Das Coronavirus hat eine Pandemie ausgelöst, die die Alten tötet und die Jungen verschont. Alle Experten sind sich einig, dass Menschen über 65 das größte Sterberisiko haben. Während in den Kriegen früherer Zeiten die jungen Männer gefallen und die alten übrig geblieben sind, ist es heute umgekehrt. Die derzeitigen Maßnahmen, die eine gewaltige Wirtschaftskrise auslösen werden und das Leben von Millionen einschränken, geschehen vornehmlich zum Schutz der Alten. Aus Solidarität mit der älteren Generation, wie es allenthalben heißt. Das ist schön. Aber ist es auch vernünftig?

Die Engländer, von jeher berühmt für ihren Pragmatismus, gehen einen anderen Weg. In Großbritannien ist das öffentliche Leben weit-hin unbeeinträchtigt geblieben. Die Schulen sind geöffnet, die Geschäfte ebenso, ein Versammlungsverbot gibt es nicht. Die Regierung berief sich dabei anfangs auf die sogenannte "Herdenimmunität". Laut dem Regierungsberater und Gesundheitsexperten Sir Patrick Vallance wäre, wenn etwa 60 Prozent der Bevölkerung "graduell und kontrolliert" infiziert und danach gegen Covid-19 immun sind, der überwiegende Teil der Briten sicher. Dabei wäre freilich in Kauf zu nehmen, dass Alte und Kranke eher in Gefahr sind, an der Krankheit zu sterben. Premier Boris Johnson sagte das so: "Viele Familien werden geliebte Angehörige früher verlieren als erhofft." Inzwischen hat er ein wenig zurückgerudert.

Großbritannien hat wertvolle Zeit für die Zurückdrängung der Krankheit verspielt.
Foto: EPA/ANDY RAIN

Dieser Zugang ist auch in Großbritannien heftig kritisiert worden. Er folgt gleichwohl der von dem englischen Denker John Stuart Mill entwickelten Philosophie des Utilitarismus, die besagt, dass sittlich gut ist, was dem "größten Glück der größten Zahl" von Menschen dient. Das vielzitierte Fallbeispiel dazu: Wenn entschieden werden muss, ob ein alter kranker Pensionist gerettet werden soll oder eine junge Unternehmerin mit Kindern, dann hat die Letztere, im Interesse der Allgemeinheit, Vorrang.

Welle der Hilfsbereitschaft

Hierzulande, aber auch in vielen anderen europäischen Ländern, strömt den Alten freilich vonseiten der Jüngeren eine beeindruckende Welle der Hilfsbereitschaft und Fürsorglichkeit entgegen. Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn bieten den durch Corona besonders Gefährdeten Unterstützung an, damit diese nicht ihre Wohnung verlassen müssen. Gemeinden organisieren Einkaufsdienste für die betagten Mitbürger und Mitbürgerinnen. Möglich, dass hierbei auch die schmerzliche Erinnerung an die Nazi-Ideologie vom "lebensunwerten Leben" mitschwingt.

Und was sagen die Alten selber dazu? Her mit dem Virus, rief ein über 90-Jähriger, gebrechlich, aber geistig voll präsent. Die quicklebendige, fast 90-jährige und auch wegen ihres sorgfältig gepflegten Kontakts zur Geisterwelt bekannte Autorin Lotte Ingrisch ließ die "Krone" wissen, dass ihr alter Körper ihr peinlich sei. "Der gehört weg." Und in den Vereinen, die die Zulassung der Sterbehilfe unterstützen, sind vorwiegend alte Menschen aktiv.

Der Corona-Diskurs hat jedenfalls erst begonnen. Es geht dabei nicht nur um Medizin und Wirtschaft, sondern auch um die Erhaltung der Grund- und Freiheitsrechte in der Zeit nach der Krise. Und nicht zuletzt auch um das Verhältnis der Generationen zueinander. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 18.3.2020)