Am Montagvormittag hat Notenbank-Chef Robert Holzmann in einer Pressekonferenz mit Finanzminister Gernot Blümel (ÖVP) die Gesundheit der österreichischen Banken beteuert. Am Nachmittag, als die Bundeshauptstadt schon still stand, empfing er den STANDARD zum lang vereinbarten Interview – auf Distanz natürlich. Dort zitiert er Schumpeter und dessen schöpferische Zerstörung. Krisen müssten genutzt werden, um gestärkt aus ihnen hervorzugehen, meint der FPÖ-nahe Notenbanker. Holzmann glaubt, dass Corona bald überwunden sein werde.

STANDARD: Wie sehr wird die Corona-Krise Österreich wirtschaftlich treffen?

Holzmann: Corona ist in erster Linie ein Gesundheitsproblem, das, wenn es gut angegangen wird, bald gelöst werden kann. Die Situation ist daher einfacher als die Finanzkrise vor zehn Jahren, als es umfassende Verwerfungen auf dem Finanzmarkt gab. Jetzt geht es um eine Krise, in der die Leute nicht arbeiten können und bestimmte Produkte nicht angeboten werden – es kommt zu einem Output-Schock, der rasch überwunden werden kann.

Nationalbank-Gouverneur Robert Holzmann findet auch Gutes an der Krise – in Bezug auf ihre Reinigungskraft.
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STANDARD: Ist es nicht komplizierter, weil die Krise die Realwirtschaft trifft? Wenn Firmen pleite- und Jobs verloren gehen, wäre das ein nachhaltiger Schaden.

Holzmann: Ja – wenn das passieren sollte. Aber die Aufgabe der Regierungen besteht ja genau darin, das zu verhindern, indem sie Liquidität und Einkommensersatz sicherstellen. Die Maßnahmen in Österreich, wie Zuschüsse für Unternehmen, damit sie ihre Rechnungen zahlen können, oder Zahlungsaufschub, Steuerstundung, Kurzarbeit und sonstige soziale Abfederungen werden den Ausfall in der Realwirtschaft abfedern. Wir haben rechtzeitig damit begonnen, und ich gehe davon aus, dass es bei einem schweren, aber bewältigbaren Einkommensschock bleiben wird.

STANDARD: Wie lange darf die Krise dauern, damit Österreich so glimpflich davonkommt?

Holzmann: Wenn die Maßnahmen der sozialen Distanz wirken und wir das weit vor dem Sommer beendet haben, schleppen wir die Auswirkungen nicht in die Zukunft mit. Dann muss man Maßnahmen setzen, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Das würde bedeuten, dass wir das Jahr 2020 nicht mit einem Wirtschaftswachstum beenden, aber auch nicht mit viel Verlust. Und wir könnten gestärkt ins nächste Jahr hineingehen, weil die Ansätze dafür ja schon da waren.

Holzmann verteidigt die Politik der EZB, die bisher zurückhaltend in der Bekämpfung der Corona-Krise agiert.
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STANDARD: Die Maßnahmen der Regierung kompensieren nicht den Ausfall der Unternehmen und EPUs (Ein-Personen-Unternehmen). Sie müssen die Kredithilfen ja wieder zurückzahlen. Müsste ihnen die öffentliche Hand den Ausfall nicht ersetzen, damit sie überleben können?

Holzmann: Man wird den Ausfall zu einem großen Teil ersetzen, aber nicht komplett. Es ist nicht Aufgabe der Regierung, alles zu ersetzen, sondern das Überleben der Unternehmen sicherzustellen und den Leuten ihr Auskommen. Wir alle müssen uns auf Einschränkungen einstellen. Aber so wird die Krise eine bewältigbares Problem bleiben.

STANDARD: Auf Pleiten würden Massenentlassungen folgen. Deutschland ändert das Insolvenzrecht, setzt Konkursanträge aus. Sollte man das auch in Österreich tun?

