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Mittlerweile erinnert er durchaus an Andreas Gabalier. Wie beim Steirabuam kollidiert im Wesen Morrisseys die Weinerlichkeit mit dem Größenwahn. Eine Mischung, zu der im Fall des 60-jährigen britischen Popstars noch eine Portion Altersstarrsinn dazukommt und so die Schablone des Wutbürgers vervollständigt.

Der mit der phänomenalen Band The Smiths in den 1980ern weltberühmt gewordene Sänger war immer ein drastischer und dem Drama zugetaner Künstler. Seine Autobiografie Morrissey geht nachgerade über mit Anekdoten, die aus der Sicht einer egozentrischen Drama-Queen und einem permanent halbleeren Glas heraus memoriert werden.

Morrissey erscheint darin als romantische Künstlerfigur, die beständig gegen die Widrigkeiten und die Feindseligkeit eines kunstfernen Alltags kämpft. Er ist ein Don Quijote ohne das Regulativ eines Sancho Pansa – einer, der noch in der Bewegung seines eigenen Schattens Verrat und Unbill vermutet.

Böse Medien

Das mag als radikale künstlerische Position interessant erscheinen, als politischer Nährboden teilt er sich das Terrain aber längst mit Populisten, Nationalisten und Verschwörungsparanoikern. Wie es für diese typisch ist, sieht er sich in dieses Eck nur von den anderen gedrängt, von jenen, die ihn immer schon unter ihrem Stiefel sehen wollten. Vornehmlich sind das die bösen Medien. Damit drängt sich also auch noch die Selbstüberschätzung mit ins Bild.

War seine Weißglut gegenüber einer Margaret Thatcher noch nachvollziehbar, weil die von ihr angestrengte Dezimierung des Sozialstaats und der Arbeiterklasse sowie der radikale Umbau der britischen Gesellschaft keine Einbildung waren, geifert er heute aus dem selbsterrichteten Gefängnis eines jener wohlbetuchten One-Percenter, gegen die er einst angetreten war.

Hund an der Kette

Man muss das in Erinnerung rufen und darstellen, weil dieser Mann zumindest eine Generation von Popfans mit Musik versorgt hat, die mit zum Besten gehört, was die Britischen Inseln jemals hervorgebracht haben. Und wie sein neues Album I Am Not A Dog On A Chain zeigt, ist ihm dieses Talent bis heute nicht abhandengekommen, so sehr er es für seine Agenda mitunter missbraucht.

Bereits der Opener Jim Jim Falls setzt stark auf Synthesizer-Sounds und die Zeichen damit auf eine ästhetische Neuorientierung. Inhaltlich gibt er sich wie üblich zweckpessimistisch, erahnt Gegnerschaft allerorts und beklagt in Love Is On Its Way Out fehlende Empathie mit anderen Lebewesen, beschränkt sich dabei aber auf die Tierwelt.

Morrissey

Der Titelsong positioniert ihn als Fels in der Brandung der Dummheit. Als einen, der sich nicht an die Leine nehmen lässt, der zu clever für seine Gegner ist, ihre Medien nicht konsumiert. Da fragt man sich zwar, woher er dann weiß, was ihm so sauer aufstößt, aber das reimt sich dann natürlich nicht so schön.

Nick Cave als Hilfe

Morrissey zeigt sich gut in Form. Er arbeitet sich durch das wuchtige und anklagende Bobby, Don't You Think They Know?, in dem neben ihm Soulsängerin Thelma Houston outriert. Schlecht ist anders. Auch zärtlichere Songs wie das von einer Slide-Gitarre untermalte What Kind of People Live in These Houses? sind hübsch, während Knockabout World wieder das schreckliche Einzelkämpferschicksal des letzten Aufrechten thematisiert.

Gegen Ende des Werks übernimmt er sich doch, da werden die Songs berechenbar und klingen wie schon oft gehört, ist das Album zu lang. Aber man hat ohnehin genug gehört. Nick Cave hat über Morrissey in seinem Blog Red Hand Files geschrieben, man soll seine Kunst und seine Meinungsfreiheit achten, aber seine Standpunkte bei jeder Gelegenheit bekämpfen. Leicht gesagt, aber als Leitfaden für unseren liebsten Gefallenen vielleicht das einzig taugliche Rezept. (Karl Fluch, 19.3.2020)