Die Innenstadt von Lienz war am Donnerstag bereits menschenleer.

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Innsbruck/Wien – Mittwochabend, um fast genau zehn Uhr, kam die Nachricht: Ganz Tirol steht ab Mitternacht unter Quarantäne. Diese drastische Maßnahme, die vorerst befristet bis 5. April gelten soll, sei notwendig, um Tirol zu schützen, erklärte Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP). Denn die Neuinfektionen im bisher am stärksten vom Coronavirus betroffenen Bundesland nehmen nicht ab. Am Donnerstagnachmittag lag die Zahl der hospitalisierten Patienten in Tirol bereits bei 35, fünf davon benötigen intensivmedizinische Betreuung.

Um diese Entwicklung zu bremsen und einen drohenden Kollaps des Gesundheitssystems, wie er derzeit im benachbarten Italien passiert, zu verhindern, dürfen Tirolerinnen und Tiroler ihre Häuser nicht mehr verlassen. Auch die wichtigsten Besorgungen sind nun nur mehr im Gemeindegebiet erlaubt. Wer dieses verlässt, muss dafür triftige Gründe anführen können. Erlaubt bleibt nur der Weg zur Arbeit, um einen totalen Zusammenbruch der Wirtschaft zu verhindern, wie Platter argumentierte.

Verordnung basiert auf neuem Gesetz

Die aktuelle Quarantäneverordnung in Tirol basiert rechtlich auf dem Covid-19-Maßnahmengesetz, das die Regierung am vergangenen Wochenende erlassen hat. Sie sei auch deshalb landesweit verhängt worden, weil man damit Gerüchten zuvorkommen wollte, welche Ort- oder Talschaft als Nächstes betroffen sein könnte. Durch die nunmehr einheitlich geltende Verordnung für ganz Tirol sei auch für die Bevölkerung mehr Klarheit geschaffen worden.

Keine derartigen Quarantänemaßnahmen, weder in einzelnen Gemeinden noch landesweit, gibt es derzeit im Osten des Bundesgebiets – etwa in Niederösterreich. Dort wurden bis Donnerstagnachmittag 305 Coronavirus-Infektionen registriert, 18 von ihnen in der und um die Marktgemeinde Reichenau an der Rax im Süden des Bundeslandes – für die 2524-Einwohner-Gemeinde eine hohe Zahl.

Bürgermeister erkrankt

Am Mittwoch habe sie erfahren, dass es im örtlichen Kindergarten eine Covid-19-Erkrankung gebe, schildert eine Ortsbewohnerin. Inzwischen klage ihre Tochter über Halsschmerzen. Der Bürgermeister liege mit der Krankheit darnieder, detto eine Gemeindeangestellte sowie eine Reihe weiterer Personen. Laut der zuständigen Bezirkshauptmannschaft Neunkirchen befinden sich zurzeit 260 Personen in und um Reichenau in behördlicher Heimquarantäne.

Von rascher gemeindeweiter Quarantäneausrufung war aber nicht die Rede. "Es ist nicht geplant, die gesamte Marktgemeinde abzusperren", wandte sich der Bürgermeister am Mittwoch via Aushang an die Bewohnerschaft. Am Donnerstag relativierte er auf demselben Weg: Derzeit seien noch viele Testresultate ausständig: "Von diesem Ergebnis wird es abhängig sein, ob es eine Gebietsquarantäne für den Großraum Reichenau an der Rax geben wird."

Virus aus dem Skiurlaub mitgebracht

Ähnliches ist aus der 3500-Seelen-Gemeinde Ardagger im Niederösterreich zu berichten, in die Gemeindemitglieder das Virus aus dem Skiurlaub mitgebracht haben dürften. Laut Bürgermeister Hannes Pressl zählte der kleine Ort am Dienstag 18 Infizierte, rund 150 Menschen befinden sich in häuslicher Quarantäne. "Man kann unsere Lage nicht mit jener eines Skiortes vergleichen. Das Virus hat sich gemeindeintern schnell ausgebreitet, deshalb haben wir beispielsweise die Messe vergangenen Sonntag bereits vorsorglich abgesagt", so Pressl. Der Pfarrer hat sich folglich via Videobotschaft an die Menschen gewandt.

Auf Grundlage des neuen Covid-19-Gesetzes, das es ermöglicht, ganze Ortschaften abzuriegeln, wenn dadurch die weitere Verbreitung des Virus eingedämmt werden kann, müsste eine derartige Maßnahme von der Bezirkshauptmannschaft Amstetten angeordnet werden. Dort verweist man allerdings in die Landeshauptstadt. "Derartige Anliegen werden momentan von den zuständigen Stellen in St. Pölten abgehandelt", sagt die Amstettener Bezirkshauptfrau Martina Gerersdorfer.

Einzelfall abwägen

Allgemeine Richtlinien für die Abriegelung eines Ortes gibt es jedenfalls nicht, erfuhr der Standard aus dem Büro der niederösterreichischen Gesundheitslandesrätin Ulrike Königsberger-Ludwig (SPÖ). "Jeder Fall wird einzeln analysiert. Solang sich die Infektionskette zurückverfolgen lässt und die Betroffenen isoliert wurden, bringt die Quarantäne keinen Mehrwert", sagt dort ein Sprecher. Die Weitläufigkeit eines Gebiets spiele für die Abwägung ebenfalls eine Rolle. In Ardagger und Reichenau jedenfalls hätte eine komplette Abschottung bisher keinen zusätzlichen Nutzen gestiftet.

In Ardagger versucht man unterdessen, die Lage anderweitig unter Kontrolle zu bekommen. "Wir haben das Leben auf das nötigste Minimum reduziert", meint Pressl. Die Menschen haben aber offenbar rasch gelernt, sich mit der neuen Lage zu arrangieren. Zwar ist der örtliche Supermarkt geschlossen, doch telefonisch können Bürger Waren bestellen, ein Wirt im benachbarten Kollmitzberg bietet an, sich bei ihm vorbestelltes Mittagessen abzuholen und auch organisierte Nachbarschaftshilfen sind bereits angelaufen.

Keine expliziten Quarantänekriterien

Explizit formulierte Kriterien für eine Gebietsquarantäne seien "ex lege nicht festgelegt", bestätigt dies Oliver Gumhold aus dem Gesundheits- und Sozialministerium. "In jenen Gebieten, wo es Clusterbildungen an Ansteckungen gibt, wird überprüft, ob eine Quarantäne sinnvoll und notwendig ist. Das erfolgt in Absprache mit Behörden vor Ort", sagte dazu sein oberster Chef Gesundheitsminister Rudi Anschober Donnerstagmittag bei einer Pressekonferenz. Es sei gut, wenn regional gehandelt werde: "Ich kann nur die regionalen Behörden dazu ermutigen, die nötigen Maßnahmen zu setzen und wenn nötig auch diesen Schritt zu gehen". (19.3.2020; Steffen Arora, Irene Brickner, Andreas Danzer, Oona Kroisleitner)