ORF-Chef Alexander Wrabetz wird am Samstag 60 und steht vor der Entscheidung, 2021 noch einmal anzutreten bei einer bürgerlichen Mehrheit im ORF-Stiftungsrat.

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Alexander Wrabetz hat geschafft, was keiner und keine vor ihm zustande brachte: Bald eineinhalb Jahrzehnte ohne Unterbrechung an der Spitze des ORF. 2021 bestellt der ORF-Stiftungsrat die nächste ORF-Führung ab 2022 – wenn nötig allein mit einer Mehrheit von ÖVP-nahen und bürgerlichen Stiftungsräten. Aber der Sozialdemokrat, große Taktiker und politische Überlebenskünstler hielt sich schon gegen Freund und Feind aus der eigenen wie anderen Parteien an der Spitze von Österreichs weitaus größtem, gebührenfinanziertem Medienkonzern

Wrabetz gelang als erstem und einzigem ORF-Chef das Kunststück dreier Amtszeiten an der ORF-Spitze in Folge – obwohl seine erste Großtat, die "größte Programmreform aller Zeiten" nur eine Ankündigung blieb. Im Gegenteil: Der überhastete, überpromotete Umbau des ORF-Fernsehens ließ im Frühjahr 2007 die TV-Marktanteile jäh einknicken.

Größe in der Krise

Am Samstag wird Wrabetz 60. Große Feierlichkeiten sind vorerst Corona-bedingt vertagt. Das Virus stellt den ORF, seine Belegschaft und seine Produktionen und Zulieferer vor eine gewaltige Belastungsprobe. Zugleich könnte gerade der Krisenmodus Wrabetz darin bestärken, es 2021 noch einmal zu versuchen: Der ORF lebt seine tragende Rolle in der Krisenkommunikation mit seiner großen, größtenteils gebührenfinanzierten Infrastruktur sehr, sehr gut. Und er stößt in der Ausnahmesituation auf gewaltige Nachfrage mit Quotenrekorden für die "Zeit im Bild" und andere Infosendungen. Andererseits fehlen dem Programm und seinen Quoten vertagte Events von Fußball-Europameisterschaft bis "Dancing Stars"

Die Regierung dankt Wrabetz mit dem Großen Silbernen Ehrenzeichen mit dem Stern für seine Verdienste um die Republik. Große Orden werden allerdings ganz gerne verliehen, wenn sich ein Ende der Ämter und Funktionen abzeichnet.

Gegen ÖVP-Kanzler, mit ÖVP-Kanzler

Wrabetz wurde schon gegen einen ÖVP-Chef im Kanzleramt ORF-General. Mit Kanzler Sebastian Kurz soll er eine regelmäßige und gute Gesprächsbasis gefunden haben. Für Kurz erfand Wrabetz noch in der ÖVP-FPÖ-Koalition Ende 2018 binnen weniger Tage eine TV-Hauptabendshow ("Lebensretter") in Kooperation mit dem Printriesen "Kronen Zeitung".

2006 nutzte Wrabetz, damals kaufmännischer Direktor des ORF, die Gunst der Stunde – Wolfgang Schüssels ÖVP-BZÖ-Koalition lag in den letzten Zügen – und trat bei der ORF-Wahl gegen Monika Lindner an. Der smarte Direktor wurde schließlich von einer Regenbogenkoalition aus SPÖ, BZÖ, Grünen, FPÖ und Unabhängigen zum neuen ORF-Generaldirektor gewählt.

Bei seiner ersten Wiederwahl 2010 wählten auch etliche ÖVP-Stiftungsräte mangels Alternativen den SPÖ-nahen Kandidaten zum ORF-Chef. Zuvor aber versuchte Kanzler Werner Faymann (SPÖ) ab 2008 sehr nachdrücklich, Wrabetz loszuwerden – doch auch Faymann fehlten die ihm genehmen Alternativen.

