Ein Moskowiter liest in einem Supermarktprospekt, was er sich alles kaufen könnte, wenn die Regale nicht leer wären.

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Sascha und Mascha gehen nicht mehr in die Schule. Bereits am Montag hat ihre Mutter Anastassija die beiden Mächen, acht und neun Jahre alt, vom Unterricht befreit. Die Moskauer Stadtregierung stellt es den Eltern in dieser Woche frei, selbst zu entscheiden, ob die Kinder zu Hause oder in der Schule lernen. Ab Samstag werden dann die Schulen ganz geschlossen – mindestens bis zum 12. April. Im Eiltempo müssen sich die Lehrer auf Online-Unterricht umstellen. Das Gleiche betrifft auch Kindergärten und Universitäten.

Dabei ist die Lage in Russland offiziellen Angaben zufolge noch deutlich entspannter als in West- und Mitteleuropa. 114 Personen hat das Gesundheitsamt russlandweit am Montagabend als infiziert gemeldet. Die meisten von ihnen sollen sich im Urlaub angesteckt haben. Nur zehn Fälle sind Übertragungen innerhalb von Russland selbst. Die Verbreitungsgeschwindigkeit des Coronavirus nimmt dabei aber deutlich zu. Innerhalb eines Tages wurden 30 neue Patienten registriert. Daher bereitet sich die Regierung intensiv auf den Ernstfall vor. Gesundheitsminister Michail Muraschko erklärte, dass die Intensivstationen und Infektionskliniken in erhöhter Alarmbereitschaft seien.

Grenzen völlig geschlossen

Und natürlich setzt Russland auch auf die Sicherheitsorgane bei der Bekämpfung der Epidemie. Nachdem in den vergangenen Wochen schrittweise der Flugverkehr in die EU gestrichen worden war, schloss Russland nun seine Grenzen völlig. Ausländer dürfen ab Mittwoch nicht mehr ins Land. Ausgenommen von der Regelung sind lediglich Diplomaten, Fernfahrer und Personen mit einer Aufenthaltserlaubnis.

Und auch für Russen, die es geschafft haben, durch den zunehmend wieder eiserneren Vorhang zurückzukommen, gelten seit Wochen bereits verschärfte Sicherheitsbedingungen. Sie müssen für zwei Wochen in Quarantäne, selbst wenn sie keine Krankheitssymptome aufweisen. Eine rigorose, aber bisher nur halbdurchdachte Maßnahme, denn wie die Moskauer, für die die Anweisung zuerst erlassen wurde, nach Hause kommen sollen, wird dabei nicht geklärt. Taxi, Flughafenexpress oder U-Bahn werden so zu neuen möglichen Gefahrenquellen.

Strenge Überwachung

Dafür wird der Hausarrest umso strenger überwacht: Mehrere Tausend Moskauer sind bereits in Quarantäne und dürfen ihre Wohnung nicht verlassen. Die Einhaltung wird über das neue System der Gesichtserkennung kontrolliert. Erst Ende vergangenen Jahres wurde der Algorithmus flächendeckend in praktisch alle Kameras, die in der russischen Hauptstadt aufgestellt sind, eingeführt. Ursprünglich zur Verbrecherjagd. Nun soll die Gesichtserkennung der Identifizierung von Personen dienen, die sich der Quarantäne entziehen. Medienberichten zufolge musste ein Moskauer bereits Strafe zahlen, weil er es gewagt hatte, während seiner Quarantäne den Müll hinauszutragen und dabei ins Visier der Kamera am Hauseingang geraten war.

Juristen bezeichnen die rechtliche Lage als unklar, denn formuliert wurde die Anweisung als "freiwillige Quarantäne", in der der Aufenthalt in der Öffentlichkeit auf "ein Minimum" zu beschränken sei.

Konsequenzen

Inzwischen haben die Behörden alle Massenveranstaltungen mit mehr als 50 Teilnehmern untersagt. Spät, aber doch haben auch die Fußball- und die Eishockeyliga ihren Betrieb eingestellt. Auch politisch hat das Konsequenzen: Die Opposition, die am Wochenende eigentlich gegen die geplante Verfassungsänderung zur Verlängerung der Amtszeit von Wladimir Putin demonstrieren wollte, hat die Kundgebungen wegen der Ansteckungsgefahr inzwischen selbst abgesagt. Führende Oppositionspolitiker riefen allerdings gleichzeitig dazu auf, das am 22. April geplante Referendum über die Verfassungsänderung dann auch abzusagen. Bisher hält der Kreml aber am Datum fest.

Mit Maßnahmen zur Stützung der Wirtschaft wegen der Corona-Krise hält sich die russische Regierung hingegen im Vergleich zu anderen Ländern zurück. Das von der Regierung Anfang der Woche geschnürte Paket ist weniger als vier Milliarden Euro schwer. Zum Vergleich: Vier Milliarden Euro will das Kabinett von Sebastian Kurz (ÖVP) an Wirtschaftshilfen bereitstellen. Nur wohnen in Russland mehr als 15-mal so viele Menschen wie in Österreich, und das BIP ist etwa viermal so groß. (André Ballin aus Moskau, 17.3.2020)