigung."

Gleichzeitig habe sich der ORF bereiterklärt, den Produzenten bei der Realisierung "größtmögliche zeitliche Flexibilität einzuräumen, und bewegt sich damit im Rahmen der auch international getroffenen Maßnahmen zur Absicherung der Filmwirtschaft. So wie in der Vergangenheit wird das der ORF auch in Zukunft tun. Einseitige, nicht haltbare Vorwürfe helfen niemandem in dieser Situation."

Das ist Eder aber zu wenig. Er führt etwa freischaffenden Kolleginnen und Kollegen an, die jetzt unmittelbar vor Dreharbeiten stehen, von ihren Auftraggebern also schon gebucht wurden. Viele würden ihre Verträge branchenüblich erst am zweiten, dritten Drehtag bekommen und gingen jetzt leer aus. Der Dreh von "Soko Kitzbühel" etwa ist von Ende März auf vorerst unbestimmte Zeit verschoben. Eine Ausgleichszahlung sei nicht vorgesehen, kritisiert Eder.

Serien mit weniger Folgen

"Dass wir als Dachverband speziell bei ORF-Produktionen nicht einbezogen werden, ist besonders ärgerlich", sagt Eder. Zum Beispiel sei überlegenswert, ob "wirklich jede dieser Serien in voller Länge stattfinden müsste – oder ob die nicht auch mit ein oder zwei Folgen weniger auskommen könnten. Das hätte den zusätzlichen Vorteil, dass die Autoren beschäftigt wären. Statt dass sie daheim in der Schockstarre sitzen, könnten sie überlegen, wie sie das Produkt so umgestalten, dass es inhaltlich und kostenmäßig funktioniert."

Spielfilmchefin Katharina Schenk habe versprochen, den Dachverband einzubeziehen. Eder: "Das ist bis heute nicht passiert." Völlig unverständlich, findet der Regisseur: "Alle rücken zusammen und bauen eine neue Kommunikation auf, der Einzige, der völlig auslässt, ist der ORF."

"Da wurde richtig gezockt"

Vorwürfe richtet Eder auch an die Produzenten selbst, die bis zuletzt drehen wollten: "Manche haben wirklich erst am Sonntag die Drehs abgesagt. Da wurde richtig gezockt." Eder spricht von Schauspielern am Set "weit über 70 Jahre". Viele Produktionen seien erst nach heftigem Druck vonseiten des Dachverbands abgesagt worden. "Einige der Produzenten würden jetzt noch drehen", sagt Eder. Ein Verständnis für die Situation, in der wir alle uns befinden, wurde dabei nicht an den Tag gelegt.

Dazu kämen noch nicht absehbare organisatorische Schwierigkeiten: Wenn eine Produktion um drei oder vier Wochen verschoben wird, hat das Auswirkungen auf alle nachfolgenden Projekte. Die komplette Logistik muss neu aufgerollt werden – alle Termine abgestimmt, vor allem jene der bereits anstehenden Aufträge, für die Schauspieler und Crewmitglieder eventuell schon zusagten.

Weitere Angebote in Arbeit

Keine Abfederung biete das Kurzarbeitsmodell, sagt Eder, weil es in seiner derzeitigen Form atypische Geschäftsverhältnisse nicht abdecke. Dem Vernehmen nach soll es hier demnächst weitere Angebote von der Regierung geben. Dass Produzenten die von ihnen beschäftigten Mitarbeiter vorerst weiterbezahlen, hält Eder ebenfalls für nicht sinnvoll: "Ich glaube nicht, dass es notwendig ist, Leute bei vollen Kollektivvertragsgagen oder darüber zu bezahlen. Viel wichtiger wäre, sie in der Versicherung zu halten. Da hätte man auch unkompliziert schonendere Lösungen finden können."

Update 17.3.2020, 15.30:

Wie der Branchendienst dwdl.de berichtet, springt in Deutschland das ZDF den Produzenten zur Seite: Der größte Einzelauftraggeber der deutschen TV-Wirtschaft trägt die Hälfte der Mehrkosten, die Produzentinnen und Produzenten durch die Ausfälle nachweisen. (Doris Priesching, 17.3.2020)