Albin Kurti und Isa Mustafa einigten sich Anfang Februar auf eine Koalitionsregierung. Diese ist nun am Zerfallen.

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Richard Grenell soll in der Coronakrise Druck auf die kosovarische Regierung ausgeübt haben.

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Die Aktion scheint von langer Hand geplant. Alte Kader der kosovarischen Partei LDK, die mit der Partei Vetëvendosje (Selbstbestimmung, VV) seit Februar in einer Koalition regiert, will die Regierung sprengen. Dem "Dinosaurierflügel", wie der Kreis um den LDK-Chef Isa Mustafa genannt wird, scheint das nun gelungen zu sein. Denn zunächst hatte sich LDK-Innenminister Agim Veliu gegen die generelle Ausrichtung der Regierung gestellt und wollte den Ausnahmezustand wegen der Coronavirus-Krise verhängen. Daraufhin hatte ihn Premier Albin Kurti am Mittwoch entlassen. Nun wollen Teile der LDK einen Misstrauensantrag stellen. Die Koalition zwischen der LDK und VV ist damit am Ende. Denn der Misstrauensantrag wird wohl eine Mehrheit bekommen.

Tatsächlich geht es weder um die Coronavirus-Krise noch um den Ausnahmezustand, sondern darum, dass der "Dinosaurierflügel" der LDK unter dem Einfluss des US-Gesandten Richard Grenell steht, der von US-Präsident Donald Trump beauftragt wurde, einen Deal zwischen dem Kosovo und Serbien einzufädeln. Grenell, der Botschafter in Deutschland war, ist in Berlin so unbeliebt, dass der Versuch unternommen wurde, den slowakischen Diplomaten und Politiker Miroslav Lajčák als EU-Gesandten für den Kosovo und Serbien zu installieren, um den Grenell-Deal zu verhindern.

Grenell nutzt die Viruskrise

Doch Grenell nutzt nun die Coronavirus-Krise, um Nägel mit Köpfen zu machen. Vergangene Woche traf sich der ehemalige kosovarische Außenminister Skënder Hyseni von der LDK mit ihm in den USA. Ab da ging es ganz schnell. Denn Grenell will offenbar die Regierung Kurti unbedingt zu Fall bringen, damit er rasch den in Hinterzimmern bereits seit Jahren ausgetüftelten Deal zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und dem kosovarischen Präsidenten Hashim Thaçi umsetzen kann.

In den vergangenen zwei Jahren waren zahlreiche Lobbyisten – auch aus Österreich – daran beteiligt, diesen intransparenten und berüchtigten Plan zu forcieren. Grenell geht es hauptsächlich um US-Präsident Donald Trump, der unbedingt vor den Wahlen im Herbst noch einen außenpolitischen Erfolg zeigen will. Grenell soll deshalb ein "historisches" Abkommen zwischen dem Kosovo und Serbien zustande bringen. Dies ist in der Schnelle und vor allem in der Intransparenz allerdings nicht mit dem jetzigen Premier Albin Kurti möglich. Auch inhaltlich würde Kurti niemals zulassen, dass es – so wie dies die Lobbyisten rund um Trump wollen – einen Gebietsaustausch nach ethnischen Kriterien als Teil des Abkommens gibt.

Treffen von Grenell, Thaçi, Vučić und Kushner

Am 4. März trafen Grenell, Thaçi und Vučić im Weißen Haus sogar mit dem Schwiegersohn von Trump, Jared Kushner, und Donald Trumps nationalem Sicherheitsberater Robert O'Brien zusammen. Das Abkommen, das möglicherweise vorsieht, dass ein Teil des Territoriums des Kosovo zu Serbien kommen soll, entspricht nicht den Interessen des Kosovo oder der Kosovaren, jenseits ihrer ethnischen Zugehörigkeit. Doch Thaçi, ein ehemaliger Kommandant der Kosovo-Befreiungsarmee, ist wegen seiner Kriegsvergangenheit erpressbar. Es ist auch nicht auszuschließen, dass er vor dem Sondergericht für Kriegsverbrechen landet.

Die einflussreiche kosovarische Journalistin Jeta Xharra fragte den Präsidenten deshalb kürzlich in einem offenen Brief: "Ist es wahr, dass Sie vom Sondergericht zumindest einmal in Prishtina und einmal in Wien befragt wurden? Haben Sie irgendwelche Anmerkungen dazu, dass Sie jeden Kompromiss in der Beziehung mit Serbien akzeptieren werden, und zwar nicht um die Beziehungen zwischen dem Kosovo und Serbien zu verbessern, sondern um sich selbst vor den Anklagepunkten des Sondergerichts zu retten?"