Holzmann: Von Insolvenzen sind wir in Österreich noch entfernt, und Insolvenzen gehören auch in guten Zeiten zur Wirtschaft dazu. Dieser Ansatz ist problematisch, denn er macht keinen Unterschied zwischen Unternehmen, die sowieso nicht überlebt hätten, und denen, die schon überlebt hätten. Diese Hilfe ist ein Fehler, weil damit die Reinigungskräfte nicht wirken können. Sie würde verhindern, dass man aus diesem Loch gestärkt herauskommt.

STANDARD: Sie meinen, die Krise reinigt die Wirtschaft?

Holzmann: Jede Wirtschaftskrise ist auch eine Reinigung, Sie kennen sicher Joseph Schumpeter und seine Theorie der schöpferischen Zerstörung. Schon die Geldpolitik der letzten Jahre mit Null- und Negativzinsen hat diese Reinigungskraft etwas unterbrochen. Man kann eine Krise auch dazu nützen, gestärkt daraus hervorzugehen und dabei den sozialen Anforderungen Genüge zu tun.

Der Absturz der Aktienkurse sei für die Betroffenen, die Vermögen verlieren, natürlich ein Problem, aber für die Wirtschaft sei das eine gute Bereinigung, sagt der OeNB-Chef.
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STANDARD: Sie führen den tiefen Fall der Aktienmärkte also auch darauf zurück, dass die Märkte durch die erhöhte Liquidität zuletzt sehr stark gestiegen sind?

Holzmann: Die Aktienkurse waren losgelöst von realen Werten, der jetzige Sturz kam also nicht überraschend. Es ist immer besser, die Verluste zu konsumieren, als zu versuchen, sie hinauszuzögern – Japan leidet immer noch darunter. Für die Betroffenen, die Vermögen verlieren, ist das natürlich ein Problem. Aber für die Wirtschaft ist so eine Bereinigung gut.

STANDARD: Trug die Geldpolitik zu einer Zombifizierung der Wirtschaft bei, also dazu, kaputte Unternehmen am Leben zu halten?

Holzmann: Das ist eine These. Aber es gibt auch andere Folgen, etwa dass Platzhirsche, die den Markt beherrschen, mit billigen Finanzierungen expandieren und den Konkurrenten die Luft wegnehmen. Das ist in den letzten Jahren passiert. Wenn das also aufhört und ein Teil der Bereinigung ist, wäre es ein positiver Aspekt der Krise.

STANDARD: Heißt das, dass Sie in den Folgen der Krankheit beziehungsweise des Schutzes vor Corona eine Genesung der Wirtschaft sehen?

Holzmann: Ich hätte das so nicht formuliert. Aber ja, dieser Gesundheitsschock, so schlimm er auch ist, führt andererseits dazu, bestimmte Geschäftsmodelle zu überdenken – ob es nun um das Outsourcing in ferne Länder samt langen Transportwegen geht oder um die Organisation der Wirtschaft. Man sollte die Zeit nutzen, Dinge zu ändern, die man schon lang ändern wollte. Nach dem Motto: "Verschwende nie eine Krise, um Verbesserungen durchzuführen." Ich würde anregen, zu prüfen, was wir künftig anders machen könnten.

STANDARD: Sie betonen die Stärke von Österreichs Finanzsystem. Sollte es aber zu größeren Firmenpleiten kommen: Halten die Banken das aus?

Holzmann: Es kommt auf die Schwere des Schocks an. Aber Österreichs Banken haben ihr Eigenkapital seit der Finanzkrise verdoppelt und sind gut aufgestellt.

STANDARD: Wenn Banken jetzt nicht alle überfälligen Kredite fällig stellen: Widerspricht das nicht Ihrer These, dass nun die Zeit wäre für Selektion auf den Märkten?

