Interview via Videokonferenz. Landeshauptmann Günther Platter stand virtuell Rede und Antwort.

Foto: Victoria Bischof

Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Um in Zeiten der Corona-Krise dennoch Medien Rede und Antwort stehen zu können, hat das Land Tirol einen eigenen Channel für Videokonferenzen eingerichtet. Über einen solchen konnte DER STANDARD am Dienstagnachmittag ein Interview mit Tirols Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) führen. Er steht seit 25. Februar 2020 an der Spitze des Tiroler Einsatzstabes, der diese herausfordernde Situation meistern muss.

STANDARD: Herr Landeshauptmann, bezugnehmend auf den Auftritt des Tiroler Gesundheitslandesrates Bernhard Tilg in der "Zeit im Bild 2" am Montag: Sind Sie der Meinung, dass Tirol im Zuge der Corona-Krise bisher alles richtig gemacht hat?

Platter: Es dürfte allen klar sein, dass diese Krisenbewältigung eine unfassbar schwierige Aufgabe ist. Ich kann mit gutem Gewissen sagen, dass das Menschenmögliche gemacht wurde in der jeweiligen Situation, um angepasste Maßnahmen zu setzen. Aber ich will dazu auch sagen: Wir lernen tagtäglich dazu, in Tirol, aber auch weltweit. Dieses Virus ist ja nicht in Ischgl entstanden. Daher mussten wir erst lernen, damit umzugehen. Und wir haben etwa im Laufe der Zeit festgestellt, dass eine Verbreitung dort wesentlich schneller gegangen ist, wo mehr Leute zusammenstehen. Man wird danach schauen müssen, was ist gut gelaufen und was weniger.

Podcast: Wie das Coronavirus von Tirol aus Menschen in ganz Europa infizierte.

STANDARD: Auf das, was weniger gut gelaufen ist, würde ich gerne näher eingehen. Beginnen wir am 6. März, als das Robert-Koch-Institut (RKI) Südtirol als Risikogebiet eingestuft hat. Diese Einschätzung hat auch das Gesundheitsministerium übernommen, die Tiroler Landeskliniken haben daraufhin ihre Mitarbeiter angewiesen, Südtirol zu meiden. Allerdings wurde diese Einschätzung im Ministerium kurz darauf wieder revidiert. Hat Tirol in Wien interveniert, damit das zurückgenommen wurde?

Platter: Die Tiroler Landeseinsatzleitung ist gemeinsam mit den Gesundheitsbehörden des Bundes zur Einschätzung gelangt, dass diese Bewertung des RKI überzogen war. Daher wurde sie wieder zurückgenommen.

STANDARD: Am 5. März hat Island Ischgl als Risikogebiet auf einer Stufe mit Wuhan und dem Iran ausgewiesen, nachdem sich zahlreiche Isländer während ihres Urlaubs in Ischgl angesteckt hatten. Das Land Tirol reagierte am 6. März mit einer Presseaussendung, in der die Landessanitätsdirektion behauptet, dass es "aus medizinischer Sicht unwahrscheinlich sei", dass sich die Urlauber hier angesteckt haben könnten. Diese Einschätzung basierte auf der E-Mail einer Privatperson. Warum glaubte man der mehr als der offiziellen Warnung Islands?

Platter: Die Landessanitätsdirektion hat sich auf diese E-Mail bezogen, weil sie offenbar glaubwürdige Informationen enthielt, wonach sich eine infizierte Person im Flugzeug befunden hat, was auch die Airline bestätigt haben soll. Und ich möchte in dem Zusammenhang darauf verweisen, dass etwa Dänemark Tirol schon als Risikogebiet eingestuft hat, nachdem nur eine Person infiziert zurückkam. Da wäre Deutschland auch schon lange Risikogebiet. Für uns ist bei den Einschätzungen das RKI der Maßstab, an dem wir uns orientieren.

STANDARD: Gehen wir chronologisch weiter zum 9. März, dem Tag, an dem Italien landesweit zum Sperrgebiet erklärt wurde und alle Skigebiete in Südtirol geschlossen wurden. An dem Tag wurde auch die Risikoeinschätzung des RKI für Südtirol in Österreich wieder übernommen. Zugleich setzte, wie unsere Recherchen ergaben, eine Wanderbewegung von Touristen, die in Norditalien urlaubten, nach Tirol ein. War man sich dieser Gefahr nicht bewusst, hätte Tirol nicht damals schon handeln müssen?

Platter: Das ist mir jetzt nicht in der Form bekannt. Aber wenn das stattgefunden hat, war es mit Sicherheit nicht im Interesse der Politik.

