Allzu spät reagierte man im Iran auf die Corona-Gefahr.

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Mit Durchhalteparolen und Aufforderungen, zu Hause zu bleiben, gehen Iraner und Iranerinnen in das am Wochenende beginnende Neujahrsfest: Die Coronakrise steht am Ende eines Jahreszyklus, der zu Nowruz 2019 mit verheerenden Flutkatastrophen in Teilen des Landes begonnen hat. Dazwischen lagen eine sich durch die US-Sanktionen ständig verschärfende Wirtschaftskrise, eine daraus resultierende Protestwelle, die von den Behörden mit äußerster Brutalität niedergeschlagen wurde, und eine militärische Eskalation mit den USA, die in der Katastrophe einer abgeschossenen ukrainischen Passagiermaschine mündete.

"Der Feind" versuche den Iran in die Knie zu zwingen, man beende das Jahr jedoch triumphierend, versicherte Präsident Hassan Rohani in einer Rede: Worin der Triumph bestehen soll, ist unklar. Stand Donnerstag hatte der Iran laut Gesundheitsbehörden 1.284 Corona-Tote zu beklagen, 18.000 Infizierte soll es geben. An den offiziellen Zahlen wird jedoch gezweifelt. Der "Guardian" zitiert einen ungenannten WHO-Experten, laut dem die Schätzungen fünfmal so hoch liegen, also derzeit bei über 5.000 Toten. Iranische Experten, etwa der Sharif-Universität für Technologie in Teheran, warnen vor einer Katastrophe, wenn nicht strengere Maßnahmen verhängt werden.

Ultras gegen Schließung von Schreinen

Nach wochenlanger Verharmlosung haben die Behörden erst sehr spät etwa die schiitischen Heiligtümer in Mashhad und Ghom schließen lassen, obwohl vor allem Ghom einer der Hotspots war, von dem sich die Krankheit verbreitet hat. In den schiitischen Schreinen ist es üblich, die Gitter, die sie umrahmen, zu küssen. Zuerst wurde eine Zeitlang nur medienwirksam desinfiziert. Als die strengeren Maßnahmen dann doch endlich kamen, versammelten sich vor den Toren der betroffenen Moscheen Ultrareligiöse zu Sit-ins und verlangten die sofortige Öffnung – und riefen Slogans gegen Präsident Rohani. Allerdings ergriffen die Verwaltungen der religiösen Stätten sofort die Partei der Regierung und verurteilten die Zeloten.

Neben dem Behördenversagen und einer teilweise uneinsichtigen Bevölkerung, die sich noch immer in Gruppen auch öffentlich versammelt, spielen aber natürlich auch die US-Sanktionen dem "ungebetenen Gast", wie Rohani das Virus euphemistisch nennt, in die Hände: Diese Sanktionen betreffen ja nicht nur den Iran selbst, sondern alle, die mit ihm Geschäfte machen. Jede Transaktion braucht sozusagen den Segen der USA, sonst riskiert der Handelspartner, bestraft zu werden.

Iran sucht Hilfe beim IWF

Teheran hat nun eine Liste von Gütern vorgelegt, die im Gesundheitssektor akut fehlen, und am Donnerstag einen Kredit von fünf Milliarden Dollar Schnellhilfe beim Internationalen Währungsfonds (IWF) beantragt – zum ersten Mal in der Geschichte der Islamischen Republik. Die USA können allerdings dagegen ein Veto einlegen. International werden jedoch die Forderungen, die Iraner und Iranerinnen jetzt nicht für ihre Führung büßen zu lassen, lauter. Auch von den arabischen Staaten auf der anderen Seite des Persischen Golfs kommt finanzielle Hilfe, aus Kuwait und Katar, aber auch aus den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE), die ja offiziell die harte Linie Saudi-Arabiens gegen den Iran mittragen (aber stets eine eigene Kommunikationslinie mit Teheran aufrechterhalten haben).

Laut "Guardian" macht auch die britische Regierung Druck auf Washington, die Sanktionen temporär zu lockern. Die USA machen jedoch genau das Gegenteil: Diese Woche wurden neue US-Strafmaßnahmen verhängt, nicht nur gegen Iraner, sondern auch gegen Firmen in China, Hongkong und Südafrika sowie in den VAE.

Es gibt international auch den Versuch, die Hilfe beziehungsweise die Sanktionserleichterungen für den Iran mit der Freilassung von Angehörigen anderer Nationalitäten oder Doppelstaatsbürgern, die im Iran mit teils völlig absurden Anklagen im Gefängnis sitzen, zu junktimieren. Immerhin wurden ja bereits 85.000 iranische Gefangene angesichts der Coronakrise, die vor den Gefängnissen nicht haltmacht, nach Hause geschickt.

Ausländische Gefangene im Iran

London hat bisher erreicht, dass Nazanin Zaghari-Ratcliffe, einer britisch-iranischen Staatsbürgerin, die wegen angeblicher Aktivitäten gegen das iranische Regime 2016 zu fünf Jahre verurteilt wurde, eine zweiwöchige Haftverschonung gewährt wurde – mit der Hoffnung, dass es nicht bei den zwei Wochen bleibt. US-Außenminister Mike Pompeo deutete zu Wochenbeginn an, dass die iranische Führung überlege, auch amerikanische Gefangene freizulassen. Am Donnerstag bekam der US-Navy Michael White Hafturlaub gewährt, er wurde in die Schweizer Botschaft, die in Teheran die Interessen der USA vertritt, gebracht. White leidet seit einigen Tagen an Fieber und Husten, hieß es.

Die Europäische Union hat ebenfalls etliche Staatsbürger und -bürgerinnen in iranischen Gefängnissen. Auch Österreich ist betroffen, mit Kamran Ghaderi, der 2016 wegen "Zusammenarbeit mit feindlichen Staaten gegen die Islamische Republik" zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, und Massud Mossaheb, der im Jänner 2019 verhaftet wurde und noch immer auf seine Verhandlung wartet. Mossaheb, Generalsekretär der österreichisch-iranischen Gesellschaft, ist 73 Jahre alt, leidet an multiplen Erkrankungen und ist akut gefährdet. In einem Facebook-Eintrag äußert die Familie "Enttäuschung sondergleichen", dass weder Österreich noch die EU den Iran "unter Druck setzt und die sofortige Freilassung fordert".

Der Besuch von Außenminister Alexander Schallenberg Ende Februar im Iran war ein Moment der Hoffnung für die Angehörigen, der aber vorerst keine Veränderung brachte. Laut Außenministerium ist die österreichische Botschaft in Teheran weiter intensiv um eine humanitäre Lösung bemüht, und der Außenminister habe sich erst gestern wieder mit einem Brief an seinen iranischen Amtskollegen Mohammed Javad Zarif gewandt. (Gudrun Harrer, 20.3.2020)