Wann der Aktienmarkt wieder einen Boden findet, lässt sich noch nicht abschätzen. Derzeit geht es noch rasant abwärts.
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An der Börse wird die Zukunft gehandelt – und die sieht eher furchteinflößend aus. Beinahe täglich prasseln Hilferufe von Unternehmen und Rezessionswarnungen auf Anleger ein und bringen die Börsenkurse ins Rutschen. Notenbanken und Regierungen stemmen sich mit einem Milliardenregen für die Wirtschaft nach Kräften dagegen, können aber die durch die Corona-Krise angestoßene Negativspirale nicht aufhalten. Wie lange kann das noch so weitergehen?

Zunächst besteht ein grundsätzliches Problem: Wegen einer Gesundheitskrise die Bewegungsfreiheit der Bevölkerung so einzuschränken, das hat es in Friedenszeiten noch nicht gegeben. Die Leute still und gleichzeitig die Wirtschaft am Laufen zu halten ist einfach nicht möglich. Ganze Volkswirtschaften werden so vorübergehend lahmgelegt.

Prognosen überholt

Auch für Ökonomen herrscht derzeit eine sehr eingeschränkte Sichtweise, wie ING-Chefökonom Carsten Brzeski bereits in der Vorwoche einräumte. Man könne nur Annahmen treffen, etwa über die Reaktion der Politik, und auf dieser Basis Prognosen erstellen. Allein, diese Annahmen halten derzeit nur wenige Tage, sodass die ING diese Woche neue, wenig ermutigende Zahlen präsentierte.

"Obwohl sie sich in ihrer Natur völlig unterscheiden, kann die derzeitige Krise ähnliche wirtschaftliche Auswirkungen wie die Finanzkrise haben", sagt Brzeski. In den USA soll die Wirtschaftsleistung im zweiten Quartal auf Jahressicht um acht Prozent einbrechen. Für das Gesamtjahr sind derzeit minus 0,4 Prozent Wachstum veranschlagt – sofern sich die Lage ab dem Sommer normalisiert. Brzeski dazu: Dem Bauchgefühl zufolge könnten bald weitere Anpassungen nötig werden.

Helikoptergeld hebt ab

Wohl hinkt die Verbreitung des Virus in den USA jener in Europa hinterher, es zeichnet sich aber eine ähnliche Entwicklung ab. Als Antwort sollen nach zwei radikalen Zinssenkungen der Notenbank nun staatliche Wirtschaftshilfen folgen – das Volumen wird auf etwa 850 Milliarden Dollar taxiert. Zudem plant Präsident Donald Trump offenbar, sogenanntes Helikoptergeld an die Bevölkerung auszuzahlen. Jeder Bürger soll vom Staat ohne Gegenleistung bis zu 1.000 Dollar erhalten.

Solch ungewöhnliche Maßnahmen verunsichern aber – schließlich hat mit Ausnahme Hongkongs noch niemand auf Helikoptergeld gesetzt. Wie schlimm muss die Lage dann bloß sein, wenn zu solch ungewöhnlichen Mitteln gegriffen wird? Die Börsen geraten ein weiteres Mal ins Rutschen, was weitere Verunsicherung und negative Effekte auf die Wirtschaft verursacht. Ein Teufelskreis.

Teufelskreis geschlossen

Der hat sich auch auf dem alten Kontinent längst geschlossen. Für Deutschland lautet die Prognose von ING-Volkswirt Brzeski: Um mindestens 1,5 Prozent soll die Wirtschaft aus derzeitiger Sicht heuer schrumpfen. Für die gesamte EU erwartet die Kommission heuer ein einprozentiges Minus beim Wachstum – und zählt damit zu den Optimisten. Die Raiffeisen Bank International rechnet eher mit einem vierprozentigen Negativwachstum in der Eurozone – also einer schweren Rezession.

Einen Schritt weiter gehen die US-Investmentbanken Goldman Sachs und Morgan Stanley: Ihre Volkswirte wähnen sogar eine weltweite Rezession vor der Tür – fraglich sei nur, wie lange und tiefgreifend diese ausfallen werde. Ihre Erwartungen liegen bei einer Kontraktion der Weltwirtschaft um etwa ein Prozent.

Solche Zahlen hatte vor kurzem noch niemand auf der Rechnung. Jetzt geht es dafür Schlag auf Schlag: Fast täglich verdüstern sich seither die Prognosen, immer schneller rauschen die Aktienkurse in den Keller. Zumal die Zweitrundeneffekte gar nicht zur Gänze absehbar sind. Ein Beispiel: Die Ratingagentur Standard & Poor's warnt bereits vor einer Verdreifachung der Kreditausfälle.

Flucht aus Staatsanleihen

Apropos Kreditrisiken: Die Flucht in Staatsanleihen sicherer Emittenten kehrte sich zuletzt um. Es kamen erste Zweifel an der Tragfähigkeit der Schulden auf, da die Rettungspakete für die Wirtschaft die Staatshaushalte stark belasten.

Die Negativspirale hat richtig Fahrt aufgenommen. Und: Je länger sich die Corona-Krise in Europa und den USA hinzieht, desto stärker wird diese Spirale rotieren. Erst bei einer Entspannung werden sich genug Investoren finden, die das extrem tiefe Kursniveau als Kaufgelegenheit ansehen und die Wende am Aktienmarkt herbeiführen. (Alexander Hahn, 19.3.2020)