Grenells Ziel: Zölle abschaffen

Der Brief blieb natürlich unbeantwortet. Doch Grenell unternahm indes die nächsten Schritte, obwohl er twitterte, dass niemand "rasch vorgehen" wolle und dass es keinen "großen Deal" geben werde. Er tat und tut alles dafür, dass zunächst die 100-Prozent-Zölle für serbische Waren abgeschafft werden, die noch von der alten kosovarischen Regierung eingeführt wurden, um einen Gebietsaustausch nach ethnischen Kriterien zu verhindern, wie ihn Thaçi und Vučić vereinbart haben. Serbien verlangt nämlich vor einem möglichen Abkommen die Abschaffung der Zölle.

Kurti, der wohl erste Premier im Kosovo, der nicht von den USA erpressbar ist, will die Zölle allerdings nur sukzessive abschaffen, wenn Serbien ebenfalls seine Politik ändert. Diese Politik stand nun Grenell, Thaçi und Vučić im Wege. Deswegen nutzten Grenell und Thaçi nun die aktuelle Coronavirus-Krise. Wird nämlich der Ausnahmezustand im Kosovo verhängt, bekommt der Präsident viel mehr zu sagen, und Premier Kurti wird ausgebremst.

USA üben Druck auf Kurti aus

Shaun Byrnes, ein pensionierter US-Diplomat, der die US-Mission 1998 und 1999 im Kosovo leitete, schrieb kürzlich sehr klar über die Absichten von Grenell und Thaçi: "Washington droht, US-Truppen als Vergeltung abzuziehen, und Thaçi nutzt den zunehmenden Druck der USA auf Kurti, um den Zusammenbruch seiner Regierung herbeizuführen." Nicht nur mit dem Abzug der Nato-Truppen wird gedroht, vergangene Woche hielten die USA auch 50 Millionen Dollar an Hilfszahlungen zurück, um zu erreichen, dass die Zölle aufgehoben werden.

Manche Beobachter sprechen längst von Erpressung. Offensichtlich ist jedenfalls, dass die kosovarischen Bürger nicht transparent über all diese Vorgänge informiert werden und sich ohnehin durch die Coronavirus-Krise in Anspannung befinden. Der Reformflügel der LDK unter Parlamentspräsidentin Vjosa Osmani ist gegen das Ende der Koalition mit Kurti, konnte sich allerdings nicht durchsetzen.

Neue Regierung für Grenells Deal

Der Politologe Arben Hajrullahu von der Universität in Prishtina meint dazu: "Zurzeit gibt es mindestens zwei verschiedene LDKs, zwischen denen ein Machtkampf ausgetragen wird." Jedenfalls sei damit zu rechnen, dass die Regierung nach dem Misstrauensvotum nicht mehr lange bestehen kann und Präsident Thaçi danach den Regierungsauftrag an die LDK geben wird. Diese werde wahrscheinlich mit Thaçis PDK eine neue Koalition bilden – ganz so, wie es Grenell will, um den Deal durchzudrücken.

Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, die in den vergangenen Jahren ein Abkommen, das einen Gebietsaustausch nach ethnischen Kriterien beinhaltet, gegen den Willen der Trump-Regierung verhindert hat, hielt am Mittwoch eine Videokonferenz mit Vučić ab. Merkel begrüßte die Bereitschaft des serbischen Präsidenten, in einen von der EU vermittelten Handelsdialog zwischen Serbien und dem Kosovo einzutreten. Sie versucht offenbar, dass die EU im Dialog wieder eine tragendere Rolle einnimmt, auch um einen gefährlichen Deal von Grenell zu verhindern.

Große Gefahr von Grenzänderungen

Grenzänderungen oder Versuche von Grenzänderungen nach ethnischen Kriterien haben auf dem Balkan nämlich stets zu Kriegen, großem menschlichem Leid und Vertreibungen geführt. Allerdings wollen völkische Nationalisten auf dem Balkan, die heute wegen ihrer Kriegsvergangenheit erpressbar sind, nach wie vor solche Grenzänderungen. Der Kosovo ist jedoch als multiethnische Gesellschaft konzipiert. Hajrullahu erklärt: "Sowohl der serbische als auch der albanische und alle andere Ethnonationalismen haben deshalb ein Problem mit dem Staat Kosovo." (Adelheid Wölfl, 19.3.2020)