Freundlichkeit hat nichts mit Scheu vor Auseinandersetzungen zu tun. Es ist ein manifester Ausdruck von Lebenserfahrung.

Der Standard

Nein, Freundlichkeit hat nichts mit Scheu vor Auseinandersetzungen zu tun. Nein, Freundlichkeit ist auch nicht die charakteristische Eigenschaft von Weicheiern, wie gern vermutet wird. Von Menschen also, die immer den Weg des geringsten Widerstands suchen und gehen. Kurz und gut, Freundlichkeit ist kein Ausdruck von Konfliktscheu, ängstlichem Vermeidungsverhalten und der Bereitschaft zu schnellem Zurückweichen.

Doch was ist Freundlichkeit dann? Manifester Ausdruck von Lebenserfahrung. Anderen freundlich gegenüberzutreten ist schlicht und einfach die konsequente Umsetzung der sich im Lebensvollzug wiederholenden Erkenntnis, "dass Freundlichkeit gegen jedermann die erste Lebensregel ist, die uns manchen Kummer ersparen kann" (Helmut von Moltke, Gesammelte Schriften 1891–1893).

Die Probe aufs Exempel ist schnell gemacht: Irgendjemand kommt Ihnen dumm, gibt Ihnen vielleicht eine patzige, schnippische, vielleicht sogar eine saublöde und aus sich heraus vollkommen unverständliche Antwort. Sie giften zurück. Cui bono? Wem nutzt das? Ihnen ganz bestimmt nicht. Sie putschen Ihren Adrenalinspiegel hoch, sind stinksauer. Miese Gefühle versauen Ihnen den Rest des Tages, blockieren Ihre Konzentration und Leistungsfähigkeit. Aus dieser inneren Gestimmtheit heraus blaffen Sie nun ihrerseits jeden an, der Ihnen irgendwie krumm zu kommen scheint. Ein "falscher" Blick, eine aus der Situation heraus fehlinterpretierte Geste, ja selbst ein amüsiertes Zucken der Mundwinkel kann zu einem vulkanischen Emotionsausbruch führen. Und schon haben Sie sich selbst Kummer bereitet, der Sie noch lange belasten kann.

Sich nicht hinreißen lassen

Und die Moral von der Geschicht’? Unklug handelt, wer sich vom Moment hinreißen, von der Situation provozieren, sich von außen sein Verhalten diktieren lässt. Sich manchen Kummer zu ersparen beginnt damit, sich eine spontane Replik zu ersparen. Sich aus der verderblichen Befangenheit in der Vermutung zu befreien, hinter jedem missratenen oder irgendwie unverständlichen Ton stecke ein persönlicher Angriff, der postwendend einen Gegenangriff erfordere.

Zeigen sich Kollegin und Kollege auf Krawall gebürstet, missgelaunt und angriffslustig, scheint die Attitüde des Chefs einen unmittelbaren Konter herauszufordern, geben sich Kunden mal wieder so was von unmöglich, widerspricht es jeder Lebensklugheit, automatisch auf diese blanken Haken zu beißen. Wie auch immer geartetes oder interpretiertes unfreundliches Verhalten muss überhaupt nicht auf das jeweilige Gegenüber gemünzt sein. Geriert sich jemand befremdlich, kann das alle möglichen Gründe haben, die mit einem direkten Bezug zum Gegenüber überhaupt nichts zu tun haben.

In vielen, wenn nicht gar in den überwiegenden Fällen signalisiert ein vermeintlich unfreundliches Verhalten viel eher eine innere Anspannung. Häufig auch eine situative Unsicherheit, die sich nach außen in einem unfreundlichen Auftritt Bahn bricht. Trifft nun auf diesen inneren Druck äußerer Gegendruck, kann dabei nur eins herauskommen: ein eskalierendes Sich-ineinander-Verbeißen.

Freundlichkeit wirkt deeskalierend

Nein, nein, bitte nun nicht den falschen Schluss ziehen, der Klügere gibt nach. Das ist blanker Unsinn. Der Schlüssel zum entkrampfenden Umgang mit zwischenmenschlichen Situationen tatsächlich oder vermeintlich prekärer Art liegt darin, sie zu durchschauen, ihren eigentlichen Ursprung zu erkennen. Das ist die Wegweisung, die aus der situativen Verkrampfung herausführt. Bleibe ich freundlich, wenn du angespannt oder verunsichert bist oder auch nur einen schlechten Tag hast und dich dementsprechend kratzbürstig gibst, wirkt das deeskalierend auf die Situation. Die Anspannung der einen Seite springt nicht auf die andere Seite über. Das physische Aufeinandertreffen wird nicht zu einem psychischen Aufeinanderlosgehen, sondern gerät in ruhigeres Fahrwasser.

Innerbetrieblich gewinnt die Einsicht in diese Zusammenhänge und mit ihr die Bereitschaft, sich entsprechend zu verhalten, gerade enorm an Gewicht. Die Unternehmensführung von gestern wird mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht mehr die von morgen sein.

Die das Unternehmen strukturierenden Hierarchien stehen zur Disposition. Eingespielte Wege der Zusammenarbeit desgleichen. Der gewohnte feste Arbeitsplatz ist Gegenstand der Diskussion. Bedarfsgerecht zusammengestellte Teams bringen Menschen miteinander in Kontakt, die einander fremd sind und sich daher nur schwer einschätzen lassen. Zumal sie in größeren Unternehmen nicht selten aus unterschiedlichen Kulturen mit unterschiedlichen Sprachen, Gewohn- und Gepflogenheiten, Sitten und Gebräuchen kommen.

All das bringt ein belastendes neues Element der Unsicherheit in die Zusammenarbeit. Und damit zwangsläufig innere Anspannung, die in äußeren Spannungen zutage tritt. Die persönliche berufliche Risikowahrnehmung verändert sich. Und mit ihr die Risikoeinschätzung. Und aus beidem heraus können sich schnell aus Verunsicherung geborene soziale Disharmonien entwickeln. Situationen, in denen in sehr kurzer Zeit sehr viele Veränderungen zu verkraften sind, lösen ja zwangsläufig Ängste aus. Die Bereitschaft zu Freundlichkeit in Aktion wie Reaktion, die Macht positiver Gefühle wird zukünftig eine wichtige Rolle spielen bei der wirkungsvollen innerbetrieblichen Kooperation. (Hartmut Volk 27.3.2020)