Autor Marc Elsberg betreibt viel Recherche für seine Thriller über Krisenszenarien.

Foto: Lukas Ilgner

Für ihn macht das Regierungsgebot, zu Hause zu bleiben, keinen großen Unterschied, sagt Marc Eisberg. Er sitzt daheim und schreibt – wie immer. Seine Thriller wie Blackout verkaufen sich nicht nur millionenfach, sie wurden auch wiederholt zum "Wissenschaftsbuch" des Jahres gekürt. Mal schlittert die Welt darin wegen eines Stromausfalls ins Inferno, mal ist eine Wirtschaftskrise schuld. Immer aber basieren sie auf fundierter Recherche.

STANDARD: Sie sind ein Experte für Krisensituationen. Schreckt Sie Corona?

Elsberg: Als Privatperson finde ich das nicht angenehm, als jemand, der sich mit solchen Szenarien beschäftigt, weiß ich aber, dass nun im Hintergrund mehr Sicherungsstrukturen laufen, als man denkt.

STANDARD: Hat Sie in den letzten Tagen am Geschehen irgendetwas überrascht?

Elsberg: Nein, alles läuft nach Blaupause ab. Von der anfänglichen Weigerung der Verantwortlichen, den Ernst der Lage zu akzeptieren, Ischgl ist da bloß ein Extremfall, über den Schock, der eintrat, als es doch Maßnahmen geben musste. Auch absehbar waren die Börsencrashs. Wäre man skrupellos, hätte man vor ein paar Wochen auf fallende Kurse spekulieren müssen.

STANDARD: Haben Sie Vorräte gebunkert?

Elsberg: Ich habe seit den Recherchen für Blackout die behördlichen Empfehlungen zu Hause. Aber das braucht man momentan ja nicht. Auch wenn die Situation bedrohlich wirkt, sind wir weit weg von kompletten Desasterszenarien.

STANDARD: Es mag schlimmere Szenarien geben, dennoch ist es die schlimmste Krise, die die meisten von uns bisher erlebt haben …

Elsberg: Keine Frage, da braucht man sich nichts vormachen. Alle, die jünger als 50 Jahre sind, haben so was nach nicht erlebt. Für die ganz Jungen ist das wie 9/11 oder Tschernobyl. Ähnlich bedrohlich war 2008 die Finanzkrise, aber viele waren im Alltag nicht so unmittelbar davon betroffen, und man ist nicht potenziell krank geworden.

STANDARD: Was bedeutet so eine Ausnahmesituation psychisch für uns Menschen?

Elsberg: Man hat das Verhalten von Menschen in anderen Krisen studiert. Entgegen geläufigen Annahmen besteht, solange die Grundversorgung gesichert ist, relativ großes Solidaritätsgefühl und die Bereitschaft, eigene Interessen zurückzustellen.

STANDARD: Wann dreht die Stimmung?

Elsberg: Wenn Nahrung und Wasser ausgehen, die Kommunikation nicht mehr funktioniert und die Energieversorgung zusammenbricht, wird es schwierig. Solche Szenarien können getriggert werden, wenn viele Arbeitskräfte in heiklen Bereichen ausfallen, aber davon sind wir weit entfernt. In betroffeneren Ländern wie China und Italien ist es auch nicht dazu gekommen.

STANDARD: Sie haben in "Helix" über ein gezüchtetes Virus geschrieben. Was macht Viren als Bedrohungsszenario so geeignet?

Elsberg: Die Kombination aus Unsichtbarkeit und Wehrlosigkeit. Wie Überwachung ist auch ein Virus nicht fassbar für den Durchschnittsbürger. Dazu kommt die Ansteckungsgefahr, es kann jeden erwischen.

STANDARD: Zeigt uns Corona unsere Machtlosigkeit gegenüber der Natur auf?

Elsberg: Dieses Narrativ ist jetzt natürlich sehr präsent, und es stimmt ja auch. Es passt gut in einen anderen Erzählstrang der Gegenwart: die Klimakrise. Ich bin gespannt, ob beide Erzählungen in den nächsten Jahren zusammenwachsen – wie dass der Klimawandel Corona befördert hätte.