STANDARD: Im Laufe dieser Woche wurden, nachdem die Bar "Kitzloch" in Ischgl als Epizentrum des Corona-Ausbruchs unzweifelhaft feststand, erst die Bar selbst, dann alle Ischgler Après-Ski-Lokale geschlossen. Warum so zögerlich, hätte man Ischgl nicht gleich komplett schließen müssen? War das rückblickend ein Fehler?

Platter: Wenn man das Buch von hinten liest, kann man immer bestimmte Beurteilungen abgeben. Aber zum gegebenen Zeitpunkt war es das Menschenmögliche, was wir gemacht haben. Aber die Analyse muss auf alle Fälle im Nachhinein gemacht werden.

STANDARD: Am 12. März, so sagte mir der Obmann des Fachverbands der Seilbahnen in der Wirtschaftskammer Österreich, ÖVP-Nationalratsabgeordneter Franz Hörl, habe man sich zusammen mit dem Krisenstab auf "den Kompromiss" geeinigt, alle Tiroler Seilbahnen mit 15. März zu schließen. Warum muss der Einsatzstab des Landes Tirols in einer solchen Situation mit einem Seilbahn-Lobbyisten einen Kompromiss eingehen?

Platter: Also diese Aussage mit dem Kompromiss weise ich scharf zurück. Mehr möchte ich dazu nicht sagen, sonst würde ich eher emotional werden. Meine Aussage war immer: Ich lasse es nicht zu, dass am Samstag 150.000 neue Gäste nach Tirol kommen und sich hier womöglich infizieren. Wir haben uns für Sonntag entschieden, damit keine panischen Reaktionen entstehen. Wir wollten die Skigebiete geordnet leeren, um so eine Abreise ohne zusätzliche Menschenansammlungen verhindern.

STANDARD: Am Freitag, dem 13. März, wurde schließlich über das Paznauntal und St. Anton am Arlberg die Quarantäne verhängt. Im Zuge dessen wurden aber Urlauber, deren Rückflüge erst am Samstag oder Sonntag angesetzt waren, von ihren Hotels einfach vor die Tür gesetzt. Man gab ihnen zum Teil nur zwei Stunden Zeit, um abzureisen. Daraufhin standen diese Urlauber ohne Unterkunft da. Wie konnte das passieren? Warum hat man die Hoteliers nicht gezwungen, ihre Gäste bis zu einer geordneten Heimreise weiter zu beherbergen? Das war ja auch in der Quarantäneverordnung so vorgesehen.

Platter: Die Vorgabe der Behörde, in Absprache mit dem Gesundheitsministerium, war folgende: Österreichische Gäste sollen da bleiben, ausländische Gäste müssen unterfertigen, dass sie ohne anzuhalten nach Hause fahren und sich dort freiwillig in Quarantäne begeben. Und es war auch vereinbart, dass die dortigen Behörden darüber informiert werden. Das war so vereinbart, aber ich habe das nicht bei jedem Einzelnen nachvollzogen. Ich kann nun nicht verantwortlich gemacht werden, ob die Umsetzung bei jedem Einzelnen so funktioniert hat. Ich bitte um Verständnis, dass das keine politische Aufgabe war. Dass es eine riesige Herausforderung war, immerhin ging es um tausende Gäste, ist klar. Aber wie das dann praktisch genau abgelaufen ist, das entzieht sich meiner Kenntnis, dazu kann ich daher keine klare Aussage machen.

STANDARD: Aber können Sie sich vorstellen, dass jene Hoteliers, die so gehandelt haben und Gäste vor die Tür setzten, obwohl diese keine Möglichkeit hatten, vorzeitig abzureisen, mit Konsequenzen zu rechen haben werden?

Platter: Also noch einmal: Dabei geht es um die praktische Umsetzung, ich kenne dazu keine Details. Wenn das aber passiert ist, ist es nicht in Ordnung.

STANDARD: Sie sind als Landeshauptmann oberster Chef des Tiroler Tourismus. Wessen Schutz geht nun derzeit vor: jener der Hoteliers oder jener der Gäste?

Platter: Mir geht es um die Gesundheit der Tiroler Bevölkerung und um die Gesundheit der Gäste. Das war bei allen meinen Gesprächen intern, aber auch gegenüber den Medien klar. Es kommt für mich überhaupt nicht infrage, dass irgendwelche finanziellen Einbußen beim Tourismus mehr gewichtet werden als die Gesundheit. Das wäre ja auch ein fataler Fehler im Tourismus, wenn man so kurzsichtig wäre, den Tourismus in den Vordergrund zu stellen anstatt die Gesundheit der Gäste. Dann hätten wir tatsächlich einen nachhaltigen Schaden im Tiroler Tourismus. Daher ist die Antwort auch ganz eindeutig: Die Gesundheit steht in jedem Fall im Vordergrund. (Steffen Arora, 17.3.2020)