Foto: APA/Georg Hochmuth

Der Druckausgabe des STANDARD vom Freitag ist das nagelneue Rondo Exklusiv beigelegt, inklusive "aktueller" Restaurantkritik. Das hat einen einfachen Grund: Es wurde aus produktionstechnischen Gründen bereits vor einigen Wochen gedruckt. Da schien die Pandemie noch unwirklich weit weg von uns. Heute wirken diese Tage unwirklich lang vergangen.

So absurd, wie eine Restaurantkritik dieser Tage in einer Tageszeitung wirken mag, so gefährlich ist der Umstand, dass alle unsere Wirte derzeit geschlossen halten müssen für die Kultur unseres Landes. Schon klar: Wer in Österreich "Kultur" sagt, der meint im Wesentlichen oft nur das eine – die reproduzierende sogenannte Hochkultur von Oper, Orchester, Theater und anderen Lipizzanern. Sie bestimmen das nationale Selbstverständnis als Kulturnation und Freiluftmuseum der schönen Künste im Kern. Dass die Wirtshäuser, Beisln, Restaurants und sogar Würstelstände (also, die in Salzburg jedenfalls!) mindestens solche Anker der nationalen kulturellen Definition sind wie die Staatstheater und -festspiele, wird in unserem Selbstverständnis gerne unterschlagen.

Dabei ist die Qualität und Verfügbarkeit guter Gaststätten um nix weniger bestimmend für die Eigen- und Außenwahrnehmung eines Landes als Kulturnation als jene von Theater, Konzert oder Oper. Italien ist auch da ein gutes Beispiel: Das Essen spielt in der Eigenwahrnehmung der Italiener als Kulturnation allererster Ordnung eine mutmaßlich noch größere Rolle als alle Kunstschätze von Pompeji bis Maurizio Cattelan zusammengenommen. Für Touristen gilt sowieso: Dogenpalast, "Letztes Abendmahl" und David können gar nicht so schön sein, dass die Aussicht auf einen Teller handgemachte Pasta hinterher das Sich-Anstellen nicht doppelt so lohnend gestaltete. Für ein Land wie Österreich, dessen Wirtschaftskraft um nichts weniger vom Tourismus abhängt, trifft das ganz genauso zu.

Gierige Schnapserln

Umso frustrierender ist es, wenn Politik und Verwaltung bereit waren, sich in solch einer Situation vor ein paar alpinen Hoteliers zu verbiegen, sodass der Ruf des gesamten Landes für ein paar gierige Schnapserln mehr aufs Spiel gesetzt wird – und zwar auf Jahre hinaus. In der "Financial Times" vom Freitag ist nachzulesen, wie vernichtend das internationale Urteil über die Vorfälle in Ischgl ausfällt. Mit gutem Grund – die Hälfte aller Corona-Fälle in Norwegen und ein Drittel jener in Dänemark ist offenbar direkt (!) auf die kurzsichtig profitorientierte Scheißmichnix-Attitüde eines Tiroler Tals und willfähriger Politiker zurückzuführen.

Das ist umso dramatischer, als Covid-19 mit der Gastwirtschaft einen ganz besonders prekären Kulturzweig getroffen hat. Seine Auswirkungen werden massive, in ihrer Dramatik kaum zu überschätzende Folgen auf die Kultur unserer Küche haben. Schließlich sind Restaurants per Definition prekäre Unternehmungen, die buchstäblich von der Hand in den Mund leben. Die Einnahmen von gestern sind die Lohnzahlungen, Kredite und Mieten von morgen, nennenswerte Rücklagen können sich nur die allerwenigsten bilden – angesichts der weltweit ziemlich einzigartigen Fülle an Verordnungen, Vorgaben und Investitionen, die zur Etablierung eines Wirtshauses hierorts notwendig sind, schon gar. Wenn die Katastrophe kommt, schwemmt sie dementsprechend gründlich durch die Branche. Wer die nächsten paar Monate nicht übersteht (und die Erfahrung spricht dafür, dass es die kleinen, engagierten, traditionsversessenen Einzelkämpfer viel dramatischer treffen wird als die Großen, nominell Wichtigen), der wird kaum wiederkommen – und schon gar nicht in alter, gewohnter Form.

