Nein, Christine Lagarde ist nicht Mario Draghi. Der frühere Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) hat am Höhepunkt der Eurokrise in den Jahren 2009 bis 2012 noch jede Marktturbulenz mit ein paar Worten beruhigt. Draghis Credo war immer: Die EZB wird alles tun, um den Euro zusammenzuhalten. Allein dieses Bekenntnis hat Investoren davon abbringen können, auf einen Zerfall der Eurozone zu spekulieren.

Die neue EZB-Chefin Lagarde dagegen hat vergangene Woche genau dieses Bekenntnis vorerst verweigert, indem sie sinngemäß erklärte, die Zentralbank in Frankfurt sei kein Garant für Italiens Staatsschulden, was die Verunsicherung erst recht angefacht hat.

In der Nacht auf Donnerstag kam dann der nächste Schwenk: Die Euro-Zentralbanker kündigten ein 750 Milliarden Euro schweres Notfallprogramm für die Eurozone an. Das ganze Zusammengebaut in einer Krisensitzung. Die Zentralbank wird Staatsanleihen, aber auch andere Wertpapiere im Euroraum, zumindest bis Ende 2020, aufkaufen. Und: Sie kündigte auch an, notfalls noch mehr Geld in den Markt zu pumpen, falls das nicht reicht. Name des Programms: Pandemic Emergency Purchase Programme (PEPP).

Aber warum diese Aktion? Was genau will die EZB erreichen? Die Corona-Krise ist natürlich längst zu einer Wirtschaftskrise mutiert, global wie in Europa. Staaten kündigen deshalb immer größere Hilfs- und Rettungspakete an. Die zentrale Frage dabei lautet: Wie soll das genau wer bezahlen? In Europa kommt ein komplexer Punkt hinzu.

Gemeinsam – und doch allein

In der Eurozone ist die Geldpolitik vergemeinschaftet, alle Länder entscheiden gemeinsam im Eurosystem via EZB. Der französische Ökonom Charles Wyplosz hat das einmal treffend so beschrieben: Die Euroländer haben im Grunde nicht alle eine eigene Zentralbank. Für sie ist der Euro eine Art "Fremdwährung". Was gemeint ist? Ein Beispiel soll es verdeutlichen: In den USA garantiert die Notenbank Fed jederzeit, dass der Staat an ausreichend Geld kommt, und das zu günstigen Konditionen.

Alle Länder begeben Anleihen, das sind handelbare Wertpapiere, um an Kredite zu kommen. Wenn eine Krise anrückt und die Zinsen für die US-Regierung zu steigen beginnen, interveniert die Fed. Die druckt einfach Geld und kauft am Markt US-Staatsanleihen ohne Ende auf. Damit drückt sie die Zinsen für die Regierung. Weil jeder Investor weiß, dass die Fed das jederzeit kann und die USA die größte Volkswirtschaft der Welt sind, kommen nie Zweifel am Dollar auf.

Im Euroraum können einzelne Staaten nicht nach Belieben auf Liquidität der Zentralbank zurückgreifen. Dafür braucht jedes Land die Unterstützung der übrigen Europartner.

Zinssätze gehen nach oben

Diese Konstellation führte in den vergangenen Tagen zu immer mehr Verunsicherung: Die Zinsen, die Italien für einen zehnjährigen Kredit zahlen muss, sind zwar mit drei Prozent noch moderat. Doch der Zinssatz hat sich innerhalb weniger Wochen fast verdreifacht. Er liegt jetzt deutlich über den Zinssätzen für Deutschland.

Italien, das am stärksten von Corona betroffene Land, hat bereits mehr als 45 Milliarden Euro an Hilfsmaßnahmen für die Wirtschaft angekündigt, das sind zwei Prozent der Wirtschaftsleistung. Hinzu kommen Mehrausgaben beim Arbeitslosengeld, bei gleichzeitig steigenden Zinsen.

EZB-Chefin Christine Lagarde sorgte für Verunsicherung.
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Dabei war die Staatsverschuldung Italiens schon vor der Krise bei über 130 Prozent der Wirtschaftsleistung. Das war der zweithöchste Wert in Europa.

Daher stellt sich also die Frage, ob die EZB und die übrigen Euroländer Italien verstärkt unter die Arme greifen müssen oder nicht. Aktuell kauft die Europäische Zentralbank zwar Staatsanleihen – sie interveniert also am Markt.

Was kann die Eurozone noch tun?

Aber dieses Programm, bekannt als Quantitative Easing (QE), dient dazu, die langfristigen Zinsen im Euroraum insgesamt zu senken. "Das ist kein Hilfsprogramm für einzelne Länder", sagt Patrick Krizan, Analyst beim deutschen Versicherungskonzern Allianz SE.

So kauft die EZB proportional Anleihen auf, also von jedem Land so viel, wie seiner wirtschaftlichen Bedeutung entspricht. Auch deutsche Wertpapiere werden erworben, obwohl das Land finanziell viel besser aufgestellt ist.

Das nun angekündigte Krisenprogramm der EZB geht hier einen Schritt weiter: Zwar wird das erwähnte System im Prinzip beibehalten, von allen Ländern kauft die Euro-Zentralbank Staatsanleihen. Aber sie stellte in einer Aussendung in der Nacht auf Donnerstag klar, dass sie zwischenzeitlich einzelnen Ländern verstärkt unter die Arme greifen kann. Sprich: Die EZB macht sich bereit, Italien zu stützen.

Die Euro-Zentralbank umgeht damit de facto ein altes Kriseninstrument: die "Outright Monetary Transactions" (OMT). Dieses Programm erlaubt es der Zentralbank, einzelnen Ländern speziell zu helfen, im Prinzip unlimitiert.

Geld gegen Auflagen

Bloß: Aktuell ist vorgesehen, dass so eine Geldspritze nur genehmigt werden kann, wenn sich der betreffende Staat Auflagen der anderen Euroländer unterwirft. Dafür gibt es eine eigene Anlaufstelle, den Euro-Rettungsschirm, der ebenfalls Geld bereitstellen kann. In der Eurokrise wurden damit Länder wie Irland oder Griechenland zu Reformen gebracht.

Ökonomen wie Lucas Guttenberg vom Jacques-Delors-Institut, einem Berliner Thinktank, kritisierten schon in den vergangenen Tagen, dass das alles zu langwierig sei. Sie schlagen vor, Hilfen ohne Auflagen zuzulassen. Die Euro-Zentralbank scheint einen ersten Schritt in diese Richtung getan zu haben.

Italien wird auch wirtschaftlich auf eine harte Probe gestellt.
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Das löst ein zentrales Problem nicht. Italien wird sich mit Krediten zwar gut über Wasser halten können, wäre aber nach der Krise höher verschuldet als jetzt.

Die zweite Idee lautet daher: "Corona-Anleihen". Alle Euroländer könnten sich für begrenzte Zeit gemeinsam verschulden, um angeschlagenen Ländern zu helfen. Die Kosten würden alle tragen. Es klingt utopisch. Eine Koordination wird trotzdem nötig. "Bisher ist das schiefgelaufen", sagt Analyst Krizan. "Wir sehen viele Maßnahmen auf nationalem Niveau ohne europäische Hülle." Die kann noch kommen. (András Szigetvari, 19.3.2020)