STANDARD: Krisen werden von Verschwörungstheorien begleitet. Warum ist das so?

Elsberg: Weil Verschwörungstheorien uns einerseits die Kontrolle zurückgeben – hat man ein Labor, aus dem das Virus ausgetreten ist, ist nicht mehr nur die Natur schuld, sondern verantwortungslose Wissenschafter. Andererseits ist es eine morbide Lust an Sensationen. Man erlebt das in den eigenen sozialen Medien: Gerüchte und Ideen kursieren, was noch kommt. Bei Terrorangriffen ist das in Onlineblasen auch zu erleben.

STANDARD: Wäre die Coronakrise eines Ihrer Bücher, wie ginge es weiter?

Elsberg: Ich würde das Szenario über mehrere Jahre ziehen und die Nachwirkungen beschreiben. Es würde einen wirtschaftlichen Einbruch geben, die Folgen hingen von weiteren Reaktionen darauf ab. Wir erleben, dass Leute übers Internet Schutzmasken zu Wucherpreisen verkaufen – eine Kleinigkeit, aber als Autor sähe ich viele Gelegenheiten für Böswillige, ob Staaten oder Terroristen, um Schwachstellen auszunützen, Geld wo abzuschöpfen, Infrastrukturen zu stören. Man will im Thriller ans Limit gehen. Das sind Gedankenspiele auch von Verteidigungsstrategen, die so darauf zu einem gewissen Grad vorbereitet sind.

STANDARD: "Blackout" entstand 2008 infolge Ihrer Verwunderung über den Grad weltweiter Vernetzung. Corona konnte sich wegen globaler Touristenströme so ausbreiten ...

Elsberg: Die Vernetztheit der Welt finde ich grundsätzlich sehr positiv, wir haben aber versäumt, Sicherheitsstrukturen einzubauen. Wir sind ja nicht mehr nur in der Industrie so organisiert, jedes Krankenhaus arbeitet genauso. Das ist den Leuten nicht bewusst. Normalerweise ermöglicht das Komfort und geringe Kosten. Taucht aber ein Fehler auf, bekomme ich etwa keine Medikamente geliefert. Das sind Abhängigkeiten, auf die wir uns eingelassen haben.

STANDARD: Wird man sich das merken?

Elsberg: Ich bin neugierig, wie lange es dauert, bis man das vergisst und wieder alles den Märkten überlassen will. Als ob die in der Lage wären, etwas zu regeln. Es wird plötzlich sehr deutlich, wer für unsere Gesellschaft sehr relevant ist, und ich finde spannend, wie da der Begriff "Leistungsträger" neu definiert wird. Während viele selbsternannte jetzt zu Hause sitzen und sich Sorgen machen, wie sie ihren Maledivenurlaub bezahlen, sorgen andere dafür, dass wir unser Essen bekommen. Ich nehme aber an, alle werden schnell wieder in alte Muster zurückwollen, sobald möglich.

STANDARD: Es zeigt sich in der Krise gerade auch eine Rückkehr – zum Nationalstaat.

Elsberg: Bis zu einem gewissen Grad ist er noch immer die etabliertere und besser aufgestellte Organisationsform. Gefährlich ist nun, ob man daraus einen Nationalismus macht. In Situationen wie dieser wäre es aber gut, hätte die EU größere Schlagkraft.

STANDARD: Der Westen ist kritisch gegenüber Chinas Überwachungsstaat. Dort aber gibt es Apps, die zeigen, wo Infizierte leben ...

Elsberg: Ich würde das nicht in dem Ausmaß gutheißen, aber gewisse Technologien könnte man auch bei uns sinnvoll nutzen. Man muss aber sicherstellen, dass sie nach der Ausnahmesituation nicht mehr eingesetzt werden. Wenn ich lese, dass A1 ungefragt Bewegungsdaten von Kunden weitergegeben haben soll, ist das ungeheuerlich! Ich hielte es aber für falsch, es grundsätzlich abzulehnen. In Krisensituationen werden naturgemäß Individualrechte zurückgeschraubt, das ist im Gesetz vorgesehen. Die Frage ist, wo ist die Grenze, und wie sorgt man dafür, dass sie eingehalten wird. (Michael Wurmitzer, 19.3.2020)