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Wie wird sich die Corona-Krise auf unsere Gesellschaften auswirken: Auch Ökonomen betreten bei der Analyse dieser Frage Neuland. Woran sollten wir uns orientieren – und was kann und soll der Staat in der aktuellen Krise tun? Auf den Absturz könnte schnell ein Aufstieg folgen, sagt Gabriel Felbermayr, der Chef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft. Die Probleme verschwinden damit freilich nicht.

STANDARD: Was wird die Corona-Krise wirtschaftlich kosten?

Felbermayr: Wir können derzeit nur unterschiedliche Verläufe für die Krise unterstellen und dann rechnen. Was wir relativ genau sagen können, ist, was es uns kostet, wenn die Wirtschaft für einen Monat um 50 Prozent runtergefahren wird. Das sind rund vier Prozent Wirtschaftswachstum, aufs Jahr gerechnet. Wenn diese Phase länger andauert, erhöhen sich die Kosten. Unser Szenario ist derzeit, dass wir die Wirtschaft zwei Monate auf 65 Prozent runterfahren, was im Falle Österreichs etwa 24 Milliarden Euro kosten würde.

STANDARD: Die US-Bank JP Morgan schätzt, dass die Wirtschaft im zweiten Quartal in der Eurozone um mehr als 20 Prozent einbrechen wird. Im dritten Quartal soll es ein Wachstum von 45 Prozent geben. Übers Jahr wären die Verluste überschaubar. Ist das realistisch?

Felbermayr: Unsere Szenarien sind dem nicht unähnlich. Da unterstellen wir auch ein V-Szenario – also einen drastischen Einbruch in den ersten beiden Quartalen, auf den dann allerdings ein schneller Aufschwung folgt. Das war nach der Lehman-Pleite so. Es gibt schon in gewissem Ausmaß Aufhol-, aber keine Nachholeffekte. Wenn ein Konzert jetzt abgesagt ist, wird es im Oktober nicht doppelt nachgeholt. Wer jetzt nicht essen geht, wird später nicht doppelt im Gasthaus sitzen.

Was geschieht, wenn die Geschäfte wieder öffnen?
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STANDARD: Sollten die Geschäfte wieder geöffnet werden, gäbe es aber Bedarf: Wer jetzt keine Schuhe kaufen kann, wird das nachholen.

Felbermayr: Ja. Die Menschen werden zurückwollen zu dem Niveau, das geplant war. Und man muss auch sagen, dass es ganze Sektoren gibt, die gar nicht betroffen sind, wie die Logistik oder der Onlinehandel. Auch der Lebensmittelhandel: Die Gastronomie hat zugesperrt, die Menschen müssen trotzdem essen. Hier gibt es eine Sonderkonjunktur. Und dann haben Österreich und Deutschland einen großen öffentlichen Sektor, der gut 20 Prozent der Wirtschaftsleistung ausmacht, wo sich gar nichts tut. Selbst wenn Schulen geschlossen haben, werden Lehrer ja bezahlt.

STANDARD: Andere Bereiche stürzen aber stark ab. Jetzt schließen viele Industriebetriebe, besonders in der Automobilindustrie. Warum eigentlich?

Felbermayr: Es sind drei Faktoren. Zunächst ist es so, dass die Container, die vor drei Wochen in China nicht auf Reise geschickt worden sind, jetzt auch nicht ankommen können. Daher fehlen Komponenten. Es reicht, wenn BMW in Steyr Motoren baut und ein Dichtungsring nicht ankommt. Dann können die Motoren nicht gebaut wird. Das andere ist, dass die Belegschaft Sorgen hat, sich anzustecken. Das Dritte ist, dass auch die Automobilhändler derzeit nichts absetzen. Da kommen keine Aufträge mehr rein. Automobile werden in Deutschland sehr stark auf Bestellung gebaut: Wer ins Autohaus geht, sucht sich seinen Wagen aus, in sechs Wochen ist er da. Jetzt fällt das weg.

STANDARD: Österreichs Nationalbankchef Robert Holzmann sorgte für Aufregung, weil er sinngemäß meinte, man könne die Marktwirtschaft nicht außer Kraft setzen, und es werde berechtigte Pleiten geben.

Felbermayr: Es ist schwer. Ganz klar ist das Versprechen, dass uns diese Krise keinen Arbeitsplatz kosten wird, so wie es der deutsche Wirtschaftsminister Peter Altmaier abgegeben hat, nicht haltbar. Der Staat kann als Puffer wirken, und das muss er auch. Allein schon, weil die Krise planwirtschaftlich begonnen hat, indem Unternehmen verboten wurde, ihre Dienste anzubieten. Aber er wird nicht jeden Jobverlust und jede Pleite verhindern können. Schon deshalb, weil er es gar nicht wollen soll.

STANDARD: Weil?

Felbermayr: Es gibt Unternehmen, die sind auch ohne Corona nicht überlebensfähig. Wir haben in Deutschland und Österreich jeden Tag Firmen, die pleitegehen, und Menschen, die ihre Jobs verlieren. Da muss der Staat aufpassen, dass da nicht etwas konserviert wird, was ohnehin nicht rettbar ist. Wenn jetzt zum Beispiel erwogen wird, die ohnehin marode Alitalia mit europäischem Geld zu retten, wäre das kompletter Wahnsinn. Da stehen nun viele schwierige Entscheidungen an, die mit Hausverstand zu treffen sind.

STANDARD: Wo ist das Problem?

Felbermayr: Es muss ja alles bezahlt werden. Wir ergreifen diese Maßnahmen mithilfe großer Neuverschuldung. Wenn die Sache überstanden ist, werden wir über Sparprogramme reden müssen. Es macht schon einen großen Unterschied, ob man dann das Geld für sinnlose Aktionen verpulvert hat. Es muss also weiter ein Spielraum für Wirtschaftspolitik bestehen, auch nicht einzugreifen. Die Politik hat schon viel getan, um Härtefälle abzumildern. Es gibt Kurzarbeit, Bürgschaften, Steuerstundungen. Das ist ja eine Reihe guter Dinge, die deutlich machen, dass die Politik handelt. Aber man sollte nicht so tun, als ob der Staat allmächtig wäre. Das wäre Betrug an den Menschen.

Der Ökonom Felbermayr sieht eine Reihe langfristiger Herausforderungen: Lässt die Krise nach, werde man über Sparpakete reden müssen.
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STANDARD: Aber der Staat kann jetzt Geld ausgeben, ohne eine Inflation anzufachen. Denn aktuell kann nur wenig gekauft werden.

Felbermayr: Wir werden überall in Europa massive Länderdefizite sehen. Und wir können jetzt nicht die Gesetze der Marktwirtschaft außer Kraft setzen, da hat Holzmann recht. Wir können nicht sagen, wir fahren zweistellige Defizite, und die Europäische Zentralbank finanziert das alles. Da machen wir die Rechnung ohne den Wirt. Dann haben zwar alle genug Geldscheine in der Tasche, sie sind aber nichts mehr wert, weil die Preise hochschnellen werden.

STANDARD: Also doch Inflation?

Felbermayr: Die Notenbank kann Geld drucken, aber nicht Wohlstand schaffen. Wenn jetzt viele Menschen nicht mehr arbeiten, kann auch Gelddrucken den Wohlstandsverlust nicht verhindern. Wir Ökonomen sind überrascht, dass es im Lebensmittelhandel keine Preissteigerungen gibt. Wir sehen leere Regale, aber die Preise steigen nicht. Wo es aber einerseits Knappheit gibt und andererseits viel Geld, da werden Preise steigen. (András Szigetvari, 20.3.2020)