Eine kunstvolle Deckenmalerei á la Michelangelo würde enorm zur Attraktivierung der Zimmerdecke beitragen.

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Wenn die Nachrichten konsumiert worden sind, das Bier und der Rotwein getrunken, das gute Buch gelesen, das Mittagessen gegessen, die 25. Staffel der Netflix-Serie von A bis Z angeschaut, der Kleiderkasten aufgeräumt ist, die Telefonate mit Familie, Freunden und Bekannten absolviert, die Zehennägel geschnitten sind, wenn all das passiert ist und stattgefunden hat und einem auch die Sit-ups und Liegestütze im Wohnzimmer zum Hals heraushängen, dann, ja dann kann es in interessanten Zeiten wie der unseren manchmal ein bisschen langweilig werden.

Aber nur keine Panik. Selbst wenn alle Stricke reißen, bleibt immer noch ein letzter verlässlicher Ausweg und Zeitvertreib: sich ins Bett legen und einfach die Zimmerdecke anschauen. Meditative Deckenschau. Dem Club der Ceiling-Watchers beitreten.

Kein Mensch weiß, wie lange wir noch zu unserem neuen knastoiden Lebensstil verpflichtet sein werden. Man tut also gut daran, sich mit seiner Zimmerdecke anzufreunden. Man wird sie in nächster Zeit vermutlich häufig zu sehen bekommen.

Überkopf-Rorschachtest

Leicht fällt mir das Mich-Anfreunden nicht, denn meine Zimmerdecke ist alles andere als attraktiv. Es tut mir leid, dies so grob formulieren zu müssen, aber es ist wahr. Sie verfügt über keinerlei fantasievolle Stuckaturen, keine Intarsien, keine schönen alten Holzbalken, die sie anmutig strukturieren, von köstlichen Deckenmalereien à la Michelangelo einmal ganz zu schweigen.

Nein, sie ist quadratisch, praktisch, nicht ungut, reinweiß gepinselt und in der Mitte mit einer Leuchte in der Form eines unregelmäßigen Dinosaurier-Eis versehen. Damit hören sich die Lustbarkeiten und Attraktionen, die sie zu bieten hat, aber auch schon auf.

Das Aufregendste, wozu sie sich anböte, wäre eine exakte Beschau aller Schlieren und minimalen Unregelmäßigkeiten, die der Malermeister bei seiner Arbeit hinterlassen hat. Womöglich ließe sie sich auch als Projektionsfläche für allerlei Ideen verwenden, die einem so durch den Kopf schießen, als eine Art Überkopf-Rorschachtest, auf der hehre, reine und schmutzige Gedanken Platz finden können.

Zu sehr viel mehr, fürchte ich, ist die Zimmerdecke nicht zu gebrauchen, aber ich bin ihr ja alleine dafür dankbar, dass sie mir nicht auf den Kopf fällt. Mal sehen, ob dies in sechs, sieben, acht, neun, zehn, elf Wochen immer noch der Fall ist. (Christoph Winder, 22.3.2020)