2016 wurde der promovierte Jurist als erster ORF-Chef zum dritten Mal in Folge zum Generaldirektor bestellt, gegen den ÖVP-FPÖ-Kandidaten Richard Grasl, der ist heute Mitglied der "Kurier"-Chefredaktion. Als Ziel nannte Wrabetz, die Rundfunkanstalt in den nächsten fünf Jahren zu einem Digital- und Social-Media-Haus weiterzuentwickeln. Derzeit wird am ORF-Player gearbeitet, für den er sich die gesetzlichen Möglichkeiten unter anderem für "Online first" und die Abschaffung der Sieben-Tage-Regelung wünscht.

Wrabetz' Blick zurück

Wrabetz eigene Bilanz fällt solide aus: Seit der Finanzkrise 2008 fährt der ORF ein Spar-und Restrukturierungsprogramm, mit dem hunderte Planstellen eingespart wurden, vor allem mit vorgezogenen, für die Betroffenen sehr günstigen Pensionsregelungen. Millionen-Verluste, die damals eingefahren wurden, konnte Wrabetz im Tandem mit seinem Finanzdirektor und Kontrahenten Grasl schließlich wieder drehen. Der Finanzplan für 2020 sah zuletzt – vor der Coronavirus-Krise – ein zart positives Ergebnis vor.

Der ORF führte unter Wrabetz unter anderem die HD-TV-Ausstrahlung ein, lancierte ORF 3 sowie ORF Sport +, meisterte eine österreichische Song-Contest-Austragung samt Kosten und baute die TVthek aus. Publikumsrenner wie die Show "Dancing Stars" funktionierten in den vergangenen Jahren weiterhin, mit "Vorstadtweiber" und den "Landkrimis" setzte man österreichische Produktionsakzente.

In Wrabetz' zweite Amtszeit fiel nach langem Hin und Her auch die Entscheidung, das ORF-Zentrum am Küniglberg in Wien-Hietzing zu renovieren und alle Standorte dort zusammenzuziehen. Auch den daraus resultierenden Verkauf des Funkhauses zog Wrabetz durch. Vor wenigen Wochen wurde am Küniglberg der Grundstein für den neuen "Mediencampus" des ORF gelegt.

FPÖ-Attacken

In den vergangenen Jahren musste sich Wrabetz mit Attacken der Freiheitlichen gegen den ORF herumschlagen. Die unter Türkis-Blau laut FPÖ bereits vereinbarte Abschaffung der GIS-Gebühren war mit Bekanntwerden des Ibiza-Videos aber Geschichte. Das turbulente innenpolitische Jahr 2019 bescherte den TV-Sendern und insbesondere den ORF 2-Nachrichtensendungen hohe Zuschauerzahlen. Sorgenkind blieb dagegen ORF 1, das im Umbau vom Serien- und Sportkanal zu mehr eigenproduzierten Österreich-Inhalten historisch niedrige Quoten hat. Zuletzt erzielte der ORF rund um die Coronavirus-Berichterstattung historische Rekordquoten, mit denen er seine Gebührenfinanzierung ein Stück einfacher erklären kann. Die FPÖ ließ ihre jüngste Anti-GIS-Kampagne virenbedingt gerade fürs Erste entschlummern.

Ob Wrabetz' Zeit als ORF-General endet oder ob er weiterhin an der Spitze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks bleibt, darüber entscheidet im kommenden Jahr der Stiftungsrat, in den die Regierung vor kurzem neue Räte bestellt hat. Die Regierungsparteien ÖVP und Grüne kommen seither gemeinsam auf 19 der 35 Sitze, noch ohne ÖVP-nahe Mandate, mit denen die Bürgerlichen schon ganz alleine den nächsten General bestimmen können.. Wrabetz' dritte Amtszeit läuft bis Ende 2021, bereits im Sommer 2021 wird gewählt.

Wrabetz wirkt bisher nicht, als hätte er mit Ende 2021 schon genug vom ORF. Ob er selbst in den nächsten ORF-Wahlkampf 2021 zieht, wird er schon noch rechtzeitig verraten. Die Liste der bürgerlichen Hoffnungsträger und potenziellen Mitbewerber ist lang – eine Handvoll im ORF, mancher könnte auf eine Rückkehr spekulieren, mancher auf einen beruflichen Neustart auf dem Küniglberg. (fid, APA, 20.3.2020)