Wir sind es längst gewohnt, elektronische Geräte mit Touchfunktion per Fingerstreich zu steuern. Noch ansprechender könnte es aber sein, nicht nur über glatte Bildschirme zu streichen, sondern über verschiedenste Arten von Textilien. "Smarte Textilien", dezente und gleichzeitig flexible und leichte Bedienoberflächen aus Stoff, die auf Druck reagieren, sollen das ermöglichen.

An solchen Textilien arbeiten Michael Haller und Kathrin Probst vom Media Interaction Lab der Fachhochschule Oberösterreich am Campus Hagenberg gemeinsam mit einem Konsortium aus Universitäts- und Industriepartnern in Österreich, Deutschland und der Schweiz. Ihr Forschungsprojekt Textile UX wird im Rahmen des FFG-Programms Comet, das von Wirtschafts- und Infrastrukturministerium finanziert wird, bis Oktober 2021 gefördert.

Mit smarter Textiltechnik können Stoffe in sanfte Bedienflächen für elektronische Geräte verwandelt werden.
Foto: FH Hagenberg / MI-Lab

Das Herzstück ihrer schlauen Textilien ist ein leitfähiger Faden mit Kupferdrahtkern, der von einer Schicht ebenfalls leitfähiger Karbonpartikel umgeben ist. Mit einem Durchmesser von 50 Mikrometer ist der Faden nicht dicker als ein menschliches Haar. Trotzdem ist er robust und lässt sich wie handelsübliche Garne mit Näh-, Web- und Strickmaschinen in Textilien einarbeiten.

Sensibles Garn

Überall dort, wo sich zwei leitfähige Fäden überkreuzen und dabei berühren, entsteht ein druckempfindlicher Sensor. Werden Kreuzungspunkte in bestimmten Mustern angeordnet, lassen sich punktuelle Steuerflächen zum Drücken oder Bedienflächen für Streichgesten schaffen.

Damit funktioniert eine Stoffoberfläche ganz ähnlich wie ein Smartphone-Bildschirm. Dieser hat ein sogenanntes kapazitives Feld, das man mit seinem Finger bei Berührung stört. Diese Veränderungen werden dann in Gesten übersetzt. "Wir wollen dabei nicht bestehende Touch-Displays, Buttons und Slider ersetzen, sondern eine alternative Eingabemöglichkeit entwickeln", betont Haller.

Wachsender Markt

Der Markt für Smart-Textilien-Anwendungen wächst, sein Wert wird laut dem US-Marktforschungsunternehmen Grand View Research bis 2025 auf etwa 5,55 Milliarden US-Dollar anwachsen.

Das häufigste Anwendungsgebiet sind sogenannte Wearables, bei denen in die Kleidung integrierte Mess- und Bedienelemente etwa Gesundheitswerte wie die Herzfrequenz messen oder als Eingabefläche für Handy und Musikplayer dienen. Auch Hallers Team entwickelt Kleidung mit smarten Textilbestandteilen.

BMW hat in seinem Konzeptfahrzeug iNext leitfähige Fasern in den Sitzbezug in der Mitte des Rücksitzes miteingewoben.
Foto: BMW Group

Für die smarte Textiltechnik interessieren sich auch Autohersteller wie die Textile-UX-Projektpartner BMW und Volkswagen. Wohin die Reise gehen könnte, zeigt etwa das BMW-Konzeptfahrzeug iNext. Hier wurden die leitfähigen Fasern in den Sitzbezug in der Mitte des Rücksitzes miteingewoben.

Malt man etwa eine Musiknote auf die Bedienfläche in dem türkisen Jacquardstoff, startet die Musikanlage. Damit man seine Gesten sehen kann, integrierte der Autohersteller auch lichtleitende Monofilamente mit LED-Ende, die bei Berührung entlang der Geste aufleuchten.

BMW nennt dies "Shy-Tech", also wörtlich übersetzt "schüchterne Technik". Gemeint ist, dass sie nur dann sichtbar wird, wenn man sie benötigt und berührt. Mit den Leuchtfilamenten lässt sich gegebenenfalls auch – über ein dauerleuchtendes Startsymbol – die Bedienfläche kenntlich machen.

Eine Frage des Widerstands

Das Geheimnis der Fasern ist eine einfache, aber clevere Idee. Drückt der obere Faden auf den unteren, fließt der Strom nicht mehr nur entlang der Drähte, sondern durch die Karbonpartikel auch vom oberen zum unteren Faden. An dieser Stelle sinkt der Widerstand messbar.

Schickt man nun wiederholt einen ganz schwachen Strom durch Spezialfäden, lässt sich erfassen, wo und wann der Widerstand sinkt. Aus dieser Reihenfolge lassen sich mithilfe von Maschine-Learning-Algorithmen die Gesten ablesen.

Die Ausleseelektronik, bei der sozusagen alle sensorischen Fäden zusammenlaufen, lässt sich unauffällig in ein Kästchen von der Größe einer Scheckkarte integrieren, so Haller. Die verwendete Stromstärke sei mit 50 Milliampere so gering, dass sie vollkommen ungefährlich ist, versichert Haller.

Textile Bedienelemente mit ihrer leichten Auslese-Elektronik könnten Alternativen zu schweren Bauteilen schaffen.
Foto: FH Hagenberg / MI-Lab

"Man kann sich die Fadenkreuzungspunkte wie den Kassenbereich im Supermarkt vorstellen", erklärt Haller. "Der Wunsch, schnellstens zu bezahlen, ist die Spannung. Die Kunden entsprechen dem Strom, und die Zahl der offenen Kassen entspricht dem Widerstand. Sind nur wenige Kassen verfügbar, ist der Widerstand höher. Machen aber weitere Kassen auf, kann der Kundenstrom plötzlich insgesamt schneller fließen, weil der Widerstand plötzlich gesunken ist."

Textil statt Plastik

Zu den angenehmen Bedienflächen kommen weitere Vorteile hinzu, zum Beispiel die Gewichtsreduktion. "Hinter dem Fensterheber im Auto ist beispielsweise ein relativ großes, 250 Gramm schweres Bauteil versteckt", sagt Haller. Textile Bedienelemente mit ihrer leichten Auslese-Elektronik könnten hier Alternativen schaffen.

Parallel dazu ließen sich von vornherein leichte Messelemente entwickeln, etwa um die Körperhaltung des Fahrers zu messen und daraus auf seine Wachsamkeit zu schließen. Nicht zuletzt ließe sich auch die Kunststoffverwendung reduzieren, etwa wenn bisherige Plastikbedienknöpfe durch ein schönes Textil ersetzt werden.

Denkbar seien auch Funktionsfasern mit anderen Eigenschaften. Sie könnten die Temperatur messen und, kombiniert mit wärmeabgebenden Fasern, als Heizelemente dienen. Kürzlich, schildert Haller, hat er in den USA im MIT Media Lab in Cambridge auch Fasern gesehen, die sich in Vibration versetzen lassen und so als Lautsprecher fungieren könnten. (Veronika Szentpétery-Kessler, 21.3.2020)