Kinder in der Mara-Region am Victoriasee in Tansania: Sie leben vielfach in extremer Armut.

Foto: APA / Angelika Kreiner

Dass sich eine Kärntner Fachhochschule mit einem Spezialthema einer Teilregion des afrikanischen Kontinents beschäftigt, scheint auf den ersten Blick ungewöhnlich. Der Grund dafür ist in Helmut Spitzer zu finden.

Der Professor für Soziale Arbeit besucht seit mehr als dreißig Jahren immer wieder Afrika, hat auch dort gelebt und baut an der Fachhochschule Kärnten derzeit einen Afrikaschwerpunkt auf. Eine seiner Expertisen ist Sozialarbeit innerhalb der Ostafrikanischen Gemeinschaft, der die Länder Burundi, Kenia, Ruanda, Tansania, Uganda, und der Südsudan angehören.

Knapp zehn Jahre lang leitete er das Projekt Prosowo (Promotion of Professional Social Work in East Africa), das im Rahmen des Appear-Programms (Austrian Partnership Programme in Higher Education and Research for Development) von der Österreichischen Entwicklungsagentur mit insgesamt 800.000 Euro gefördert wurde.

Ziel des Projekts war die Aufarbeitung der Probleme, mit denen soziale Arbeit in Ostafrika konfrontiert ist. Außerdem sollte auch aktiv zu deren Lösung beigetragen werden. Ein Artikel Spitzers in der Fachzeitschrift "International Social Work", in dem er Hintergründe und Ergebnisse des Projekts zusammenfasst, wurde kürzlich vom unabhängigen Wissenschaftsverlag Sage ausgezeichnet.

Schlechte Bedingungen

Die Länder der Ostafrikanischen Gemeinschaft blicken auf eine von gewaltsamen Konflikten geprägte Vergangenheit zurück. Der Völkermord von 1994 in Ruanda etwa kostete rund eine Million Menschen das Leben. In Kenia gab es nach Wahlen immer wieder ethnische Zusammenstöße. Der Norden von Uganda litt lange Zeit unter dem Bürgerkrieg.

Die Folgen sind zerstörte Infrastrukturen, massive Fluchtbewegungen und extreme Armut. Dazu kommt die hohe Sterblichkeit wegen Aids. All dies sind denkbar schlechte Bedingungen für Sozialarbeit, machen sie aber zugleich dringend nötig. "Sozialarbeit in Afrika ist ein Kind der kolonialen Sozialplanung", erklärt Helmut Spitzer. "Nach der Unabhängigkeit in den 1960er-Jahren konnte durch Entwicklungshilfe die Sozialhilfe überhaupt erst professionalisiert werden."

Als Erbe des Kolonialismus blieb jedoch ein methodisches Problem ungelöst: die Fokussierung auf europäische und nordamerikanische Theorien, Lehrmethoden und Inhalte. Ein Beispiel: "Ein paar meiner Studierenden haben ein Auslandssemester in Tansania gemacht. In einem Kurs für Counselling and Guidance haben sie über Freud, systemische Beratung und Ähnliches gelernt", kritisiert Helmut Spitzer.

Die sozialarbeiterische Praxis in Ostafrika sieht demgegenüber ganz anders aus. Sie ist viel weniger individuell ausgerichtet als in den nördlichen Industriestaaten, sondern nimmt die Gemeinschaft als Ganzes in den Blick. Das beinhaltet die Berücksichtigung von Familien- und Clanstrukturen sowie die Einbeziehung der Dorfältesten oder auch der Heiler.

Entrümpelte Lehrpläne

Ein erster Ansatzpunkt lautete deshalb, die Curricula zu "entrümpeln", indem man die Konzepte und Methoden der indigenen sozialarbeiterischen Praxis in die Lehrpläne einbaut. An einigen an dem Projekt beteiligten Hochschulen gibt es nun Bachelor- und Masterstudiengänge, in deren Planung dieser Gedanke umgesetzt wurde.

Im Rahmen des Prosowo-Projekts konnten außerdem rund ein Dutzend Lehrbücher erstellt werden, welche die indigenen Methoden der Sozialarbeit behandeln und die nun an den Bibliotheken der Hochschulen zur Verfügung stehen.

Die Projektpartner wollen auch Sozialarbeit als politischen Faktor etablieren. In der Fachliteratur wird der Ansatz als "developmental social work" bezeichnet. Er versteht Sozialarbeiter als Akteure, die versuchen, aktiv auf die Sozialpolitik Einfluss zu nehmen und Veränderungen zu bewirken.

Professionalisierte Sozialarbeit

Damit verbunden ist auch das Bestreben, ein Berufsgesetz für Sozialarbeiter einzuführen, in dem neben ethischen Standards unter anderem auch geregelt sein soll, wer soziale Arbeit überhaupt anbieten darf. Gegenwärtig ist der Beruf ungeschützt – im Grunde darf sich jeder Sozialarbeiter nennen, ohne einen Befähigungsnachweis vorweisen zu müssen. "Es ist zwar noch nicht gelungen, einen fertigen Gesetzesentwurf durchzubringen", meint Spitzer. "Aber in Tansania, Uganda und Kenia steht man kurz vor dem Durchbruch."

Mit einem solchen Gesetz wäre auch der ökonomische Aspekt geregelt. "Die Kollegen in Afrika verdienen teilweise unglaublich wenig", so Spitzer. "Und viele Einrichtungen sind von internationalen Fördergebern abhängig, die jederzeit wegfallen können. Es gibt aber Hoffnung, dass der Staat künftig mehr Verantwortung übernimmt."

Eine Besonderheit von Spitzers, in seinem ausgezeichneten Fachartikel zusammengefassten theoretischen Ansatz, ist die von ihm so genannte "Mzungu"-Perspektive. "Mzungu" ist ein Wort aus dem Suaheli und bezeichnet Weiße und es beinhaltet die ironisch gemeinte Konnotation der hohen Mobilität reicher weißer Menschen. "Es ist eigentlich kein rassistischer Ausdruck", sagt Spitzer, "aber er meint, dass jemand ein kulturell Außenstehender ist."

Tendenziell korrupt

Diese Perspektive des Beobachters, der nicht wirklich dazugehört, hat Spitzer zu einem methodischen Prinzip erhoben. "Ich verstehe darunter eine permanente kritische Reflexion meiner Perspektive", erklärt er. "Es geht darum, sorgsam darauf zu achten, wie ich ein soziales Phänomen interpretiere. Das geht nur über Dialog und gemeinsame Reflexion mit den Kollegen vor Ort."

Aktuell schreibt Spitzer eine Monografie mit dem Titel "Wenn Elefanten kämpfen, leidet das Gras". Der poetische Titel hat eine bittere Bedeutung: "Sozialarbeit in Afrika hat es mit autoritären Systemen, neoliberalen Akteuren und politischen Eliten zu tun, die tendenziell korrupt sind. Dabei leidet immer die Zivilbevölkerung, die in Armut lebt." (Raimund Lang, 23.3.2020)