Jena – Australien ist bekanntlich ein Kontinent, dem Spinnenphobiker nach Möglichkeit fern bleiben sollten. Einige Riesenkrabbenspinnen etwa erreichen dort eine Beinspannweite von über 25 Zentimetern. Obwohl beängstigend in ihren Ausmaßen, ist der Biss der Huntsman-Spinnen, wie sie im Englischen heißen, nicht lebensbedrohlich, wenn auch durchaus schmerzhaft. Deutlich gefährlicher kann jedoch etwa die kleinere Sydney-Trichternetzspinne werden. Ihr Biss ist potenziell tödlich.

Als eine Australierin vor Jahrzehnten von einer Spinne gebissen wurde, kam sie zwar mit dem Leben davon, büßte allerdings aufgrund einer schweren Entzündung ihren Unterarm ein. Dieser für das Spinnenopfer äußerst tragische Vorfall führte jedoch ein internationales Forscherteam zu neuen Wirkstoffen, den sogenannten Necroximen. Die von den Wissenschaftern sie aus dem infizierten Unterarmgewebe der Patientin isolierten Substanzen werden von Bakterien gebildet, die im Inneren von Pilzen leben. Die hochwirksamen Zellgifte könnten neue Wege für die Entwicklung wirksamer Krebsmedikamente eröffnen, schreiben die Forscher nun im Fachjournal "Angewandte Chemie".

Riesenkrabbenspinnen zählen zu den größten Spinnenarten der Erde. Im Vergleich zu anderen, wesentlich kleineren australischen Spezies sind sie allerdings weitgehend harmlos.
Foto: John Tann

Pilz aus nekrotischem Gewebe

Das Team um Christian Hertweck vom Leibniz-Institut für Naturstoff-Forschung und Infektionsbiologie (Leibniz-HKI) in Jena ist gemeinsam mit australischen Kollegen dem ungewöhnlichen Fall auf den Grund gegangen: In den 1980er Jahren biss eine Spinne einer Australierin in den Finger. Es entwickelte sich eine Mischinfektion im Unterarm, die Mediziner nur durch eine Amputation stoppen konnten. Aus dem nekrotischen Gewebe isolierten Forscherkollegen damals den Pilz Rhizopus microsporus.

Hertweck und seine Mitarbeiter entdeckten, dass im Zellinneren dieses Pilzes wiederum Bakterien leben. Sie sind es, die nach den Analysen einen ganzen Giftcocktail produzieren. Ein Teil dieses Gemischs, die sogenannten Rhizoxine, wurde bereits vor einigen Jahren entdeckt. Nun sind neue Moleküle mit völlig anderer Struktur hinzugekommen, die als Necroxime bezeichnet werden. Sie gehören zur Substanzklasse der Benzolacton-Enamide. Schon geringste Mengen dieser Necroxime bringen menschliche Zellen zum Absterben.

Zellgifte vom Fließband

Das Team untersuchte auch, wie die Bakterien diese ungewöhnlichen Verbindungen herstellen. Dazu analysierten die Forscher das Genom der Bakterien. Durch bioinformatische Analysen entschlüsselten sie eine Vielzahl von Biosynthese-Genen. Sie codieren eine Art molekulares Fließband, an dem die Necroxime gebildet werden. Kleine Molekülbausteine werden über ein biochemisches Programm zusammengesetzt und modifiziert. Jede einzelne Domäne des enzymatischen Fließbands ist für einen speziellen Reaktionsschritt zuständig, bis schließlich das fertige Molekül freigesetzt wird.

Mikroskopische Aufnahme der Bakterien im Pilz (hier grün).
Foto: Leibniz-HKI

Da Necroxime und verwandte Stoffe toxisch auf menschliche Zellen wirken, kommen sie als Medikamente gegen Krebserkrankungen in Betracht. Chemiker müssen jedoch häufig die Molekülstruktur noch anpassen, um die pharmakologischen Eigenschaften zu verbessern und unerwünschte Wirkungen zu minimieren. Die Enzyme der Biosynthese sind für die Wissenschafter ein geeignetes, von der Natur bereitgestelltes Werkzeug.

Umprogrammierte Biosynthese

Durch die Decodierung der zuständigen Gene ist es den Naturstoff-Forschern nun möglich, die Biosynthese von Wirkstoffen gezielt umzuprogrammieren. Zudem fanden sie ähnliche genetische Codes in den Genomen zahlreicher anderer Bakterien, die sie auf diese Weise als Wirkstoffproduzenten identifizierten.

Für Hertweck sind natürliche Lebenspartnerschaften eine Quelle der wissenschaftlichen Inspiration: "Das komplexe Zusammenleben unterschiedlicher Organismen – hier Bakterium, Pilz und Spinne – wird größtenteils von chemischen Substanzen gesteuert. Mit den Necroximen haben wir neue toxische Naturstoffe entdeckt, die möglicherweise auch nutzbringend für den Menschen zum Einsatz kommen könnten." (red, 17.3.2020)