Ist das größte Spital Österreichs für die Behandlung von Coronavirus-Infizierten gerüstet? Ärzte aus dem AKH zweifeln daran.

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Am Allgemeinen Krankenhaus (AKH) in Wien gibt es einen zweiten Fall eines Arztes, der mit dem Coronavirus infiziert ist. Das erfuhr der STANDARD am Dienstag. Auch er soll am vorvergangenen Wochenende an einem Ärztekongress in Zürs am Arlberg teilgenommen haben und dürfte sich dabei angesteckt haben.

Mediziner im größten Spital Österreichs warnen nun eindringlich vor einer Notsituation. Der STANDARD hat mit mehreren Ärzten unter Zusicherung von Vertraulichkeit gesprochen. Sie schilderten, wie sich die Lage seit der Bestätigung einer ersten Coronainfektion bei einer Anästhesistin am Sonntag zugespitzt hat. Und was jetzt dringend zu tun wäre.

Teilnahme an Ärztekongress

Die Anästhesistin hatte vor gut einer Woche mit neun weiteren AKH-Ärzten an einem Ärztekongress am Arlberg teilgenommen, wie Vizerektor Oswald Wagner am Dienstag bestätigte. Möglicherweise hatte sie sich dort, so wie ein anderer Arzt aus Wien, angesteckt. Sie und ihre AKH-Kollegen, darunter zwei absolute Spitzenprofessoren des AKH, kehrten gemeinsam im Zug nach Wien zurück.

Das Fatale daran: Da die Ärztin keine Symptome hatte, nahm sie ganz normal ihre Arbeit im AKH wieder auf, im OP-Bereich, in der Intensivstation, im Aufwachraum, dort, wo Anästhesisten eben tätig sind. Es sind das die medizinischen Herzstücke des Krankenhauses. Noch am vergangenen Samstag hatte sie an der Operation durch zwei Chirurgen teilgenommen "und die Narkose gemacht". Das gesamte OP-Team wurde laut Schilderung der Ärzte inzwischen isoliert. Dem widerspricht ein Sprecher der Med-Uni Wien. Bis auf die zwei Fälle sei niemand im AKH positiv getestet worden und daher auch nicht isoliert. Alle Ärzte bis auf die zwei bestätigten Fälle seien weiterhin im Dienst.

Test war Eigeninitiative

Die Ärztin hatte im Dienst Kontakt mit dutzenden AKH-Mitarbeitern, Ärzten, Pflegepersonal und natürlich operierten Patienten und solchen auf der Intensivstation. Sie drängte Ende der Woche selber auf einen Coronatest, der am Sonntag bekannt wurde: positiv. Sie und der andere Arzt, der inzwischen auch als coronapositiv bestätigt ist, gingen in häusliche Quarantäne, wie Oswald der APA bestätigte, nachdem der STANDARD den zweiten Fall öffentlich gemacht hatte.

"Es kann so sein, dass sie hunderte Leute angesteckt haben", erklärt einer der Mediziner demgegenüber, sie hätten sich im AKH ohne Schutzmasken bewegt. Tagelang sei darüber geredet worden, "aber es ist nichts passiert".

"Wir waren auf so eine Situation nicht vorbereitet", erzählt ein Arzt den Fortgang der Ereignisse, die Verwaltung habe das Ziel verfolgt, dass "das AKH coronafrei bleibt, was eine Illusion ist". Daher fehle es nun an Information, wie man sich weiter verhalten solle.

Masterplan fehlt

Ein anderer führender Mediziner beklagt "das Fehlen eines Masterplans", wenn die Anzahl der Coronafälle in Österreich diese Woche explodieren wird und man Infizierte auch im Spital haben werde: "Wir müssen unsere Patienten ja weiter behandeln."

"Wir sind jetzt drei Wochen zu spät dran", erklärte ein dritter Arzt. Es mangle an Schutzanzügen, an Masken, an Schutzbrillen, und "man sagt uns, dass das bestellt ist, aber irgendwo an der deutschen Grenzen festsitzt". Alle nicht dringenden Operationen sind inzwischen abgesagt.

Dementi zu vermeintlich drittem Fall

Besonders irritierend: Nur sehr wenige Ärzte seien bisher routinemäßig Coronatests unterzogen worden. Im Umfeld des ersten bestätigten AKH-Falls waren es 85 Ärztinnen und Ärzte der Med-Uni Wien und 50 Pflegepersonen des Wiener Krankenanstaltenverbunds (KAV), lautet die offizielle Auskunft.

Dienstagmittag wurde dem STANDARD mitgeteilt, dass eine dritte Ärztin, ebenfalls eine Anästhesistin, positiv getestet wurde. Sie soll gravierende gesundheitliche Probleme haben. Johannes Angerer, Pressesprecher der Med-Uni Wien, dementiert einen dritten Corona-Fall im Wiener AKH jedoch. Es gab den Verdacht, dass sich eine weitere Ärztin infiziert habe, ebenfalls eine Anästhesistin, der Test sei zunächst auch positiv ausgefallen, der zweite Test war aber negativ, erläutert ein Sprecher des Krankenanstaltenverbunds. Dies komme vor, die Tests haben eine Trefferwahrscheinlichkeit von 95 Prozent. Die Ärztin ist nicht im Dienst.

Kongressteilnahme entgegen Dienstanweisung

Am Ärztekongress am Arlberg waren insgesamt zehn Ärzte des AKH. Sie nahmen teil, obwohl es bereits am 5. März die Anweisung gab, nur noch jene Dienstreisen anzutreten, die unbedingt notwendig seien.

Der Betrieb im AKH laufe normal weiter, es gibt keine Stationssperren, so Angerer. Ob und wie viele Patienten im AKH im Umfeld der Anästhesistin getestet wurden, konnte er nicht sagen.

In der Klinik selbst laufen viele Gerüchte um. "Es gibt eindeutig zu wenig Information, gezielte Handlungsanweisungen durch die Klinikadministration fehlten", sagt ein Arzt. Ein Beispiel: Noch am Montag habe die Direktion allen Mitarbeitern schriftlich mitgeteilt, "dass es schwierig wird". Das sei zu wenig. Die Ärzte betonen, dass sie das gar nicht als Vorwurf meinten, aber alles gehe viel zu langsam, "sie sind überfordert". Inzwischen kümmern sich einige Ärzte privat um Schutzkleidung. Besonders schwierig sei die Situation für die Krankenpfleger und Schwestern, die besonders intensiven Patientenkontakt haben.

Zustände wie in Italien abwenden

Die vom STANDARD konsultierten Ärzte machen sich jedenfalls keine Illusionen, was die nächsten Tage betrifft. Sie gehen davon aus, dass man die Patienten unter der Bedingung behandeln wird, dass es auch im AKH positiv getestete Personen gibt, vor allem die schweren Fälle. Man versuche die Ärzteteams intern so zu organisieren, dass im Falle einer Coronainfektion in einem Team andere Teams weitermachen können, wenn die einen eventuell in Quarantäne gehen müssen. Zustände wie in Italien, hoffen sie, werde man vermeiden können. Aber dazu müsse rasch etwas geschehen. (Thomas Mayer, Rosa Winkler-Hermaden, 17.3.2020)