Liquidität, also Geldzufuhr, ist derzeit das Wichtigste für die Wirtschaft, findet der OeNB-Gouverneur.
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Holzmann: Wenn man alle Unternehmen, die nicht zurückzahlen können, sofort vor die Tür setzt, würde das zum großen Schock führen – dafür gibt es aber keinen Grund. Verlängern wird man Kredite für Unternehmen, die Ausfallsentschädigungen bekommen – wie etwa im Tourismus. Man muss aber sicherstellen, dass nur die überlebensfähigen Firmen überleben, die anderen, die auch ohne Krise aus dem Markt ausgeschieden wären, sollen nicht überleben. Im Moment ist die Bereitstellung von Liquidität das Wichtigste. Danach liegt es an den Banken, zu entscheiden, wer weiterfinanziert wird und wer nicht.

STANDARD: Wie sehen Sie das etwa bei der Lufthansa-Tochter AUA mit ihren 7.000 Beschäftigten? Schrieb zuletzt Verlust und steckt tief in der Krise. Retten? Fallenlassen?

Holzmann: Die AUA als ehedem österreichisches Unternehmen ist für unsere Wirtschaft wertvoll und wichtig, gerade jetzt, da es gilt, Österreicher heimzubringen.

STANDARD: In Deutschland wurde andiskutiert, die Lufthansa im Notfall zu verstaatlichen. Sind Verstaatlichungen strategisch wichtiger Betriebe grundsätzlich anzustreben?

Holzmann: In Österreich haben wir vor allem Mittelbetriebe, für die sich eine Verstaatlichung nicht so anbietet. Eher wäre eine Unterstützung vorstellbar, Käufer zu finden.

STANDARD: Gilt das auch für die Verstaatlichung von Banken, wie sie in der Finanzkrise ein Thema war?

Holzmann: Ich sehe derzeit keinen Anlass dafür.

STANDARD: Der Auftritt von EZB-Präsidentin Christine Lagarde am Donnerstag kam einem Kommunikationsfiasko nahe, die Märkte spielten verrückt. Was ist da passiert?

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EZB-Chefin Christine Lagarde bei einem Auftritt am 12. März.
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Holzmann: Ich saß während des Auftritts im Flugzeug, habe später Auszüge gesehen. Ich denke, der Inhalt der Kommunikation war richtig. Problematisch wurde von einigen Marktteilnehmern gesehen, dass die EZB einer Liquiditätsausweitung nicht im erwarteten Ausmaß zugestimmt hat. Lagarde hat gesagt, dass die Geldpolitik ihre Grenzen erreicht hat. Wir können das Problem nicht allein lösen, das ist jetzt vor allem eine Aufgabe der Fiskalpolitik. Es ist die Aufgabe des Staates, für Haftungen und soziale Unterstützung zu sorgen. Die Geldpolitik kann das Problem nicht übertünchen. Als der Markt sah, dass Frau Lagarde das ernst meint und Einstimmigkeit darüber im EZB-Rat herrscht, hat er realisiert: Unsere überhöhten Kurse auf den Aktienmärkten können wir nicht aufrechterhalten.

STANDARD: Den Absturz der Märkte haben Sie quasi in Kauf genommen?

Holzmann: Es wäre ohnehin nicht möglich gewesen, den Erwartungen der Märkte zu entsprechen. Das hat man auch in den USA gesehen, wo am Sonntag ein großes Paket verkündet wurde, ohne dass es zu einer Beruhigung der Märkte kam. Die Märkte haben in der Eurozone eine Zinssenkung um einen Zehntelprozentpunkt eingepreist, und wir haben diese Erwartungshaltung mit dieser Entscheidung nicht bedient.

STANDARD: Sollte man jetzt über Helikoptergeld und andere Instrumente nachdenken, damit die Billionen an Notenbank-Liquidität auch einmal bei den Konsumenten ankommen?