Heiße Steine, trockene Konten

Dabei mangelt es nicht am Willen zu helfen, zumindest grundsätzlich. Facebook, Instagram, Twitter sind dieser Tage voll von Aufrufen, Gutscheine zu kaufen, T-Shirts zu erstehen oder seinen Lieblingsrestaurants sonst wie unter die Arme zu greifen. Alles großartig und lobenswert. Ist halt nicht mehr als ein Tropfen auf die dramatisch austrocknenden Geschäftskonten der Betriebe. Umso ermutigender ist, dass sich die Regierung in dieser schweren Stunde der lange belächelten Kraft sozialpartnerschaftlichen Handelns erinnert hat und ein gewaltig anmutendes Hilfspaket geschnürt hat. Es wird genau zu prüfen sein, dass es nicht bloß große Hotels und Zulieferer stützt, sondern gerade auch jene Familienbetriebe, die das Rückgrat unserer kulinarischen Kultur ausmachen und für immer zu verschwinden drohen.

In Österreich ist es ganz normal, von staatlicher Seite exorbitante Summen für Kultur zur Verfügung zu stellen. Großkonzerne wie Nestlé oder VW sonnen sich ebenso gern im Sponsoring-Glanz staatsfinanzierter Festivals – man darf gespannt sein, wie nachhaltig die Unterstützung für die gastronomische Kultur des Landes in dieser wohl schwersten Stunde ausfallen wird. Noch nehmen wir das Wirtshaus in all seinen Formen ganz selbstverständlich als gegeben an. Dabei werden wir uns noch anschauen, wie prekär diese Orte sind, an denen wir mit die schönsten, prägendsten, köstlichsten Momente gefeiert haben.

Mit gutem Recht sind viele von uns noch verbittert über die Rettung gierschlündiger Banken während der letzten Krise. Aber wird das unsere Bereitschaft vermindern, jetzt unsere ureigenen Beisln und Weinschenken, Dorfwirtshäuser und Pizzerien, syrischen Grillstandler und multipel behaubten Restaurants aus der Scheiße zu ziehen, in die sie völlig ohne Schuld geraten sind? Ist uns bewusst, dass ansonsten für immer verschwinden könnte, was unsere Identität mindestens so bestimmt wie der Kunstschnee auf den Pisten der nunmehr immergrünen Alpenhänge?

Essen in der Krise

Ist freilich noch lange nicht alles. Mindestens so unter Wasser wie die Wirte sind dieser Tage ihre Lieferanten. Kleine Weltklasse-Produzenten wie der Wundergärtner Robert Brodnjak vom Krautwerk, Evi und Mario Bach von der gleichnamigen Gärtnerei, die Spargelbauern wie Malafa oder Brandenstein, denen es nicht nur an Abnehmern in der Gastro, sondern mindestens so an Erntehelfern mangelt. Oder Mini-Qualitätsbetriebe wie der Käsemacher Robert Paget, der Alte-Kuh-Reifer Robert Weishuber von XO Beef oder die Meisterfermentierer von Luvi in Oberösterreich. Aber auch eben noch standfest wirkende Topbetriebe wie Eishken Estate, der den besten Fisch des Landes an die Spitzengastronomie liefert, oder Höllerschmid, dessen Fleisch vom Steirereck abwärts in den besten Betrieben zum Einsatz kommt, sind existenziell gefährdet.

Restaurantkritik? Bitte wie?

Restaurantkritik im eigentlichen Sinn wird sich auf absehbare Zeit erledigt haben. Was sich aber nicht erledigt hat, ist der Wille, sich bei herausragendem Essen und Trinken des Lebens zu freuen und Kraft zu tanken für die Bewältigung dieser Herausforderung. Zusammenkommen wird derweil einmal nur auf virtuellem Weg möglich sein. Gut essen, ob selbst gekocht aus den Zutaten dieser fantastischen Produzenten und Lieferanten oder von einem jener Restaurants bezogen, denen wir so viel gute Zeit zu verdanken haben, aber keineswegs. Beides soll in den kommenden Wochen diese Rubrik bestimmen. So wie die Hoffnung, dass wir, wenn dieser Albtraum vorüber ist, noch Wirte haben, die uns nach Strich und Faden verwöhnen können. (Severin Corti, 20.3.2020)

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