Holzmann: Helikoptergeld ist ein theoretisches Konzept. Natürlich kann man darüber nachdenken. Ich will nicht ausschließen, dass es Situationen gibt, in denen derartige Maßnahmen passen. Ich glaube aber nicht, dass das jetzt der Fall ist. Die Mehrzahl der Leute, die jetzt Homeoffice machen, hat einen Job und braucht keine finanzielle Unterstützung. Die braucht rund ein Viertel der Bevölkerung. Wenn man jetzt allen etwas gibt, gibt man drei Vierteln der Menschen Geld, die es gar nicht brauchen, und jenen zu wenig, die mehr brauchen. Solche Instrumente sind dazu gedacht, Kaufkraft und Inflation nach oben zu treiben. Im jetzigen Fall wäre das nicht der richtige Ansatz.

STANDARD: In der EU gibt es gerade einen Fleckerlteppich an Maßnahmen gegen die Pandemie und die drohende Rezession. Wäre nicht ein einheitliches Vorgehen notwendig?

Holzmann: Die derzeitige politische Entscheidung ist, keine zentrale fiskalpolitische Instanz zu haben. Die Frage ist, ob man das braucht. Was in Europa fehlt, ist eine vollendete Banken- und Kapitalmarktunion, weil damit asymmetrische Schocks abgewehrt werden können. Eine zentrale fiskalpolitische Instanz mit einem kleinen Budget würde diese Funktion nicht erfüllen. Außerdem haben wird den Europäischen Stabilitätsmechanismus ESM. Es ist genug Feuerpower da.

Italien ist von der Corona-Krise besonders getroffen, die wirtschaftlichen Folgen sind enorm. Das Land werde sicher Stützungen brauchen, so Holzmann.
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STANDARD: Der Rettungsfonds ESM ist eher ein Auffangnetz. Sehen Sie Italien wegen der dramatischen Wirtschaftseinbußen als Kandidaten für den Fonds?

Holzmann: Italien wird sicher Stützungsaktionen brauchen, die EU-Kommission hat schon die Verwendung von Strukturfondsmitteln angekündigt. Ob es weiterer Maßnahmen bedarf, lässt sich schwer sagen. Der ESM ist ein Rettungsschirm, der eingesetzt wird, wenn die Marktstabilität gefährdet wird, was im Moment nicht der Fall ist.

STANDARD: Sie sagen, andere Länder hätten Corona positiv bewältigt. Welche?

Holzmann: Nicht nur kommunistische Länder wie China, sondern auch demokratische Staaten wie Südkorea oder Taiwan haben gezeigt, dass man das Coronavirus relativ rasch in den Griff bekommen kann. Das macht optimistisch und zeigt, dass man temporär Einschnitte machen kann, die zu Erfolg führen. Wenn wir das in Österreich wirklich durchhalten, können wir die Gesundheitskrise nach zwei Monaten hinter uns lassen.

STANDARD: Stürzen wir dann in eine Rezession?

Holzmann: Gegenwärtig kommt es zu einem Output-Ausfall, weil wir zur Verhinderung der Gesundheitskrise die Arbeitskräftenachfrage zurückhalten. Das ist keine Rezession in traditioneller Form.

STANDARD: Für die Sparer ist die von Ihnen angestrebte Zinswende wohl auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben?

Holzmann: So negativ würde ich das nicht sehen. Klar, im Moment kommt eine Zinswende nicht infrage. Eine Zinsänderung in Richtung null hätte heute weniger Effekte auf die Finanzmärkte, die sind durch die Erschütterungen schon konsumiert. Ich glaube jedoch, dass ein negativer Zinssatz in einer Marktwirtschaft nicht die Normalität darstellen kann. Ein Negativzinssatz bedeutet, dass man die Zukunft schlechter bewertet als die Gegenwart, darum sollte er nur temporär eingesetzt werden. Sechs Jahre sind ein bisschen viel.

STANDARD: Apropos Zuversicht: Hat sich die Aufregung in der OeNB wegen der von Ihnen vor- und zurückgenommenen Personalentscheidungen gelegt?

Holzmann: Das ist längst vorbei. (Renate Graber, Andreas Schnauder, 18.3.2020)